Während immer wieder Computerspiele mit dem Wort “Evolution” im Titel prahlen, gibt es andere, die tatsächlich versuchen den evolutionären Prozess in das Spielprinzip mit ein zu binden. Gar nicht so einfach, denn Evolution funktioniert nur deshalb, weil so viel Zeit für die Entwicklung und Erprobung kleiner Veränderungen zur Verfügung steht. Und so etwas ist Gift für kurzweilige Unterhaltung. Passend zur Vorweihnachtszeit daher ein kleiner Überblick über Evolution in Computerspielen.
Wenn im Januar hier in Deutschland der neue Film Tron: Legacy anläuft, wird er mit vielen neuen Spielzeugen und einem überdimensionalen Aufwand an Werbung erscheinen. Unter anderem wird dann aber auch das Computerspiel Tron: Evolution im Handel erhältlich sein. Für jeden, der den Film von 1982 nicht mehr auswendig im Kopf hat: es geht darum, dass Menschen in eine im Computer existierende Welt eintauchen, in der es nur so wimmelt von Möglichkeiten, eine Handlung für ein Actionspiel zu aufzubauen. Doch wenn dort von Evolution geredet wird, dann meinen die Entwickler lediglich die Weiterentwicklung dieser Welt von 1982 zu einer Welt von 2010. Und Evolution selbst wird, soweit ich das bisher beurteilen kann, nirgends im Spiel eine Rolle spielen. Genauso wenig wie in den “Evolutionsspielen” der letzten Jahre: Pro Evolution Soccer, Dance Evolution, GTR Evolution oder 4×4 Evolution. Auch beim Spiel Natural Selection wurde lediglich das mittlerweile zum Klischee verkommene “Überleben des Stärkeren” ausgenutzt – nur wenn du das Alien zuerst tötest, kannst du überleben.
Das hat mit Evolution alles herzlich wenig zu tun.
Phylo
Letzte Woche erschien aber im Internet ein neues Spiel. Allerdings erschien es ohne die üblichen Werbekampagnen, Vorstellungen auf Computerspielmessen und Trailern auf YouTube. Der Grund ist so einfach wie nachvollziehbar: für Werbung fehlte das Budget. Denn das Spiel ist von einer Universität produziert worden (und die haben bekanntermaßen nicht viel Geld). Genauer gesagt, es wurde von zwei jungen Studenten im Labor von Professor Jerome Waldispuhl an der McGill Universität in Kanada entwickelt. Das Spiel heißt Phylo und ist für jeden frei zugänglich und online spielbar. Ziel des Spieles ist es, einen genetischen Code von zwei nahe verwandten Lebewesen so anzuordnen, dass bei seiner Entstehung möglichst wenige Mutationen notwendig waren. Für Löcher im Code gibt es Minuspunkte, für Übereinstimmungen Pluspunkte.
Gleiche Regionen sind dabei solche die einen gleichen evolutionären Ursprung haben und z.B. in Affen und Menschen beide vorkommen. Dieser Code (im Grunde nichts anderes als DNA) mag für ein bestimmtes Protein stehen, oder er ist verantwortlich für den Haarwuchs an einer bestimmten Stelle am Kopf, oder aber er verursacht Brustkrebs. Die Codes in diesem Spiel sind nämlich alles tatsächlich existierende Sequenzen, die alle mit einer Reihe von Krankheiten assoziiert werden. Der Gedanke dahinter ist, dass die Daten, die einer Spieler am Computer produziert, von den Wissenschaftlern hinter Phylo ausgewertet werden. Die Kreativität und Intuition des Menschen soll so für die Datenanalyse ausgenutzt werden.
So etwas ist nichts Neues: Foldit fordert Spieler auf, Proteine zu kreieren und dabei den Wissenschaftlern zur Hand zu gehen. Und der Galaxy Zoo bietet anscheinend das Gleiche für Astronomie-interessierte Spieler an.
Bei meinen ersten Durchgängen muss ich zugeben: das Spiel ist nicht einfach. Es macht Spaß und ist vorbildlich designt. Durch einen kleinen Stammbaum neben dem Code lernt man nicht nur mehr über die phylogenetische Verbindung der Organismen kennen, man kann sich auch den Ursprungscode des gemeinsamen Vorfahren anzeigen lassen.
Ich muss aber zugeben, dass ich das Wertungssystem noch nicht ganz durchschaue. Bei meinen Spielen bekam ich grundsätzlich die meisten Punkte, wenn ich alle Basenpaare (oder hier: bunte Würfel) an den linken Rand schob. Die unverhältnismäßig große Bestrafung von Lücken im Code (-5 Punkte) gegenüber den geringen Belohnungen für Übereinstimmungen (+1 Punkt) erinnert mich da eher an Quidditch – dort frage ich mich auch immer, warum überhaupt irgendwer sich um die Punkte kümmert, wenn am Ende eh das Team gewinnt, welches den Goldenen Snitch fängt (150 Bonuspunkte!).
Spore
Ich will mich gar nicht lange an diesem Spiel aufhalten, da seit seinem Erscheinen 2008 genug darüber geredet wurde. In diesem Spiel muss man einen Einzeller “erschaffen” und ihn nach und nach hin (hinauf?) zu einem komplexen, intelligenten Lebewesen evolvieren. Der Entwickler des Spiels behauptet zwar, dass man dies gar nicht unbedingt muss, aber dann kommt man im Spiel eben nicht weiter:
— Will Wright auf NPR
Das “Evolvieren” findet hier eher statt, indem man seinem Tier irgendwelche Körperteile “anklebt”. Diese haben allerdings wenig oder gar keine Auswirkung auf die Fitness des Tieres. Allerdings greift Spore trotz alledem wichtige Punkte auf: In dem Spiel so wie beim tatsächlichen Evolvieren entwickeln sich einfache Kreaturen zu komplexeren, ein Prozess der, wenngleich nicht notwendig, sehr verbreitet ist. Außerdem sind die Lebewesen aus Spore meist bilateralsymmetrisch und geben so den Großteil der tatsächlichen Tiervielfalt wieder. Schließlich ist das Ankleben von Körperteilen vielleicht eine sehr vereinfachte Variante der Evolution, aber die Entscheidung zu solch einem Teil fällt meist auf Gedanken der Anpassung zurück. “Oh, der dritten Fuß bei dem komischen Nashorn dort scheint sehr hilfreich zu sein. Es läuft mir immer davon, wenn ich es angreife.” Man verändert sein eigenes Tier daher in der Regel nur wenn es einen Vorteil bringt. Tut es das nicht, tauscht man sein drittes Bein schnell wieder gegen ein Paar Geweihe.
Who Wants to Live a Million Years?
In der Welt der Online-Gelegenheitsspiele gibt es eine große Zahl an Spielen, die Evolution zum Thema machen. Die Flash-Games Monster Evolution und Evolution 2 bedienen sich da eher dem Spore-Prinzip: der Spieler spielt Gott und entscheidet welchen Weg die Kreatur gehen soll. Das ist künstliche Selektion, wenn überhaupt. Leider findet die Entwicklung dann auch immer vom Einzeller im Wasser zum intelligenten Wesen im Weltraum statt. Ich denke dass solche Spiele eher wenig zum Verständnis der Evolution beitragen. Liest man in Foren und bei Youtube die Kommentare zu Spore oder solchen Spielen, ist leider nur wenigen Kommentatoren Natürliche Selektion ein Begriff, und Mutationen dienen eher dazu, ein Individuum zu verbessern.
“Komm, ich lasse mir Flügel wachsen, damit ich den schießenden Soldaten davon fliegen kann.”
Eine wunderbare Alternative ist das zum Darwin-Jahr 2009 produzierte Online-Spiel des Science Channels: Darwin’s Survival Game. Liebevoll designt, mit einem Charlie Darwin in der Ecke, der mit ausgefallenen Hüten für Unterhaltung sorgt während er Tipps gibt. Und zum ersten Mal steuert man nicht die Evolution, sondern lediglich die Verbreitung einer Anpassung in der Population. Steht ein kalter Winter bevor, lohnt es sich, Allele für dickes Fell in der Population zu haben. Ziel ist es, seine Population möglichst divers zu halten, damit sie die 1-Million-Marke erreichen. Aber selbst wenn man mal nicht an alles gedacht hat, darf man als Joker eine neue Mutation einbringen.
Darwin Pond
Es gibt viele lehrreiche Spiele zur Evolution, manche sind dabei besser gemacht als andere. Bei denen fehlt es meist nur leider am Spaß und an einem schönen Design. Wo ist das Spiel in ansprechender 3D-Grafik, in dem ich die Allelverteilung in den Populationen bestimmen darf und die Ökologie verändere um es den kleinen, süßen Kreaturen nicht zu einfach zu machen?
Das Nächstbeste, was ich finden konnte, ist Darwin Pond, eine Simulationssoftware ähnlich dem berühmten Blinden Uhrmacher von Richard Dawkins (den man übrigens mittlerweile auch online ausprobieren kann). Schön ist bei Darwin Pond allerdings das Spielelement. Es ist nichts weiter als eine Simulation von kleinen, schwimmenden Viechern in einem Teich; aber ihr Aussehen und ihre Fähigkeiten hängen von vielen Faktoren ab. Sie haben Farbpräferenzen bei den Partnern, unterschiedlich komplexe Bewegungen, sie sind ständig auf der Suche nach Futter, und man kann sich in die Evolution der Population einmischen indem man künstliche Mutationen herbeiführt. Aber bei dem Versuch, eine gesunde dreibeinige Gruppe zu evolvieren (oder zwei Populationen, die sich nicht mehr miteinander paaren), stellt man eines fest: Egal was man tut, am erfolgreichsten und gesündesten sind die Tiere dann, wenn man sie in Ruhe lässt. Nach 6 Stunden hat sich ein gesundes, aber durchaus spannendes Gleichgewicht eingestellt. Die Grafik ist dem Spielalter entsprechend simpel (die erste Version ist von 1996), aber als Biologe muss ich zugeben: es macht erstaunlich Spaß!
Das perfekte Evolutionsspiel gibt es bisher leider nicht. Eine Simulation schafft es nur bis zu einem bestimmten Punkt, Spielspaß zu entwickeln. Aber Evolution funktioniert nun mal nicht als Actionspiel, und nicht als Taktik- oder Strategiespiel. Das widerspricht dem Kerngedanken des Ganzen …
Das perfekte Spiel mit Evolution als Schwerpunkt? Für mich wäre es wahrscheinlich eine Art Puzzle.
Kennt sonst noch jemand ein Spiel, sei es zur Unterhaltung oder zum Lernen, in dem evolutionsbiologische Konzepte benutzt oder erklärt werden?
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