Kino in 3D! Das ist so etwas spektakuläres wie der erste Tonfilm. Oder die Arriflex 35. Oder der erste Film in brillianter Technicolor-Farbe. Das Breitbildformat. Dolby Surround. Kurz: Eine Revolution des Kinos.
In erster Linie profitiert 3D-Kino davon, dass das Publiukum – wir – so für einen einfachen Kinoeintritt mittlerweile über 10 Euro hinblättern müssen. Vorbei ist die Zeit des 4,50 Euro Kinodienstag.
Ich würde ja behaupten dass ein einfacher Film, ein 2D-Film, mindestens genauso viel Dreidimensionalität besitzt wie ein 3D-Film. Die Eröffnungssequenz von Christopher Nolans The Dark Knight zum Beispiel: eine beeindruckende Kamerafahrt, deutlich in Anlehnung an Hitchcocks Markenzeichen, führt uns immer näher an ein komplett verspiegeltes Gebäude heran. Die Kamera ist digital wegretuschiert, so dass wir uns völlig frei durch die Luft bewegen. Schlagartig vergessen wir, dass wir in einem Kino sitzen und tatsächlich sind wir im Freiflug auf einen Wolkenkratzer zu. Das ist 3D, und zwar völlig ohne verdunkelnde Brille.
Vor ein paar Tagen schrieb der Oscarpreisträger Walter Murch, verantwortlich für den Schnitt bei Apolcalypse Now, an den Chicagoer Filmkritiker Roger Ebert. Wer Rogers Blog folgt, weiss dass er kein Freund von 3D ist. Und Herr Murch unterstützt ihn dabei voll und ganz. Der Brief ist äußerst lesenswert.
Aber die eigene Abneigung ist kein Grund, weswegen 3D-Kino uns bald wieder verlassen wird. Ich glaube aber, dass es sich auch heute nur um eine Modeerscheinung handelt. Und die Gründe, warum wir 3D bald wieder los sind, sind die gleichen wie schon bei den letzten Hochphasen in den 1950ern und 80ern.
Die Bilder werden dunkler
Jeder, der einen Film erst in 3D und dann in 2D schaut, wird feststellen, dass plötzlich ein Vorhang aufgeht und Licht auf die Leinwand fällt. Die Brillen verdunkeln das Bild, da sie nicht mehr so viel Licht ins Auge lassen. Pixars Oben, mit all seinen bunten Ballons und einem atemberaubenden Ausblick über Südamerika (ja, und über Iowa auch), wirkt blasser in 3D. Dabei müsste das gar nicht sein. Der Film ist im Computer entstanden, so dass man problemlos die Lichtstärke um ein paar Candela anheben könnte. James Cameron hat das für Avatar gemacht. Er wusste dass der Film in 3D zu dunkel sein würde, und kümmerte sich direkt beim Dreh um die Lichtverfügbarkeit.
Das zeigt aber, dass es möglich ist, einen Film in 3D zu produzieren, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Es wird selten gemacht, da viel Geld für diesen Prozess drauf geht, aber generell besteht die Möglichkeit. Es gibt allerdings ein Problem, dass in naher Zukunft nicht gelöst werden wird.
Unser Gehirn kann mit den 3D-Bildern nicht mithalten
Die Evolution des Menschen hat das 3D Kino nicht berücksichtigt.
Genauer gesagt, unser Auge ist kaum in der Lage, den plötzlich wechselnden Fokus bei einem Film nachzuvollziehen. Bei einem 2D-Film schauen wir auf eine Ebene, die in einem bestimmten Abstand von uns entfernt ist. Wir fokussieren auf sie und können den gesamten Film dann genießen. 3D macht es uns nicht so einfach. Hier wird die Ebene zu einem Raum aufgeblasen. Es gibt Charaktere, Autos, Gebäude, Pflanzen, Tiere und komische Pusteblumensamen-ähnliche Kreaturen, die in verschiedenen Ebenen des Raumes existieren. Uns wird zwar vorgeschrieben, auf welche wir uns konzentrieren sollen, aber dennoch müssen wir ständig den Fokus wechseln. Das alleine wäre noch nicht so schwer – wir tun das im Alltag ständig. Doch ein Film arbeitet mit cinematischen Mitteln, Schnitten und zum Teil plötzlichem Schärfewechsel, dem wir zwei Stunden lang folgen müssen.
Walter Murch erklärt das Ganze mit Hilfe eines Salzstreuers, der vor einem Fenster steht. Fokussiert man auf die Bäume und Nachbarn draußen, besteht unsere Blick aus zwei fast parallel laufenden Linien. Doch betrachten wir dann den Salzstreuer auf dem Tisch, formen wir ein virtuelles Dreieck – zwischen dem Streuer und unseren beiden Augen. Das geschieht, indem sich unsere Augen in ihren Augenhöhlen leicht aufeinander zu bewegen. Im Extremfall fangen wir an zu Schielen.
Dieser Prozess nennt sich Konvergenz. Bei einem gesunden Menschen dauert dieser Prozess des Scharfstellens max. 400 Millisekunden. Das ist zwar nicht viel, aber im Alltag müssen wir seltener und weniger plötzlich diesen Fokus wechseln. Bei einem sich bewegenden Objekt kann es sogar bis zu einer Sekunde dauern, vom Zeitpunkt des Stimulus bis zu dem Moment, auf dem wir unser Auge komplett auf das Objekt scharf gestellt haben.
Im Kino richten wir unsere Augen auf die Leinwand, während unser Fokus überall im Raum umher irrt. Das ist das der Grund, warum man Kopfschmerzen kriegt. In der Regel haben jüngere Besucher erwartungsgemäß weniger Probleme mit dieser Schwerstarbeit im Kinosessel.
(EDIT: Leser Mark hat in den Kommentaren das Problem von Konvergenz und Fokus wesentlich eleganter formuliert: “Der zentrale Kritikpunkt kommt in dem Artikel m.E. gar nicht richtig rüber: Im 3d-Kino müssen sich die Augen relativ zueinander so bewegen, als wären die betrachteten Gegenstände unterschiedlich weit entfernt (Konvergenz). Das Auge (die Linse) muss jedoch immer auf die Leinwand fokussieren, die in konstanter Entfernung vor dem Betrachter angebracht ist. Und das ist es, was vielen Menschen Kopfschmerzen bereitet. Und dafür gibt es auch keine technische Lösung, von bewegten Hologrammen mal abgesehen.”)
Wer entscheidet eigentlich was ich mir anschaue?
Der 3D-Effekt soll uns suggerieren wir wären in dem Film. Wie im echten Leben folgen wir den Charakteren durch ihre eigene Welt, doch ist uns nicht erlaubt selbst zu entscheiden, auf welchen wir fokussieren. Tiefenschärfe gibt uns vor wo die Action stattfindet. Bei einem komplexen Bildaufbau bedeutet das jedoch, dass wir uns bei jedem neuen Bild erst zu Recht finden müssen. In Avatar gibt es eine Szene, in der der Protagonist durch den Wald zu einer Reihe von Pflanzen kommt. Er berührt sie und plötzlich lösen sie sich in Luft auf, ziehen sich in die Erde zurück. Es gab viele dieser Pflanzen und ich wollte mir die Pflanzen genauer ansehen. Doch die Schärfe blieb bei dem Mann und den Pflanzen in seiner unmittelbaren Nähe.
Durch so eine Entscheidung tauchen wir nie in die 3D-Welt ein. Trotz aufwändiger Effekte bleiben wir immer in der vom Regisseur vorgeschriebenen Ebene, im Grunde nichts weiter als ein 2D-Film in einem 3D Raum. Schlimmer noch sind die Fälle in denen bildfüllend unscharfe Menschen durchs Bild rennen, aber unser Gehirn dazu gezwungen wird, sie zu ignorieren.
Die einzige Lösung für dieses Dilemma wäre, alles im Film scharf zu stellen, und dem Publikum die Entscheidung zu überlassen. Aber dann wären wir tatsächlich fast beim Hologramm, beim Holo-Deck – und das wäre fraglos ein atemberaubendes Erlebnis.
Quentin Tarantino ist der einzige Regisseur, von dem ich weiß, dass er bewusst so mit Tiefenschärfe spielt. In Pulp Fiction verfolgt Marcellus Wallace einen blutenden Butch; an einem Punkt verschnauft Butch an einer Hauswand während wir Marcellus stolpernd durch die Gassen rennen sehen – 100 Meter entfernt. Trotzdem sind beide gestochen scharf. In Jackie Brown gibt es bei mehreren Dialogen ähnliche Effekte; auch wenn die Charaktere nur ein paar Meter voneinander entfernt stehen, sind sie eindeutig schärfer als das erlaubt sein dürfte. So etwas kann entweder mit digitaler Nachbearbeitung, mit einer speziellen Split Field Lense oder einer extrem hohen Blendenzahl erreicht werden.
Ich denke, das ist auf kurz oder lang die einzige Option für einen 3D-Film. Denn solange der Film unser Gehirn dermaßen beansprucht, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns auf Dauer freiwillig in einen dunklen Saal setzen und zwei Stunden lang unsere Augen müde machen. Nicht für über 10 Euro!
Ich warte auf das Holodeck!
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