Nun, jeder einzige dieser Fehler findet sich aber nicht nur beim Menschen, sondern auch noch woanders … in Schimpansen und Gorillas ist dieses Gen genauso fehlerhaft vorhanden wie bei uns. Die einfachste – und wahrscheinlichste – Erklärung dafür ist, dass wir alle einen gemeinsamen Vorfahren hatten, der auch nicht unbedingt ein völlig funktionsfähiges sechstes beta-globin Gen hat. So kann man an Hand von Fehlern in unserer DNA Schlüsse über Verwandtschaft ziehen. Und DNA hat noch weit mehr Gene, die alle Fragmente von längst vergessenen Fehlern beinhalten.

Falsch kombiniert?

Mutationen zu kriegen ist einfach, wir alle kommen mit einer auf die Welt. Viel schwieriger ist es, welche zu bekommen, die uns auch gleich einen Vorteil bieten, denn im Großteil der Fälle führen sie eher zu Problemen. Doch ohne sie gäbe es nicht so viel Vielfalt in der Welt. Ohne Fehler würde Selektion nicht stattfinden können.

Aber was bedeutet das für uns? Sollten wir auch möglichst viele Fehler machen? Den irrsinnigen Gedanken, ein evolutionsbiologisches Konzept auf soziale Strukturen zu übertragen, hatten wir eigentlich schon mit dem Sozialdarwinismus ad acta legen sollen. Man kann einen evolutionären Prozess, der über Hunderte, ja, Tausende von Generationen wirkt, nicht auf das Leben eines einzigen Individuums reduzieren. Individuen evolvieren nicht! Es ist vielleicht verlockend, zu sagen, dass was bei der Evolution des Menschen hilfreich war, auch für uns nicht schlecht sein kann – quasi “Aus Fehlern wird man klug.” Aber nun zu versuchen, ganz viele Fehler zu machen, um möglichst viel zu lernen, ist albern. Eben wie in der Evolution kann jeder Fehler in eine Sackgasse führen. Was ein Allel, eine Genvariante, zum Erfolg führt, kann für ein anderes das bittere Aussterben bedeuten. In unserem Alltag können Fehler passieren, die nicht wieder gut zu machen sind. Diese zu riskieren, ist – kurz gesagt – dumm.

Tatsache ist aber, dass Fehler uns helfen zu lernen. Wir alle machen Fehler, und genau wie bei der Entstehung von Mutationen kann analog bei uns ein Fehler zu einer Verbesserung führen. Dies wird zunehmend auch in Schulen erkannt. Besonders in Mathe wurde zu meiner Schulzeit noch sehr viel Wert darauf gelegt, dass man alles korrekt beherrscht und die Fehler so weit wie möglich minimiert. Heute werden Kinder zum entdeckenden Lernen ermutigt. Fehler werden dabei gerne in Kauf genommen, denn sie helfen den Kindern, selbst die Lösungen zu ihren Problemen zu finden.

Positive Mutationen in einem Genom sind etwa so selten wie sechs Richtige im Lotto (mit Zusatzzahl). Ein Fehler, der uns zu einer einfacheren, besseren Lösung eines Problems verhilft, kommt da schon wesentlich häufiger vor. Unser größter Vorteil ist, dass wir dem nachhelfen können, indem wir bewusst mit Fehlern umgehen, und nicht um jeden Preis versuchen, sie zu verhindern. Denn dabei lernen wir ganz sicher nichts.

Der britische Genetiker Steve Jones sagt in seinem Buch “Almost like a whale” irgendwo: “Errors are the stuff of evolution.” Auf genau diese Weise fasst er etwas später dann Darwins “Great idea” sehr prägnant zusammen:

Leben ist eine Reihe erfolgreicher Fehler

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Kommentare (11)

  1. #1 MisterX
    Juni 5, 2011

    Sehr interessanter Artikel.
    Aber EHEC bedeutet im momentanen Zusammenhang nicht Escherichia coli sondern EnteroHämorragische Escherichia Coli .
    Füht vielleicht zu verwechslungen weil der normale EC ja auch bei uns im Darm vorkommt, und der hat mit den Krankheiten die vom ECEH ausgelöst werden nix zu tun.

    gruß 🙂

  2. #2 MisterX
    Juni 5, 2011

    Ohh, im letzten Satz meinte ich natürlich “…mit den Krankheiten die vom EHEC ausgelöst werden…….”

    ^.^

  3. #3 Locman
    Juni 5, 2011

    Grandioser Artikel. Während dem Lesen für mich klar und offensichtlich, als hätt ich mir das alles schon mal überlegt. Hab ich teilweise auch, aber zum Großteil sind hier neue und sehr anregende Gedanken und Darlegungen drinnen.
    Danke!

  4. #4 Theres
    Juni 6, 2011

    Ein gelungener Artikel, wirklich gut erklärt … obwohl, der letzte Satz stört mich doch. Ich halte ihn nämlich für wahr 😉

  5. #5 Redfox
    Juni 6, 2011

    Sehr interesanter Artikel, danke dafür!

    … wie die, die jetzt auf Gurken (oder sind es Tomaten?) auftauchen.

    Sprossen sind im Moment die vermutete Saat des Bösen.

  6. #6 Polygon
    Juni 6, 2011

    Echt toller Artikel!
    Sprossen? Solange Schnitzel ausgeschlossen sind, mache ich mir keine Sorgen. Ich lebe eh nicht so gesund und esse kaum gesunde Sachen.

  7. #7 Dr. Webbaer
    Juni 8, 2011

    Kurz angemerkt: Es gibt in der Natur (vs. in rein mathematischen Modellen) keine Fehler, jedenfalls keine sicheren, weil auch ex post nie klar wird, ob es wirklich ein Fehler war. – “Fehler” sind meist der Versuch der Beschreibung aus einer Ex-Post Sicht heraus einen Misserfolg zu erkennen. Aber war die “fehlerhafte” Maßnahme auch ex ante nicht erfolgsversprechend?

    Was ist eigentlich das Gegenteil eines Fehlers?

    MFG
    Dr. Webbaer

  8. #8 Nils
    Juni 8, 2011

    @Webbaer:
    Diesen Kommentar hatte ich schon erwartet. 😉 “Fehler” sind ein komplexes Thema – semantisch, weil er in so vielen verschiedenen Bereichen (z.B. Mathematik vs. Natur) unterschiedlich benutzt wird; philosophisch, weil an einen Fehler gerne eine Schuld geknüpft wird und so die Willensfreiheit da eine Rolle spielt; oder aber im Baseball, wo etwas erst ein Fehler wird, wenn jemand anderes davon profitiert hat.

    Ich sehe das eher pragmatischer und definiere “Fehler” dafür so wie unser Institut für Normung (DIN): “Nichterfüllung einer Anforderung”. Die Definition lässt sich zwar auch diskutieren, und natürlich erkennt man einen Fehler erst aus ex-Post-Sicht, aber das ändert nichts daran, dass Fehler auch in der Natur vorkommen. Die Anforderung an die DNA Polymerase ist das korrekte Ablesen. Tut sie das nicht, macht sie einen Fehler. Das ist das Gleiche wie wenn ich in einen falschen Zug einsteige. In beiden Fällen machen wir Fehler, da der Ausgang nicht der war, den wir beabsichtigt hatten. Dabei ist egal ob der falsche Zug sich als eine günstige Abkürzung herausstellt, oder ob eine Mutation entsteht, die im Nachhinein einen evolutionären Vorteil mit sich bringt.

    Das Gegenteil von Fehler wäre damit die “korrekte Erfüllung einer Anforderung”, oder?

  9. #9 Dr. Webbaer
    Juni 8, 2011

    Das Gegenteil von Fehler wäre damit die “korrekte Erfüllung einer Anforderung”, oder?

    Dr. W würde hier vergleichsweise gerne das Wirtschaftsleben bemühen wollen und dort wird oft von Fehlern gesprochen, die keine sind, sondern Ex-Post-Feststellungen eines Mißerfolgs bei gleichzeitiger Inhaftnahme einer oder mehrerer Personen. – War eine Maßnahme dagegen wirtschaftlich erfolgreich, wird sie oft von höheren Schichten als Leistung behauptet. Der Erfolg einer Maßnahme sozusagen als Gegenteil des Fehlers (oder “Fehlers”).

    Man muss hier in der Tat philosophisch bemüht sein, um noch Honig saugen zu können aus dem Begriff des Fehlers – oder eben erdig und kojotenhaft.

    MFG
    Dr. Webbaer (der ein wenig überrascht ist im Zusammenhang mit der Biologie von Fehlern zu lesen und der zudem oft ein und denselben Fehler mehrfach macht, ein No-Go für einige 😉

  10. #10 Dr. Webbaer
    Juni 8, 2011

    Nachtrag:

    Die Anforderung an die DNA Polymerase ist das korrekte Ablesen. Tut sie das nicht, macht sie einen Fehler.

    Die technische Definition, schon verstanden. Dr. W ging es eher um das Wesen des Fehlers an sich. 😉

  11. #11 Redfox
    Juni 10, 2011

    Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.
    — Samuel Beckett