Dies ist wahrscheinlich die berühmteste Abbildung zum Thema Evolution:
Fast jeder hat sie schon einmal irgendwo gesehen. Auf Buchumschlägen, in Zeitschriften, als Graffiti auf Häuserwänden oder als Logo von irgendeiner Stiftung. Und wenn nicht unbedingt in dieser vereinfachten Form, dann in einer ihrer endlosen Parodien, wie z.B. dieser hier:
Nur wenige wissen allerdings, woher diese Zeichnung eigentlich kommt. Die Originalzeichnung ist von Rudolph Zallinger und wurde unter dem Titel “The Road to Homo sapiens” in einem von Time-Life publizierten Buch zur Evolution des Menschen angefertigt. Bekannt wurde die Abbildung unter dem Titel “March of Progress” (in deutsch etwas salopp ausgedrückt: der Aufstieg des Menschen). Beide Titel sind sehr unglücklich gewählt und wahrscheinlich der Grund für die Unbeliebtheit der Abbildung. Ursprünglich waren 15 Vorfahren darauf zu erkennen:
Ich habe ja schon das eine oder andere Mal zugegeben, dass ich mit der Abbildung gar nicht so ein Problem habe wie manch anderer. Aber es gibt sicher Einige, die mir widersprechen, wenn ich sage: “Mit dieser Abbildung ist doch alles in Ordnung.” Kürzlich auf den amerikanischen ScienceBlogs tauchte dieses Motiv dann in einem Artikel auf, der 5 falsche wissenschaftliche Abbildungen auflistete, die mittlerweile so wiedererkennbar sind, dass sie trotz ihrer Fehler für Realität gehalten werden. Zum Beispiel kann man an diesem Modell des Sonnensystems den Eindruck bekommen, dass die Sonne gar nicht sooo groß ist wir viiiiel näher an der Sonne sind als das der Fall ist:
Ich frage aber jetzt noch einmal, warum genau diese Abbildung menschlicher Evolution auf der Liste landete. Was ist falsch an der bekanntesten Grafik zur Evolution des Menschen?
Lassen wir einmal außer Betracht, dass die Details in der Abbildung recht variabel sind und dass wir die eine oder andere grafische Änderung unserer Vorfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit vornehmen müssen. Der Homo neanderthalensis ist in dieser Liste eindeutig als Vorfahre vom Homo sapiens zu erkennen, obwohl die beiden vor ca. 400 000 Jahren ihre separaten Wege gingen (auch wenn sie sich ca. 300 000 Jahre später noch einmal über den Weg liefen). Und Australopithecus sediba fehlt selbstverständlich hier noch (da er vor etwas über einer Woche erst in der Zeitschrift Science präsentiert wurde). Mir geht es bei dem Bild auch eher darum, ob es einen falschen Prozess darstellt und nicht ob die Details stimmen. Würden wir ein Sonnensystem in korrekten Größenverhältnissen darstellen wollen, könnten wir auch außer Betracht lassen, ob die Färbung von Saturn nun 100%ig korrekt ist. Und ich muss zugeben, ich tue mich schwer damit, diese Evolutions-Abbildung für das zu kritisieren, was sie ist.
Und was ist sie?
Wir sehen die Entwicklung von einem kleinen, tanzenden Affen zu einem recht vetraut aussehenden hominiden Mann. Die x-Achse ist dabei eine Zeitachse; die y-Achse soll wohl die Größe darstellen. Soweit ist alles mehr oder weniger korrekt, oder? Was fehlt dann bei dem Bild? Natürlich fehlen viele Zwischenformen, aber das ist verständlich, denn für eine Grafik wie diese steht nur wenig Platz zur Verfügung (und für die Abbildung in seinem Originalzustand musste man sie extra aus dem Buch ausklappen um die Primaten alle zu sehen). Viele evolutionäre Sackgassen sind außerdem weg gelassen, genauso wie die erfolgreichen anderen Lebewesen, die nach dem tanzenden Affen entstanden sind. Warum? Weil es hier nur um den Menschen geht und nicht um den Gorilla?
Das Hauptproblem ist aber wahrscheinlich eher die Suggestion von Fortschritt. Doch tut die Abbildung das wirklich? Würde es um ein anderes Tier gehen als den Menschen, käme man wahrscheinlich nie auf den Gedanken, das letzte Tier als die Krone der Schöpfung zu sehen, oder? Und es wäre auch sofort klar, dass es sich hier nur um einen Ausschnitt handelt und nicht die komplette Entwicklung.
Man hat bei dieser Art von Darstellung (egal ob mit Mensch oder mit Wal) zwangsläufig etwas den Eindruck, dass die Richtung von links nach rechts eine Art Fortschritt darstellt – nicht zuletzt dadurch, dass das Originalmotiv “March of Progress” genannt wurde. Das ist natürlich völlig falsch, und sobald in einem Buch diese Abbildung benutzt wird, um Fortschritt zu erklären, bricht der Sinn der Abbildung zusammen. Aber zeigt die Abbildung selbst, dass es eine konstante Weiterentwicklung hin zum prächtigen Homo sapiens gab? All unsere Vorfahren nehmen in der Größe zu, aber auch das ist nicht wirklich falsch. Der Gedanke an Fortschritt entsteht lediglich durch unsere Sicht, dass wir am Ende der Reihe stehen. Drehen wir also das Ganze mal um:
Wir beginnen beim Menschen und schauen uns nach und nach die einzelnen Vorfahren an. Ich finde das informativ und anschaulich gestaltet. Diese Abbildungen haben weder Anfang noch Ende; und ich denke dass den meisten Leuten das bewusst ist. Zumindest dass der kleine Affe am Anfang nicht den Anfang darstellen kann, ist klar. Aber auch dass der Mensch nicht das Ende der Evolution darstellt, wird deutlich wenn man sich den Großteil der Parodien dazu anschaut. Der Schwerpunkt liegt meistens auf: “Was kommt nach Homo sapiens?”
Zugegeben, der Schimpanse am Anfang der letzten Variante dreht die ganze Argumentation auf den Kopf. DAS ist tatsächlich falsch. Aber ich fürchte, der Mythos, dass der Mensch vom Schimpansen abstammt, wird sich noch ein Weilchen halten. Daran ändert auch eine korrekte Abbildung des Zallinger-“Aufstiegs” nichts.
Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Abbildung fehlgedeutet wird. Aber wie so oft bietet sie auch die Möglichkeit, das Thema “Evolution” anzusprechen und im Idealfall Missverständnisse aufzuklären. Das macht sie effektiver als fast irgendeine andere Grafik. Die Abbildung ist nicht falsch, sie könnte nur etwas erklärenden Text gebrauchen, genau wie sie es in ihrem ursprünglichen Kontext hatte.
Wenn ich auch die klassischen, verschnörkelten Stammbäume bevorzuge, um die Evolution von Arten darzustellen, manche Aussagen kann man nur mit einer linearen Abbildung richtig rüber bringen:
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