Schaut man sich unser Genom an, also sämtliche vererbbare Information in unseren Körpern, lässt sich feststellen, dass wir viele Gene mit anderen Lebewesen teilen. Da liegt es nahe, anzunehmen, dass wir auch alle einen gemeinsamen Vorfahren haben, von dem wir abstammen. Dieser Vorfahre wird allgemein LUCA genannt, kurz für “Last universal common ancestor.” Dieser muss so weit zurück liegen, dass sich aus ihm die drei großen Gruppen (Domänen) von Lebewesen entwickelt haben, die es heute auf der Erde gibt: Eukaryoten (das sind wir und alle anderen Lebewesen mit einem Zellkern), Bakterien und Archaea.
Arche-was? Wie auch Bakterien besitzt diese Gruppe keinen Zellkern, unterscheidet sich aber zusätzlich durch ein paar andere Merkmale, besonders in der ribosomalen RNA.
Hier sind alle drei Gruppen einmal schematisch nebeneinander aufgezeigt:
Uns findet man oben rechts. LUCA ist auf dieser Abbildung auch schon zu finden, und zwar in der Mitte unten, wo sich die schwarzen, blauen und roten Linien treffen. DAS ist unser letzter gemeinsamer Vorfahre mit Pflanzen, Pilzen, Protozoen, Bakterien und Archaeen.
Darf ich vorstellen, LUCA
Hypothetisch existierte unser letzter gemeinsamer Vorfahre ungefähr solange wie die Menschen wussten, dass wir mit anderen Lebewesen der Erde verwandt sind. Es ist aber schwieriger, direkt Hinweise darauf zu finden, wie LUCA ausgesehen hat. Es ist schon schwierig, einen Eindruck davon zu bekommen wie unsere Vorfahren vor ein paar Tausend Jahren aussahen, da ist es quasi unmöglich sich vorzustellen, wie Leben vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren aussah.
Bisher wurde angenommen, dass diese Kreatur, wenn ich sie mal so nennen darf, unheimlich simpel strukturiert sein musste. Ein bisschen RNA, vielleicht zusammengehalten durch etwas Zytoplasma und bestenfalls eine dünne Membran. In einer neuen Studie in dem (mir bislang völlig unbekannten) Journal “Biology Direct” wird jetzt darüber diskutiert, ob LUCA vielleicht schon komplexer war, als man bisher annahm.
Die Autoren fanden nämlich Hinweise auf ein “Körnchen” in Archaeen, von dem bisher angenommen wurde, dass es nur in Bakterien und Eukaryoten existierte. Diese Körnchen mit dem komplizierten Namen Acidocalcisome sind Zellinterne Speicher für Phosphor und Metallionen. Sie finden sich in fast allen größeren Gruppen von Lebewesen, in Bakterien, Schleimpilzen, Amöben, Algen, den berüchtigten Malariaerregern und auch in menschlichen Thrombozyten, unseren Blutplättchen. Sie sind also bislang in zwei von den drei Domänen bekannt gewesen. Nun scheint es, als gäbe es sie auch in Archaeen.
Das Interessante an diesem Fund ist, dass es sich bei den im Englischen als “volutin granules” bezeichneten Körnchen um Organellen handelt, die eine Membran besitzen. Eukaryoten wurden traditionell von den Prokaryoten unterschieden eben weil Bakterien und Archaeen keine Organellen mit Membranen im Zellinnern besaßen. Nun kennen wir aber mindestens zwei Bakterien, bei denen das der Fall ist, und seit dieser Studie anscheinend auch einen Vertreter der Archaea (Methanosarcina acetivorans).
TEM-Aufnahme von Methanosarcina acetivorans. Die Pfeile zeigen auf leere, leicht gefüllte und komplett gefüllte “Körnchen.” (Quelle: Biology Direct 2011, 6:50)
Dieses Organell, dieses “Körnchen,” ist damit das einzige, welches in allen drei Domänen des Lebens vorkommt. Es liegt nahe, zu vermuten, dass es daher auch in LUCA vorkam. LUCA wäre dadurch schon wesentlich komplexer als bisher angenommen. Doch nicht nur das, dieser Vorfahre wäre auch komplexer als viele seiner Nachfahren, denn in einem Großteil von Archaeen und Bakterien findet sich so ein membranöses Organell nicht mehr.
Das führt uns zu einer schon lange geführten, recht komplizierten Diskussion darüber, wie Bakterien eigentlich ihre Gene bekamen: Durch “vertikale” Vererbung von ihren Vorfahren, oder durch “horizontale” Weitergabe an andere Organismen? Aber eines nach dem anderen …
Wie vergleicht man eigentlich zwei Lebewesen?
Alle Lebewesen haben eine Menge Gene gemeinsam, es gibt also viele identische Sequenzen von Basenpaaren in den verschiedenen Genomen. Allerdings gibt es auch einzigartige Gene, die uns voneinander unterscheiden und uns z.B. erlauben dass wir Autos bauen und fahren können, während die Schimpansen zu Fuß gehen müssen. Man kann also nicht einfach sagen, dass Menschen und Menschenaffen sich zu so-und-so-viel Prozent gleichen; stattdessen schaut man sich an, wie ähnlich sich vergleichbare Gene sind. Bei Homo sapiens und Pan troglodytes, dem Schimpansen, ähneln sich diese Gene zu 95-98%. Vergleichen wir die Maus Mus musculus mit uns, ähneln sich die Gene im Durchschnitt zu 85%, was aber von Gen zu Gen sehr stark schwankt.
Maus und Mensch haben auch ungefähr gleich viele Basenpaare, ca. 3 Milliarden, doch bei anderen Lebewesen ist so ein Vergleich komplizierter. Viele Insekten haben nur einige 100 Millionen Basenpaare, und das Bakterium E. coli hat gerade mal 4,5 Millionen. Archaeen wiederum haben nur etwa 1-3 Millionen Basenpaare. Um diese Lebewesen miteinander vergleichen zu können, müssen wir bei der Untersuchung der Genome die Gene nehmen, die in beiden zu vergleichenden Gruppen vorhanden sind.
Etwa die Hälfte der Gene von Archaea ist für sie einzigartig. Das heißt, dass z.T. nur eine halbe Million Basenpaare mit denen eines Menschen vergleichbar sind; und die können immer noch so verschieden sein, dass ein Vergleich völlig sinnlos wäre. Es gibt sie aber, die vergleichbaren Gene; aber es sind wenige und die Ähnlichkeit mit denen von Vertebraten schwanken verständlicherweise noch mehr als die zwischen Maus und Mensch. Gene für ganz bestimmte Enzyme finden sich z.B. in Archaeen, Bakterien, Küchenschaben und Menschen. Einige hundert Gene von Eukaryoten scheinen ihren Ursprung in den Archaeen zu haben. Und dann haben wir z.B. auch an die 40 Gene, die, soweit wir bisher wissen, nur bei Menschen und Bakterien auftauchen.
Der Grund dafür kann aber nicht nur die gemeinsame Abstammung sein, sondern ein (horizontaler) Gentransfer von den Bakterien zu uns. Horizontaler Gentransfer ist ein Problem in der Systematik, da die Gene, die wir zur Bestimmung der Verwandtschaft benutzen, sich in gewisser Weise erst später in das Genom eingeschlichen haben. Dieses Problem besteht in erster Linie bei den Prokaryoten und macht es den Forschern, die daran arbeiten, alles andere als leicht, eine Art Stammbaum aufzustellen. Prof. William Martin von der Universität Düsseldorf hat das Problem sehr schön illustriert:
Vorschlag für einen Stammbaum des Lebens. Verschiedene Gruppen von Prokaryoten sind hier farblich unterschiedlich dargestellt. Die Abbildung soll das Problem des horizontalen Gentransfers in den Eubakterien beschreiben (verdeutlicht in der Vergrößerung unten links). (Quelle: verändert nach BioEssays 1999, 21:99-104 – Datei als PDF)
LUCA selbst könnte demnach sehr primitiv und frei von Organellen gewesen sein. Die Gene für die Speicher-Körnchen wären dann erst viel später durch Transfer in den drei Domänen verteilt worden.
Die Forscher der University of Illinois, die nun ihren Fund publizieren, widersprechen dieser Hypothese jedoch. Sie haben nämlich ein Enzym (eine Phosphatase) verfolgt, das in Bakterien, Archaeen und Eukaryoten vorkommt und eine wichtige Rolle bei Acidocalcisomen spielt, eben diesen in Archaea neu entdeckten Körnchen. Dort fördern diese Phosphatasen den Ionentransport in das Organell hinein. Ein Stammbaum aus beinahe 280 Organismen, basierend alleine auf diesem Enzym, ist fast identisch mit einem Stammbaum des Lebens, der auf hunderten von verschiedenen Genen basiert. Das würde bedeuten, dass die untersuchten Phosphate – und somit auch die Acidocalcisomen – sehr, sehr alt sind.
Etwa so alt wie LUCA.
Die Anwesenheit dieses Organells in Archaea und Bakterien und Eukaryoten lässt sich auf vielen Wege erklären, doch laut den Autoren ist die Erklärung, dass es in LUCA vorkam und nachträglich verloren ging, die statistisch wahrscheinlichste. Stammbäume werden auf dem Prinzip der Parsimonie aufgebaut, und danach ist die einfachste Form für einen Stammbaum auch die realistischste. Ihr Stammbaum zeigt, dass die Enzyme aus Acidocalcisomen zu Beginn da waren.
James Whitfield, einer der Autoren dieses Papers (und nebenbei bemerkt ein großartiger Banjo-Spieler) sagt dazu folgendes:
Seufferheld, M., Kim, K., Whitfield, J., Valerio, A., & Caetano-Anolles, G. (2011). Evolution of vacuolar proton pyrophosphatase domains and volutin granules: clues into the early evolutionary origin of the acidocalcisome Biology Direct, 6 (1) DOI: 10.1186/1745-6150-6-50
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