Das “Human Genome Project” war einst ein ambitioniertes Project mit dem Ziel, das menschliche Genom zu sequenzieren. Es dauerte zwar einige Jahre, genügend Genetiker dafür zu begeistern, aber als es 1990 begann fragte kaum jemand “warum?” Die Herausforderung alleine war schon faszinierend, ganz zu schweigen von den zu gewinnenden Erkenntnissen. Es dauerte über 10 Jahre, alle Chromosomen des Menschen zu sequenzieren. Während die Wissenschaftler langsam und mühsam nach und nach die einzelnen Chromosomen sequenzierten, wurden sie aber vom technologischen Fortschritt eingeholt. Gibt es da nicht eine Arthur C. Clarke-Geschichte, in der Astronauten 30 Jahre nach dem Aufbruch zu einem fremden Planeten von ihren Söhnen und Töchtern eingeholt wurden? So war es auf jeden Fall hier: eines Tages im Jahre 1998 hatte Craig Venter mit seiner Firma Celera die privat investierte Konkurrenz zum öffentlich finanzierten Humangenomprojekt ausgerufen. 2001 waren dann beide (mehr oder weniger) fertig und publizierten ihre Daten nebeneinander – einer in Science, die anderen in Nature.
Jetzt, 10 Jahre später, hört man ab und zu immer wieder Kritik an dem Mammutprojekt, denn die Ergebnisse fielen bescheidender aus, als man sich erhofft hatte. Die Entdeckungen lassen sich bei Wikipedia in 4 Sätzen zusammenfassen. Es ist zwar interessant zu sehen, dass nur knapp 2 Prozent des menschlichen Genoms für die Herstellung von Proteinen ist und dass die Hälfte all unserer DNA nichts weiter ist als Wiederholungen von Sequenzen sind, für die wir bislang keine wirkliche Funktion kennen. Aber abgesehen von diesen beschreibenden Datensätzen können wir mit Hilfe des Genoms immer noch keinen Krebs heilen, keine Trisomie 21 verhindern, und sowieso sind wir noch weit weg vom Szenario aus “Gattaca.”
Zum Glück?
Ich denke, die Erwartungen, die eine komplette Genomsequenzierung geschürt hat, waren zumindest in den Medien viel zu hoch. Aber dennoch ist Vielen nicht bewusst, welch ein Fortschritt so eine Sequenzierung mit sich bringt. Zu Beginn hielt man die nichtkodierenden Bereiche wortwörtlich für “Schrott,” doch mittlerweile hat das Humangenomprojekt dazu beigetragen, diese Sichtweise zu ändern. Gerade in den Wiederholungen könnten die Erklärungen dafür liegen, wie die kodierenden Bereiche zu Stande kommen. Das Projekt ist zwar offiziell beendet, aber die Forschung an unseren Genen geht weiter.
Und nicht nur an unseren. Genome werden momentan sequenziert wie nie zuvor. Zuerst waren es die kleinen Bakterien, Hefen und Pilze. Mittlerweile werden jedes Jahr ca. zwei Säugetiere sequenziert. Dieses Jahr war der Orang-Utan dran. Bei den Insekten war 2011 das Jahr der Ameise, mit insgesamt vier Genomen. Das Genom der Honigbiene kennen wir schon seit 2006. Die meisten Genome werden ausgewählt weil die Tiere besonders nützlich oder ungemein schädlich sind. Deshalb ist es einfacher, Gelder für eine Viren-übetragende Mücke zu bekommen als für … sagen wir mal … Chorthippus biguttulus.
Das neueste Genom aus der Reihe gehört aber einem ganz besonderen Problemfall, und genau das macht es faszinierend.
Die Spinnenmilbe
In den USA hat die Agrarwirtschaft irgendwie in jedem Insekten-Forschungsprojekt seine Finger mit im Spiel. Dreht es sich um etwas mit mehr als vier Beinen, gibt es immer Jemanden, der überlegt, wie man das Tier nutzen oder bekämpfen kann. Kein Wunder, da die USA auch unter den drei Topexporteuren in Sachen Landwirtschaft liegen. Die Spinnenmilbe ist dabei eines der größten Probleme, da sie unheimlich viele der für die Landwirtschaft relevanten Pflanzen fressen kann (über 1000 verschiedene Pflanzen, darunter Mais, Soja, Baumwolle und unzählige Gemüsesorten). Außerdem ist sie immun gegen die meisten Pestizide. Und sollte es etwas geben, was der Milbe etwas anhaben kann, dauert es nur wenige Jahre bevor sie auch dagegen eine Resistenz aufgebaut hat. Spinnenmilben sind für Landwirte so eine Art HIV auf acht Beinen.
Nun hat die University of Utah das Genom der Spinnenmilbe Tetranychus urticae sequenziert. Die Ergebnisse lassen überraschen und sind weitaus spannender als die meisten anderen Genome, denn viele der identifizierten Gene sind uns schon längst bekannt. Nur nicht alle in demselben Tier.
Das Spinnenmilbengenom ist erstaunlich klein. Mit ca. 90 Million Basenpaaren ist es etwa 30 Mal kleiner als das von uns und das kleinste bekannte Genom eines Arthropoden. Aber während bei uns die ganzen noch recht wirren Bereiche von Wiederholungen das Genom ausfüllen, ist das Genom von Tetranychus stark konzentriert mit Informationen. Von den 18 414 Genen (zum Vergleich: Wir haben auch nur etwa 20 000!) werden über 15 000 genutzt um Proteine herzustellen. Viele davon kennen wir: Hox-Gene sind das klassische Beispiel aus dem Biounterricht, wenn es um die Entwicklung zum Erwachsenen geht. Bei Drosophila-Fliegen z.B. lässt sich sehr gut nachverfolgen, aus welchem Körperteil der Larve später welcher Teil im Erwachsenen wird. Das Hox-Gen Antennapedia zum Beispiel spielt dabei eine Rolle bei der Aktivierung der spezifischen Gene in dem Körperteil, an dem die Beine ansetzen, so dass eine Fliege Beine am Kopf bekommt, wenn Antennapedia-Proteine im Kopf exprimiert werden. Der Spinnenmilbe fehlen allerdings zwei dieser Hox-Gene, die bei allen anderen Arthropoden vorkommen. Der Körperbau der Spinnenmilbe fällt tatsächlich durch die Reduktion einiger Abschnitte auf und das Fehlen von zwei Hox-Genen könnte die Ursache dafür sein.
Ecdysteroide wiederum sind Hormone, die eine wichtige Rolle bei der Häutung von Spinnen und Insekten spielen, doch gerade das bei Insekten am weitesten verbreitete, 20-Hydroxyecdyson, konnte bei der Spinnenmilbe nicht gefunden werden. Insgesamt sind erstaunlich viele Gene in der Evolution der Spinnemilbe verschwunden, die bei ihren Verwandten vorhanden sind. Über 1000 Genfamilien sind weg. (Genfamilien sind Gruppen von Genen, die funktionell zusammen gehören, wie etwa die Hämoglobin-Gene bei uns.) Stattdessen hat die Spinnenmilbe jedoch eine Menge zugelegt; 6609 Gene sind bislang nur bei der Spinnenmilbe zu finden.
Die eigentlichen Überraschungen treten aber erst bei den Genen auf, die Proteine zum Abbau von Giftstoffen herstellen. Und genau diese sind es auch, die die Spinnenmilbe so erfolgreich machen. Genfamilien, die bei Entgiftung eine Rolle spielen, haben bei der Spinnenmilbe zum Teil dreimal mehr Gene als aus anderen Arthropoden bekannt ist. Wenn die Milben auf neue Pflanzen übertragen werden, werden jeweils unterschiedliche Gene aus diesen Genfamilien aktiviert. Ein Experiment, welches im Zusammenhang mit der Genomsequenzierung durchgeführt wurde, bestätigte das. Die Hälfte aller Cytochrome P450 wurden bei einem Wechsel entweder an- oder ausgeschaltet. P450 ist eine große Gen(über)familie, dessen Gene bei Insekten besonders bei Konfrontation mit Pestiziden zum Einsatz kommen. Im Menschen haben sie viele Rollen, aber unter anderem interagieren ihre Enzyme bei der Einnahme von Medikamenten mit den körperfremden Stoffen, bevorzugt in der Leber.
Zuletzt wurden die Wissenschaftler allerdings vor ein Rätsel gestellt, denn sie fanden einige Gene, die wir bisher nur von Bakterien und Pilzen kannten. Dort werden sie zur Manipulation von bestimmten Molekülen benutzt. Es ist möglich, dass die Spinnenmilbe diese Gene irgendwann von Bakterien und Pilzen übernommen hat. Im Grunde wäre das ein natürlich evolviertes Beispiel dessen, was wir Menschen in der Landwirtschaft machen. In Nutzpflanzen wie Tabak werden Gene des Bakteriums Bacillus thuringiensis integriert, welche sogenannte Cry-Proteine produzieren. Diese verleihen dem Tabak Resistenz gegen verschiedene Schädlinge. Könnte es sein, dass die Spinnenmilbe auf eine ähnliche Weise so die Resistenz gegen Pestizide aufbaut?
Momentan werden 1000 menschliche Genome sequenziert, um die genetische Vielfalt von Homo sapiens besser zu verstehen. Gleichzeitig wird diskutiert, was man nicht alles mit 1000 Insekten- oder Arthropodengenomen anstellen könnte. Davon sind wir noch recht weit entfernt, aber mit der zunehmenden Sequenziergeschwindigkeit und den rapide abnehmenden Kosten (mittlerweile kann jeder sogar seinen Hund sequenzieren lassen um herauszufinden, welche Rassen in ihm stecken!) ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit. Sicher ist, dass jedes neue Genom einen Haufen neuer Fragen aufwerfen wird. Aber genauso lernen wir mit jedem Genom etwas mehr über die Entstehung und Veränderung von Arten.
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