In der New York Times wurde vor einigen Wochen gefragt: Ist es ethisch vertretbar, Fleisch zu essen? Dies ist eine Frage, die ich mir seit etwa 2002 immer wieder stelle. Der Auslöser damals war ein Vortrag in der Uni, gehalten von einem amerikanischen Professor. Er war wahrscheinlich auf einer Art Tour durch Europa, um diesen Vortrag an jeder Uni zu halten, die es ihm erlaubte. Oder er wurde speziell von meiner Uni eingeladen. Ich muss zugeben, ich erinnere mich noch nicht mal an seinen Namen. Es könnte Michael Pollan selbst gewesen sein.
Der Vortrag hat mich auf jeden Fall dazu bewegt, Vegetarier zu werden. Eine ganze Woche lang. Ich will mich gar nicht herausreden, es fehlte mir schlicht und einfach an Durchhaltevermögen, und Vegetarier zu werden war doch irgendwie mit Mühe verbunden.
Doch der Vortrag hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Seit etwa zwei Jahren habe ich meine Ernährung umgestellt. Ich bin kein Vegetarier geworden, aber ich habe Fleisch zu einem großen Teil aus meinem Alltag verbannt. Wie inkonsequent, könnte man meinen. Das mag sein, aber ich behaupte ich wäre nicht konsequenter wenn ich Vegetarier wäre. Lasst mich kurz erklären …
Es gibt für mich drei Gründe, kein Fleisch zu essen. 1) Weil wir dafür Tiere töten. 2) Weil diese Tiere Leid empfinden. 3) Weil die Tiere unter Bedingungen gehalten werden, bei denen unmöglich gesundes Fleisch bei rum kommen kann. In erster Linie Punkt 2 ist für meine Einstellung ausschlaggebend (Punkt 1, das muss ich zugeben, fällt überraschend gering ins Gewicht, wenn es z.B. um Fische oder Hühner geht). Daher weigere ich mich, Fleisch zu essen, wenn Tiere dafür unter Bedingungen gehalten werden, die nicht zu rechtfertigen sind. Allerdings werden ähnlich Tiere gehalten, die nur zur Produktion von Lebensmitteln herhalten müssen, und nicht als Fleischlieferanten dienen. Konsequenterweise müsste ich dann vegan leben, denn Eier, Milch und Käse sind leider immer noch Grund genug für Legebatterien und Tiere, die nie eine Weide sehen oder unter ihrem Übergewicht zusammen brechen.
Ich bin also wahrscheinlich inkonsequent, aber meiner Meinung nach nicht, weil ich kein Vegetarier sondern kein Veganer bin. Doch das wäre ein Schritt, der nicht nur die “armen Tiere” berücksichtigen muss, sondern – wenn man es ernst nimmt – den ganzen Alltag in Frage stellen sollte und die gesamte Ernährung von Grund auf umkrempeln muss. Jemand, der schon als Vegetarier versagt hat, kann da wahrscheinlich nicht lange mithalten …
Wie kann man aber rechtfertigen, dass man Fleisch ist, ohne lediglich sein eigenes Gewissen zu beruhigen? Die New York Times haben das versucht, indem sie vor einigen Wochen dazu aufriefen, Gründe fürs Fleischessen zu finden. Aus allen Einsendern kann man sechs der Antworten auf der Webseite lesen. Eine argumentiert, dass mittlerweile Fleisch aus dem Labor kommen kann, gegen das es keinerlei Einsprüche gibt. Ein weiterer Artikel behauptet, dass das Essen von Tieren Teil eines natürlichen Gleichgewichtes wäre, das bewahrt werden muss (eine Argumentation, mit der ich nur wenig anfangen kann). Der wahrscheinlich menschlichste Standpunkt ist der, dass es weitaus Wichtigeres gibt als die Gesundheit von Zuchttieren. Unmittelbare Probleme wie Geld oder Familie, für die wir eine größere Verantwortung haben, sollten bei jeder Entscheidung den höheren Stellenwert bekommen und könnten in Einzelfällen weniger wichtige Entscheidungen verdrängen. Doch dieser Autor umgeht damit nur das eigentliche Problem. Eine weitere Sicht ist, dass wir – die Menschen – Tiere “wie Pflanzen” anbauen, also auch die Verantwortung für ihr Wohlbefinden haben, dafür jedoch in gewisser Weise auch das Recht haben, sie zu töten. Ich sehe das zwar nicht so, aber das dem zu Grunde liegende Argument ist, dass wir bewusst nur Fleisch kaufen sollten, welches moralisch vertretbar ist. Knifflig, aber nicht unmöglich.
Der beste Beitrag wurde dann von einer Jury ausgewählt, unter denen berühmte Vegetarier wie Jonathan Safran Foer und Peter Singer zu finden sind. Gewonnen hat ein Text, der nach den Kommentaren zu urteilen auf sehr viel Unverständnis stößt. Aber irgendwie trifft er den Punkt, der auch mir wichtig ist: Egal ob Vegetarier oder Fleischesser, wir sollten darauf achten woher unser Essen kommt. Moralisch habe ich deshalb gar kein Problem damit, beim Biobauern meines Vertrauens ab und zu einzukaufen, wenn ich mir sicher sein kann, dass die Rinder dort entsprechend gut gehalten werden. Dies ist ein System dass bis vor ein paar Jahren vom Aussterben bedroht war. Doch es scheint mir fast, als fingen die Leute wieder an, bei lokalen Metzgern einzukaufen, Biokisten zu bestellen oder auch nur ein bisschen mehr Geld für Bioeier auszugeben. Diese Veränderung kann man vielleicht eher mit gelegentlichen Besuchen beim Biometzger unterstützen als wenn man sich komplett heraushält.
Oder?
Diese Thematik ist ziemlich kompliziert, und für jemanden, der mit seiner Haltung etwas bewegen möchte, ist es fast unmöglich, die richtige Entscheidung zu treffen. Veganer werden schnell als Gruppe ins Abseits geschoben. Vegetarier gibt es mittlerweile zu viele, als dass sie für einen Standpunkt einstehen könnten. Wenn es auf einer Konferenz darum geht, wer fürs Abendessen besondere Ansprüche hat, wünsche ich mir die Kategorie “Bewusster Omnivor:” Wenn ich die Kuh nicht kannte, will ich sie auch nicht essen. In den meisten Fällen bin ich also Vegetarier, aber ich würde mich nicht als solcher bezeichnen.
Ich kann problemlos auf Fleisch verzichten, aber ich könnte auch damit leben, Fleisch zu essen, wenn die Tiere vernünftig gehalten werden können. Ist diese Einstellung vertretbar? Oder nur eine Ausrede – und sollte Punkt 1 (Tiere dürfen grundsätzlich nicht getötet werden) wesentlich stärker ins Gewicht fallen?
Gibt es überhaupt respektable Gründe dafür, Fleisch zu essen? Ich rufe alle Carnivoren zu einer Stellungnahme auf …
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