Wir haben in unserer Abteilung gerade eine neue Publikation, die vom Journal mit einer Sperrfrist, im englischsprachigen Raum auch als Embargo bezeichnet, belegt wurde. Das ist nichts Außergewöhnliches und auch nichts Bedrohliches – das bedeutet lediglich, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Tageszeitungen darüber nicht berichten dürfen. Bis es soweit ist, haben Journalisten die Möglichkeit den Artikel zu lesen und Autoren, Koautoren und möglicherweise andere Experten zu der Thematik zu löchern. Für den im Journal Functional Ecology erschienen Artikel “Staying tuned: grasshoppers from noisy roadside habitats produce courtship signals with elevated frequency components” is dieser Zeitpunkt heute.
Bei dem Artikel handelt es sich um eine wirklich interessante Studie darüber, welchen Einfluss Autobahnlärm auf Heuschreckenverhalten hat. Meines Wissens ist es das erste Paper, dass einen direkten Zusammenhang zwischen vom Menschen verursachten Lärm und Insektenverhalten zeigt. Da Heuschrecken akustisch auf Partnersuche gehen, sollte man meinen, dass 24 Stunden mehr oder weniger starke Dauerbestrahlung durch bretternde Autoreifen und Motoren, dazu beitragen können, ob sich Männchen und Weibchen hören – geschweige denn finden. In ihrer Studie hat die Kollegin herausgefunden, dass die Heuschrecken ihren Gesang an den Hintergrundlärm anpassen. Sie versuchen quasi über den Lärm hinweg doch noch gehört werden. Wie genau das funktioniert, sollte man heute an verschiedensten Stellen nachlesen können, oder direkt beim Journal.
Ich darf den letzten Absatz so wie er da steht jetzt schreiben, denn die Sperrfrist endet heute. Aber darum geht es mir hier gar nicht. Passend zum Thema “Sperrfrist” bin ich nämlich vor Kurzem darauf gestoßen, was die Kehrseite der Pressemedaille hier ist. Denn so eine Sperrfrist bringt ein paar Probleme mit sich. Zum Einen klingelt den ganzen Tag das Telefon im Büro, da alle Nachrichtenagenturen, Zeitschriften, Radiosender etc. gleichzeitig ihre Interviews durchführen wollen. Das mag anstrengend sein, ist aber vielleicht die Sache Wert, da man als Autor sich so auf die Thematik konzentrieren kann und die immer wiederkehrenden Fragen irgendwann sogar im Schlaf beantworten könnte. Allerdings profitiert nicht jeder davon, den Artikel lesen zu können. Blogger und andere Wissenschaftsautoren außerhalb der “normalen” Medien müssen warten, bis der Artikel ganz regulär erscheint.
Manchmal aber stecken so viele Daten in einer Studie, dass es für einen Artikel gar nicht ausreicht. Dann werden heutzutage gleich mehrere Artikel produziert. Aber was, wenn dann die Artikel nicht alle gleichzeitig erscheinen? Wie lange muss die Presse dann warten?
In New York gab es 2009 einen Ausbruch an Mumps. Zu 97% waren orthodoxe Juden betroffen und als die Anzahl der Kranken in die Tausende ging, versuchte das Center for Disease Control (CDC) in seiner Not etwas Unorthodoxes: Sie impften Kinder, die schon beide Masern-Mumps-Röteln-Impfungen bekommen hatten mit einer dritten. Zur Sicherheit. Wahrscheinlich hat der Ausbruch auch gesunde Kinder dermaßen mit Viren konfrontiert – übertragen durch Klassenkameraden und Freunde in der unmittelbaren Nachbarschaft – dass ihr Immunsystem nicht mehr mitkam. Trotz ausreichender MMR-Impfung.
Jetzt stellt sich die Frage in wie weit das sinnvoll war und welche Nebenwirkungen die dritte Impfung verursachte. Diese Ergebnisse wurden in drei verschiedenen Artikel veröffentlicht, von denen zwei Ende Oktober erschienen. Beide hatten eine Sperrfrist und zu Halloween erschienen diese spannenden Ergebnisse in den Amerikanischen Tageszeitungen. Doch die Sperrfrist für den dritten Artikel lag beim 5. November. Die ersten beiden Paper erklärten, wie es dazu kam, dass auch geimpfte Kinder in so großen Zahlen krank wurden beziehungsweise welche Nebenwirkungen es durch die Drittimpfung gab (gerade 115 von fast 1800 Kindern zeigten überhaupt eine Reaktion, die meisten davon lediglich eine Schwellung an der Einstichstelle). Der letzte Artikel behandelte aber das, was die meisten von uns am ehesten interessierte: Hilft die Drittimpfung überhaupt?! Doch bevor diese Frage beantwortet werden durfte, musste die Welt noch eine Woche warten. Mittlerweile wissen wir, dass von den meisten Betroffenen etwa 5% an Komplikationen litten, jedoch niemand starb. Von denjenigen, die aber drei Impfungen bekamen, hatten weniger als 0,5% Probleme. Auch hier starb niemand.
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