Wer arbeitet heute noch unter 40 Stunden in der Woche? Ganz sicher nicht die Lehrer, die den ganzen Nachmittag zu Hause ihren Unterricht planen. Nicht die Elektriker, die regelmäßig zu Zwangsüberstunden verdonnert werden. Nicht die Politiker, deren Jobbeschreibung den Begriff Freizeit ganz bewusst unterschlagen hat. Und nicht die Anwälte in John Grishams Romanen, die jeden Tag 18 Stunden lang ihren Idealen hinterher rennen.
Unangefochten an der Spitze sind aus meiner (recht subjektiven) Sicht aber die Biologiestudenten. Da vergeht keine Minute, in der man nicht an die eigene Forschung denkt. Und das drei oder fünf Jahre lang. Ohne Pause. Sowas ist nichts für jeden, weshalb ich mich hier mit ein paar weisen Tipps an Studierende der Biologie richten will – Tipps, die mir einst ein Professor aus Frankreich beim Mittagessen gegeben hat und die meine Sicht der Wissenschaft nachhaltig geprägt haben.
Ist eine wissenschaftliche Karriere etwas für mich?
Dies ist die große, alles entscheidende Frage. Man beginnt sein Studium, ohne eine klare Vorstellung des Jobs, den man eines Tages ausüben wird. Als Biologe kann man quasi überall landen. Dies kann ein Vorteil sein, denn am Ende der eigenen Ausbildung stehen einem viele Türen offen. Die Mehrzahl meiner Kollegen sieht aber eher den Nachteil, dass man mit Diplom, Master oder Doktortitel keine Ahnung hat, was man eigentlich damit anfangen will. „So what are you going to do with that?“ fragt ein großartiger Ratgeber von Susan Basalla und Maggie Debelius, der sich genau an das Klientel der unentschiedenen Studierenden richtet.
Das größte Problem der Biologen des 21. Jahrhunderts ist eine fortwährende Jobunsicherheit. Nicht nur steht man eines Tages vor dem Problem zwischen Post-doc oder Pharmakonzern. Selbst wenn man weiß, dass man in der Wissenschaft bleiben möchte, wird man kaum Aussicht auf eine Stelle haben, die länger als 3 Jahre eine feste Finanzierung garantiert. Dazu kommt, dass man in Deutschlands Universitäten maximal 12 Jahre arbeiten kann, bevor erwartet wird, dass man den nächsten Schritt zur Habilitation unternimmt.
Die 12-Jahres-Regel besagt quasi, dass man als wissenschaftlicher Angestellter an einer Uni maximal 6 Jahre vor und 6 Jahre nach der Promotion arbeiten kann. Die Verträge werden somit auf maximal 6 Jahre befristet; mit wenigen Ausnahmen führt daran auch nichts vorbei. Studierenden der ersten Semester ist diese Herausforderung selten klar. Mir war sie es ganz sicher nicht. Erst als ich eine Kollegin kennen lernte, die sich im fünften Jahr nach ihrer Promotion befand, wurde für mich deutlich, wie unangenehm diese Jobunsicherheit in der Praxis tatsächlich ist.
Aber als Wissenschaftler gehört diese Unsicherheit dazu. Und mit ihr kommen viele Vorteile des akademischen Lebens, die den Wissenschaftler zu einem faszinierenden Beruf machen. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein.
Wissenschaftler sind Rockstars
Professor Michael Greenfield, Entomologe aus den USA und mittlerweile zu Hause an der Universität Tours, hat mir beim Mittagessen beiläufig folgendes gesagt: „Als Wissenschaftler machst du die gleiche Karriere durch wie ein Musiker, der Rockstar werden will.“ Jahrelange schlechte Bezahlung, Sorgen um die eigene Zukunft, aber am Ende die Chance auf eine Bilderbuchkarriere in einem außerordentlich erfüllenden Beruf.
Die Analogie hört hier noch lange nicht auf. Nicht selten zweifelt man als Musiker und als Wissenschaftler an sich selbst und seinen Fähigkeiten, lernt aber Jahrzehnte lang die Methoden kennen, die einen eines Tages zu einem großen Star bzw. einem beachteten Forscher machen. Man braucht Talent für Musik, und man braucht Talent zur Wissenschaft. Die Fähigkeit, zu singen oder ein Musikinstrument zu spielen kann man lernen, aber hebt einen das genug ab von der Masse an konkurrierenden Möchtegernstars? Als Wissenschaftler muss man schreiben können, um seine Gedanken und Ergebnisse prägnant auf den Punkt zu bringen, und dennoch ist es schwer, seine Publikationen einem breiten Publikum zu „verkaufen“. Außerdem braucht man Kreativität. Der beste Musiker ist nichts ohne den großen Song; und ein Wissenschaftler ohne einen Schwerpunkt, eine Fähigkeit oder ein Wissensgebiet, in dem er auffällt, wird es selten über den Post-doc hinaus schaffen. Zu guter Letzt gibt es in beiden Jobs eine Masse an Leuten, die dir beim Scheitern applaudieren und sich freuen, dass sie einen Konkurrenten weniger um die paar begehrten Stellen haben.
Kurz gesagt, Rockstars und Wissenschaftler müssen ihre Karriere selbst in die Hand nehmen. Wortwörtlich. Sie sollten einen Langzeitplan verfolgen und alles dafür geben, ihr Ziel zu erreichen. Früher oder später werden sie sich mit Leuten messen müssen, die nur im Ehrgeiz überlegen sind. Und am Ende steht nur einer auf der großen Bühne. Professorenstellen sind genauso rar wie große Verträge bei einem Musiklabel. Es ist erstaunlich und traurig, wie lange manche Wissenschaftler (unter ihnen wahre Genies in ihrem Bereich) von einer Stelle zur nächsten wandern, ohne den entscheidenden Durchbruch zu schaffen.
Ein Teil der wissenschaftlichen Karriere ist mit Nebenjobs gepflastert, mit Wohngemeinschaften und dem Umzug zurück zu den Eltern. Wer Biologe wird, macht diesen Job meist nicht fürs Geld. Ohne Leidenschaft wird es schwierig, in der Uni Fuß zu fassen. Wer sich nicht für sein Fachgebiet begeistern kann, wird früher oder später die Uni verlassen, um nach einer Alternative Ausschau zu halten. Häufig ist das die Industrie, manchmal heißt es “Zurück an die Schule”. Die Alternativen sind in der Regel deutlich besser bezahlt als die Wissenschaftliche Mitarbeiterstelle. Genau wie bei Musikern, die den Traum der großen Karriere (Die Band, Elwood, die Band!”) an den Nagel hängen, um Musiklehrer oder Informatiker zu werden. Habe ich schon erwähnt, dass ein häufiger Abbruch des einen Studiums einher geht mit dem Beginn eines neuen? Vom Fachwissenschaftler zum Lehrämtler ist kein seltener Karriereplan.
Der Weg zur Professur (und darauf führt fast unweigerlich jede wissenschaftliche Karriere an der Uni hin) ist steinig, steil und führt an einem gruseligen Abhang entlang. Ein besserer Vergleich ist vielleicht eine Straße mit Wegweisern, die alle vom Ziel weg zeigen. Man braucht Ausdauer, Selbstbewusstsein und vor allem Überzeugung für sein Fach. Dies haben die wenigsten. Deshalb werden nur wenige Professoren. Und aus den gleichen Gründen gibt es im Verhältnis auch nur wenige Rockstars. Fragt mal in Hollywood, wie viele gescheiterte Bands auf jeden Bruce Springsteen fallen.
Es lohnt sich trotzdem
Die meisten “gescheiterten” Musiker, die ich kenne, beschreiben die Zeit auf der Bühne als die tollste ihres Lebens. Häufig hört man ähnliches von Wissenschaftlern, die sich für einen Absprung von der Uni entschieden haben. Die Fähigkeiten, die man als Biologe lernt, helfen einem überall. Frustresistenz, eigenständiges Arbeiten, Führungsqualitäten, kritische Selbstreflexion und die Fähigkeit, strukturiert und argumentativ schreiben zu können, werden in der Industrie genauso geschätzt wie an der Uni. Schlimmstenfalls verschwendet man Zeit, aber man gewinnt Erfahrungen, die das locker wieder wettmachen.
Ich stehe nach meiner Promotion ein wenig auf der Kippe. Mein Ziel ist es nicht, Professor zu werden. Aber ich liebe die Arbeit an der Universität. Nirgends sonst hat man so viel Freiheit, so viel Kooperation und so viele Möglichkeiten, jeglichen Fragen auf den Grund zu gehen, die einen interessieren. Ich spreche von der Universität mit Leidenschaft, aber diese Leidenschaft reicht bei mir nicht aus, um meine Nische unter den Forschern zu finden. In meiner momentanen Lehrstelle an der Uni arbeite ich über die nächsten Jahre mit an der Organisation des Studiums; ich unterrichte, aber ich halte Kontakt zur Forschung. Ich bereue es nicht, die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen zu haben. Aber ich bezweifle, dass ich auf Dauer in der Wissenschaft bleiben werde.
Wäre ich noch am Anfang meine Unikarriere, würde Professor Greenfield mir wahrscheinlich folgendes raten: Nimm dir die Zeit, heraus zu finden was genau dich begeistert. Verfolge das Ziel und werde der oder die Beste in diesem Feld. Vorausgesetzt, du möchtest Rockstar werden.
Und für alle, die nun wie ich an einem Scheidepunkt zwischen der akademischen und der übrigen Welt sind, fragt euch, wie groß der Aufwand noch ist, bis ihr euer erstes großes Album produziert habt, und ob sich dieser Aufwand für euch lohnt.
Ich habe mich zwar noch nicht endgültig entschieden (und habe auch noch einige Jahre dafür Zeit), aber ich glaube, ich werde meine E-Gitarre verkaufen.
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