Im 1. Teil konnte man lesen, wie die Intransparenz der Verfahren die meisten Frauen benachteiligt. Heute schreibt sie, welche Maßnahmen für mehr Chancengleichheit sorgen könnten.
Die Regelungen für Gleichstellung in Berufungsverfahren sind suboptimal
Berufungsverfahren sind langwierige und unübersichtliche Prozeduren, nicht nur für die Bewerberinnen und Bewerber, sondern auch für die Hochschulen. Nur ein Bruchteil aller Hochschulen hat übersichtliche und vollständige Verfahrensregelungen zum Ablauf von Berufungsverfahren erstellt. Dadurch entsteht Verhaltensunsicherheit bei allen Akteurinnen und Akteuren. In solch komplexen „Strukturen” bieten informelle Netzwerke und Traditionen Sicherheit, die aber an Männern als zentralen Akteuren ausgerichtet sind.
Eine übersichtliche Formalisierung des Verfahrens trägt zur Verfahrenssicherheit und Versachlichung bei und fördert damit die Gleichstellung von Frauen und Männern. Dies gilt aber nicht automatisch: Nur wenn Genderaspekte systematisch und durchgängig in die formalen Festlegungen integriert werden, wird Gleichstellung als etwas sachlich Gebotenes wahrgenommen.
Die meisten Berufungsverfahren an den Hochschulen sind blind für Gleichstellungsaspekte.
In den gesetzlichen Regelungen der Bundesländer ist die Gleichstellung in Berufungen unterschiedlich stark verankert. Die Verankerung von Gleichstellungsaspekten in den Hochschulen und die Repräsentanz von Frauen bei Berufungen variiert entsprechend nach Bundesländern erheblich.
In Berufungsordnungen und Berufungsleitfäden der Hochschulen sind Gleichstellungsaspekte sehr uneinheitlich und meist suboptimal verankert. Insbesondere die Anforderungen der Gleichstellungsgesetze der Länder werden nicht aufgenommen. Die Frauenförderrichtlinien der Hochschulen nehmen die gleichstellungsrechtlichen Anforderungen zwar auf, werden aber in zusammenfassenden Leitfäden zu Berufungsverfahren vernachlässigt. In der Regel ist es von der kommunikativen Kompetenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und dem Gender-Commitment der Kommissionsmitglieder abhängig, ob und wie Geschlechteraspekte in Berufungskommissionen behandelt werden.
Eine Formalisierung sollte gute und gleichstellungsorientierte Praxis fördern, indem sie übersichtlich und vollständig alle Rechtsgrundlagen einschließlich des Gleichstellungsrechts aktuell zusammenfasst und Standards für gute Praxis formuliert. Vorgeschlagen werden Leitfäden für die Praxis in Berufungsverfahren, die Geschlechteraspekte durchgängig und prioritär integrieren.
Wenn in den Kommissionen nur Männer sitzen, werden Frauen teilweise abgeschreckt.
Zusammensetzung der Berufungskommissionen verändern
Die Präsenz von Frauen, insbesondere von Professorinnen in Berufungskommissionen und vor allem als Vorsitzende von Berufungskommissionen, ist für die Bewerberinnen sehr wichtig. Sie werden abgeschreckt, wenn sie, was die Regel ist, nur Männern gegenübersitzen. Entsprechende Mindestanforderungen an die Besetzung von Berufungskommissionen finden sich inzwischen in den meisten Hochschulgesetzen und werden auf Hochschulebene konkretisiert, oft aber unzureichend als nicht verbindliche Bestimmung, und in der Praxis nicht umgesetzt.
Die Frauenbeauftragten unterstützen nicht automatisch die Bewerberinnen…
Der Erfahrung der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten nach, unterstützen Frauen in den Berufungskommissionen nicht automatisch Bewerberinnen. Wichtig ist daher, dass über den Frauenanteil hinaus alle Kommissionsmitglieder offen sind für Bewerberinnen und für Gleichstellungsfragen. Eine Genderfortbildung für Berufungskommissionen und Berufungsbeauftragte trägt nur teilweise zur Problemlösung bei. Vielmehr sollten Geschlecht und Gleichstellungsorientierung wichtige Kriterien bei der Zusammensetzung der Berufungskommissionen und bei der Auswahl der Berufungskommissionsvorsitzenden, der Berufungsbeauftragten und der Berichterstatterinnen und Berichterstatter sein.
Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte stärken
Bewerberinnen wünschen sich Präsenz von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. Trotz der weitreichenden gesetzlichen und hochschulinternen Verankerung der Beteiligung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sind bei Kommissionsgesprächen viel zu selten Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte zugegen. Diese werden von den Bewerberinnen als Unterstützung und als Ansprechpartnerin für sie als Bewerberinnen verstanden, von beidem wünschen sie sich in der Praxis mehr.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten selbst machen unterschiedliche Erfahrungen in Berufungskommissionen, vor allem ist dieser Teil ihrer Arbeit mühsam und anstrengend, zeitaufwendig und konflikthaft – und enttäuschend in Bezug auf die Ergebnisse. Die Wirksamkeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten hängt auch ab von ihrem Vorwissen über Hochschule als Organisation, über Wissenschaft und über Geschlechterfragen, ihrer Akzeptanz im Fachbereich, ihrer Ausstattung für das Amt, ihren Rechten, ihrer Professionalität und der Möglichkeit der Arbeitsteilung in Teams (z.B. zentrale und dezentrale Frauenbeauftragte, Gleichstellungskommission).
Beteiligung von Externen an Gleichstellung binden
Externe sind in Berufungsverfahren in Deutschland als auswärtige Gutachtende beteiligt, zunehmend werden Externe auch als Kommissionsmitglieder einbezogen. Ihnen kommt eine wichtige Funktion zu: Sie sind Kontrollinstanz, prägen das Verfahren und legitimieren oder korrigieren die Entscheidungen der Kommissionen.
Wenn externe Gutachten vergeben werden, sind häufig männerdominierte Seilschaften im Spiel.
Ihre Funktion nehmen sie als Hochschulexterne wahr, fachlich sind sie umso interner: In kleinen Fächern oder Spezialgebieten ist der deutschsprachige Raum so klein, dass es keine Unabhängigkeit von Karrierenetzwerken gibt, auch in großen Fächern strukturieren solche Netzwerke die nationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Sowohl die Vergabe von Gutachten als auch von Positionen für externe Kommissionsmitglieder sind entlang dieser informellen Seilschaften strukturiert und von Männern dominiert. Der Stellenwert Externer ist daher aktuell teilweise überhöht.
Zentral für die Gleichstellung ist, dass bei Externen auf einen hohen Frauenanteil geachtet wird. Nur wenige Hochschulen sehen Regelungen zur Einbeziehung weiblicher Gutachterinnen vor. Einige Hochschulen regeln, dass externe Wissenschaftlerinnen zur Erfüllung des Frauenanteils bei der Besetzung von Berufungskommissionen herangezogen werden sollen. Bisher legen erste Kodizes für Gutachten und externe Kommissionsmitglieder Standards über deren Unabhängigkeit von den Kandidaten und Kandidatinnen fest. Hier bedarf es auch ethischer Standards zur Nicht-Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und geeigneter Sanktionsinstrumente.
Geschlechteraspekte in Gutachten offen legen
Sowohl Externe als auch die Berufungskommissionen verfassen in Berufungsverfahren vergleichende Gutachten über die Bewerberinnen und Bewerber. Selten sind Anforderungen an die Erstellung von Gutachten hochschulintern geregelt. Die Gutachten sollen in Zukunft stärker als in der Vergangenheit an den Auswahlkriterien für die Stelle orientiert werden, was den Prozess transparenter machen, versachlichen und damit Diskriminierungen reduzieren soll.
Auch die Rolle von Gutachten muss hinterfagt werden. Hier gilt: mehr Transparenz.
Vergleichende Gutachten sind für diejenigen, die die Gutachten schreiben, ein schwieriges Austarieren zwischen expliziten Kriterien, die offen gelegt werden können, und impliziten Kriterien und Begründungszusammenhängen, die z. B. einer gerichtlichen Prüfung im Rahmen einer Konkurrentenklage oder der „stillen Post” in der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft nicht standhalten würden.
Gutachten sind demnach auf die Außenwahrnehmung hin zugeschnittene Abbildungen eines komplexen Abwägungsprozesses. Für die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte bieten Gutachten wenige Ansatzpunkte für eine Analyse von unterschwelligen Diskriminierungen. Externe Gutachten sind entweder offen angelegt, dann schlagen sie beispielsweise ganz verschiedene Reihungen vor, oder sie sehen sehr homogen aus, als seien sie informell bestellt. Gutachten können so vergeben werden, dass das Ergebnis beeinflussbar ist. Vereinzelt haben Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte das Recht weitere Gutachten zu verlangen, um benachteiligenden Auswahlentscheidungen entgegenzuwirken.
Die Empfehlung des Wissenschaftsrates, Gutachten zur Feststellung der Berufbarkeit und nicht zur Bestätigung einer Listenplatzierung zu verwenden (Wissenschaftsrat 2005), würde das Gutachtenwesen öffnen. Offene Gutachten, so die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, erleichtern ihre Arbeit in den Kommissionen. Gutachten sollten insgesamt in Berufungsverfahren einen wichtigen, aber keinen zu hohen Stellenwert erhalten. Gutachten sollten den Bewerberinnen und Bewerbern zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden, wie in Skandinavien, dies bietet mehr Transparenz gegenüber den Bewerberinnen und Bewerbern und reduziert die informelle Macht von Karrierenetzwerken.
Auswahlkriterien verändern
Der Zeitpunkt der Festlegung, die Verbindlichkeit und der Gehalt von Auswahlkriterien entscheidet wesentlich über die Chancen von Frauen in Berufungsverfahren. Häufig fehlen entsprechende Regelungen in den hochschulinternen Verfahrensregelungen.
Auswahlkriterien früher festlegen und stringent berücksichtigen
Der Zeitpunkt der Festlegung der Auswahlkriterien ist ein besonders kritischer Aspekt: In der Praxis werden die Auswahlkriterien in den Berufungskommissionen oft festgelegt, wenn die Bewerbungen vorliegen. Dieses Vorgehen benachteiligt Frauen, weil sie seltener als Männer in den Kommissionen über professorale unterstützende Fürsprecher verfügen, die ihnen die Kriterien entsprechend anpassen.
Die (Vor-)Entscheidung für bestimmte Bewerber fällt manchmal schon bei der Festlegung der Auswahlkritierien für die Professur…
In der ersten Runde der Auswahl wird oft anhand zählbarer, messbarer Kriterien entschieden, wie Habilitation (ja/nein), Lebensalter, Zahl der Publikationen bzw. Impact-Faktor, Volumen der Drittmittel, Reputation der Drittmittelgeber, Lehrerfahrung (ja/nein). Erst später werden die Kriterien differenziert betrachtet und dabei teilweise wesentlich modifiziert. Viele Frauen fallen in der ersten Runde heraus und hätten später doch ganz gut gepasst. Bewerberinnen werden teilweise gerade dann nicht eingeladen, wenn sie genau passen, um Favoriten nicht zu gefährden.
Eine Kommissionsvorsitzende beschreibt die flexible Kriterienfestlegung so, als würde eine Uhr im Laufe des Verfahrens so lange justiert, bis der Zeiger auf den Wunschkandidaten steht.
Die Kriterien sollten daher mit dem Verfahren zur Freigabe der Stelle und der Ausschreibung im Wesentlichen festliegen. Als Gleichstellungsmaßnahme werden u. a. eine Sondierung des potenziellen Bewerberinnenfeldes vor der Stellenfreigabe und eine Berücksichtigung der Ergebnisse beim Stellenzuschnitt vorgeschlagen, die in der Praxis kaum stattfindet.
Die Habilitation gilt nach wie vor als festes Kriterium
Die Habilitation gilt trotz anderer rechtlicher Regelungen nach wie vor als ein Hauptkriterium bei der Berufung, dies ergaben alle Interviews mit Berufungskommissionsvorsitzenden – mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften – an Universitäten und Fachhochschulen! Gleichwertige Leistungen werden meistens in den Interviews nicht einmal genannt. Das Kriterium Habilitation benachteiligt Frauen, das wird von den Berufungskommissionsvorsitzenden kaum problematisiert.
Genderbias von Publikationen und Drittmittelvergabe berücksichtigen
Sowohl Publikationen als auch Drittmittel unterliegen einem Genderbias. Beide Kriterien werden in der Praxis der Berufungskommissionsarbeit dennoch häufig als quantitatives Kriterium eingesetzt. Die Verwendung bibliometrischer Daten z. B. im Impact-Faktor wird von Berufungskommissionen nur vereinzelt als Frauen benachteiligend problematisiert.
Die Länge der Publikationsliste und die Summe der eingeworbenen Drittmittel sind keine “neutralen” Maßstäbe.
Auch das Volumen der Drittmittel und die Geldgeber sind entscheidende Faktoren bei Berufungen, ohne dass der erschwerte Zugang von Frauen zu Drittmitteln den Kommissionen bewusst ist. Selten benennen hochschulinterne Verfahrensregelungen aus dieser Quantifizierung folgende Benachteiligungen von Bewerberinnen.
Eine weitere Benachteiligung entsteht durch die Gewichtung von quantitativen Kriterien: Einige Frauen mit umfangreichen Publikationsrecords beschreiben, dass bei ihnen die Quantität gar nicht gewertet wird, weil ihr Thema oder ihre Publikationsorgane marginalisiert werden.
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Im dritten Teil schildert Christine Färber, wie die Faktoren Geschlecht, Familie und Privatleben in subtiler Weise diskriminierend wirken.
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