Gestern konnte man lesen, welche “Regeln” der Besetzungsverfahren zu Benachteiligungen von Frauen führen. Heute skizziert Christine Färber die diskriminierenden Aspekte der Faktoren Geschlecht, Familie und Privatleben.
Das Privatleben ist berufungsrelevant – und wissenschaftspolitisch
Persönliche Merkmale und Privatleben der Bewerberinnen und Bewerber spielen bei Berufungsentscheidungen trotz gesetzlicher, teilweise auch hochschulinterner Benachteiligungsverbote eine erhebliche Rolle.
Auswahlkriterium Geschlecht
Geschlecht ist ein Auswahlkriterium in Berufungsverfahren. Wissenschaftlerinnen machen im Ausland positivere Erfahrungen mit ihrer Akzeptanz als Frauen. Abhängig vom Fach berichten sie über deutsche Verfahren von direkten Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, aber mehr von dem Eindruck, ihre Leistungen würden nicht adäquat gewürdigt bzw. unsachlich oder gar nicht behandelt, man begegne ihnen tendenziell als Frau und nicht als Wissenschaftlerin.
Es gibt teilweise einen Doppelstandard: Genialität wird eher männlichen Kollegen unterstellt. Oft tun Männer in Kommissionen sich schwer, für Bewerberinnen Begeisterung zu zeigen, weil eine Sexualisierung des Geschlechterverhältnisses unterstellt wird.
Dilemma: Männer tun sich in Berufungskommissionen schwer, ihre Begeisterung für eine Bewerberin zu zeigen
Insgesamt ist in den konkreten Verfahren mit ihrer Vielzahl von Einzelentscheidungen dieser Bias schwer festzumachen. Einigen Frauenbeauftragten gelingt dies nur im Rückblick auf Verfahren. So beschreibt eine Frauenbeauftragte, sie habe gemessen, wie viel Zeit in den Berufungskommissionen über Bewerberinnen und Bewerber gesprochen worden sei: Männern sei erheblich mehr Zeit und damit Aufmerksamkeit gewidmet worden.
Teilweise ist zu beobachten, dass für Frauen ein schmaler Berufungskorridor entstanden ist, in dem die Fachgebiete eine Frau berufen. Auch bei der Berufung von Frauen geben zunehmend informelle Netzwerke und angepasstes Verhalten den Ausschlag:
Akademische Lehrer bringen ihre Meisterschülerinnen auf Professuren unter, wie das bei Männern traditionell der Fall war, oder Professoren ihre Partnerinnen. Anpassung geht vor Leistung: „Die wollen ein angepassteres Frauenmodell, als ich es bin” (Bewerberin).
Schlecht vernetzte oder unabhängige Bewerbungen haben besonders schlechte Chancen. Auslandszeiten sind für die Vernetzung in en nationalen Netzwerken, die die Stellen vergeben, besonders prekär und werden in Deutschland abgewertet, beides scheint Frauen besonders zu treffen. Der Genderbias besteht strukturell, aber er ist schwer im Einzelfall zu fassen.
Geschlecht und Alter wirken zusammen
Ein strukturelles Element mit Genderbias ist die Tatsache, dass Alter in der Praxis ein entscheidendes Auswahlkriterium, und zwar wird es als Lebensalter in Jahren unter den messbaren Kriterien verwendet. Allgemeine Übersichten, die über die Bewerberinnen und Bewerber erstellt werden, führen deren Lebensalter auf. Dabei findet nur in Ausnahmefällen eine geschlechterbezogene Bewertung des Alters statt.
Wenn das Lebensalter als Kriterium herangezogen wird, sind Frauen im Nachteil, wenn die Kindererziehungszeiten ausgeblendet werden.
Berücksichtigt werden in diesen Ausnahmefällen Kindererziehungszeiten, die aber in der Wissenschaft, wo viele Frauen die Tätigkeit nicht sichtbar unterbrechen, schwer quantifizierbar sind. Eine Alternative bietet das Kriterium „wissenschaftlich produktive Zeit”, in der Erziehungs- und Betreuungszeiten oder andere nicht stromlinienförmige Entwicklungen anders bewertet werden können.
Die Bewerberinnen gelten oft wahlweise als zu jung oder zu alt. Alter und Geschlecht zeigt sich als problematischer Zusammenhang, nicht nur in Bezug auf Erziehungszeiten: Auch Frauen ohne Kinder haben oft durch ihre marginale Position andere Qualifikationsbiographien oder Inhalte. Gleichstellungsrechtlich ist dieser Zusammenhang lange hergestellt, in der Wissenschaft ist er immer noch viel zu wenig operationalisiert. Kommissionen laden beispielsweise keine Person über 40 ein, um den Kreis der Bewerbungen einzuschränken.
Alter darf keinesfalls als Ausschlusskriterium gegenüber Frauen verwendet werden, eine gleichstellungsrechtliche Regelung, die sich kaum in den hochschulinternen Regelungen, geschweige denn in der Praxis, findet.
Mehrfachdiskriminierungsfaktor Familie
Wissenschaftlerinnen sind unsicher darüber, ob sie ihre Kinder oder ihren Familienstand in den Bewerbungsunterlagen oder im Kommissionsgespräch angeben sollen. Große Verunsicherung besteht zum Thema Kinderwunsch bei allen befragten Frauen im gebärfähigen Alter. Sie beschreiben den Eindruck, ihnen würden von Berufungskommissionsmitgliedern potenzielle Ausfallzeiten unterstellt.
Wissenschaftlerinnen thematisieren ihre Belastung durch Zeiten, in denen sie Angehörige pflegen mussten, z.B. behinderte Kinder, gebrechliche Eltern oder kranke Partner, nicht gegenüber den Berufungskommissionen, denn in Berufungsverfahren haftet dem Privatleben von Bewerberinnen meistens etwas Problematisches an. Es wird entweder peinlich vermieden, oder es kommt zu diskriminierenden Äußerungen. Die Frage „Wie machen Sie das eigentlich mit den Kindern” steht ausgesprochen oder unausgesprochen im Raum.
Fragen zum Privatleben sind rechtlich nicht zulässig, die Frauen befinden sich aber in einem Zwiespalt: Antworten sie nicht, gelten sie als verschlossen, antworten sie, fällt ihre Biographie aus dem Rahmen und sie verlieren ihre Passfähigkeit sowie wertvolle Zeit für andere Fragen.
Fragen nach dem Privatleben, Kinderwunsch und -erziehung sind nicht zulässig – stehen aber fast immer unausgesprochen im Raum
Die befragten Männer beschreiben diese Verunsicherung nicht. Bewerberinnen berichten über bessere Erfahrungen bei Bewerbungen im Ausland und bei deutschen Berufungskommissionen, in denen Frauen den Vorsitz haben. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten differenzieren hier breiter: Sie beobachten, dass Kinder und Kinderwunsch sowie familiäre Verpflichtungen in Kommissionen mit einem Genderbias verhandelt werden, der Frauen benachteiligt. Männern würden Erziehungsleistungen positiver zu Gute gehalten, und auch Frauen unter den Auswählenden seien mit Bewerberinnen an dieser Stelle teilweise sehr kritisch.
Die befragten Berufungskommissionsvorsitzenden legen großen Wert darauf, an dieser Stelle nicht zu diskriminieren. Ein Berufungskommissionsvorsitzender beschreibt voll Hochachtung die Wissenschaftlerinnen mit Kindern als besonders qualifiziert, und beobachtet aber, dass Netzwerke auf der Strecke bleiben. Die Wissenschaftlerinnen mit Kindern beschreiben sich selbst als besonders schlecht vernetzt. Wissenschaftlerinnen benötigen in Berufungsverfahren Rücksicht auf ihre familiären Leistungen, um fehlende Netzwerke und faktische Nachteile zu kompensieren.
Familie ist auch ein Grund, weshalb die Empfehlungen den Wissenschaftsrates, die Erstberufung befristet auszusprechen, für viele Frauen sehr unattraktiv ist: Die Befristung des ersten Rufes verlängert das Nachwuchs-Prekariat, schwächt die ökonomische Position von Wissenschaftlerinnen in Beziehungen und erschwert damit Dual Career sowie die Mobilität der Familie.
Mehrfachdiskriminierungsfaktoren Migration und Homosexualität
Die befragte Bewerberin mit Migrationshintergrund berichtet über ihren „Exotenstatus” und schreibt ihre Benachteiligung in Berufungsverfahren in Deutschland sowohl ihrem Geschlecht als auch ihrem ethnischen Hintergrund zu.
Sowohl die befragte lesbische Bewerberin als auch der befragte schwule Bewerber berichten über ein breites Spektrum an Reaktionen auf ihre Homosexualität in und im Umfeld von Berufungsverfahren: In Einzelfällen erfahren sie bewusste Akzeptanz, aber sie beschreiben auch, dass sie wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht in die engere Wahl kamen.
Für Frauen ist es schwer zu differenzieren, ob die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der Ethnizität erfolgt.
Diskriminierungsfaktor Dual Career
Die Karriere von Paaren erscheint den Befragten in Deutschland sehr schwer möglich, insbesondere wenn gemeinsam Kinder erzogen werden. Positive Erfahrungen mit Dual Career auf der Ebene von Professuren werden aus dem Ausland geschildert. Die meisten Befragten lösen ihr Dual Career-Problem durch Pendeln, wobei Frauen und Männer in den Partnerschaften der Befragten gleich häufig pendeln.
Die Karriere von Partnern findet in Deutschland kaum Berücksichtigung. Das Ausland ist hier weiter.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten stehen dem Thema Dual Career positiv gegenüber, konstatieren aber keine Bewegung an den Hochschulen. Die Berufungskommissionsvorsitzenden sehen für sich keine Handlungsspielräume. Die Fixierung auf die Strukturplanung – „Wir stellen uns das künftig so vor, dass wir die Strukturen planen und dann die Personen suchen und nicht umgekehrt” (Berufungskommissionsvorsitzender) – scheint in deutscher Gründlichkeit von vornherein jede Offenheit für das Nutzen von Gelegenheiten, die durch die mögliche Berufung eines Partners oder einer Partnerin entstehen, zu verbauen.
Dies wirkt für Frauen besonders negativ, da keine der interviewten Bewerberinnen, die in einer Partnerschaft leben, über einen nicht erwerbstätigen Partner verfügte, aber es behindert auch die Karrieren von Männern, die egalitäre Partnerschaften in der Wissenschaft leben und für Gleichstellung offen sind. Karrierepaare beschreiben negativ, dass in Deutschland die zweite Person im Dual Career-Modell nicht wie die erste Wahl behandelt wird, sondern entweder ignoriert oder als „irgendwie unterzubringende” Person gesehen wird, auch wenn Partnerin und Partner faktisch gleichwertig qualifiziert sind. Hochschulinterne Regelungen, die Dual-Career-Paare im Zusammenhang mit Berufungsverfahren thematisieren, sind selten.
Im Ausland wird öfter auf beide wissenschaftlichen Partner gleich werbend zugegangen. In Deutschland ist das auf Fakultäten zugeschnittene Berufungsverfahren strukturell ungeeignet: Hochschulleitungen sollten die Fachbereiche, die Bundesländer die Hochschulen und der Bund die Länder konkret und aktiv unterstützen, indem sie die notwendige Flexibilität und finanzielle Unterstützung für Dual Career-Paare bieten.
Das Private gehört als Thema zur Hochschulleitung
Der Stellenwert, den das Private bei der Entscheidung der Berufungskommissionen hat, ist ziemlich hoch. In einem dichten Leistungsfeld werden persönliche Merkmale zum Passfähigkeitskriterium. Frauen fallen durch ihr Geschlecht sowohl direkt als auch indirekt (Alter, Kinder, Dual Career etc.) aus diesem Raster heraus. Das Privatleben sollte insofern in den Berufungskommissionen eine Rolle spielen, als Offenheit für Frauen, mögliche besondere Belastungen und andere Biographien bestehen sollte, von allen anderen Fragen sollten Berufungskommissionen durch die Hochschulleitungen entlastet werden.
Kriterienorientierung und Quoten für die Einladung von Frauen
Zusammenfassend versachlicht es den Auswahlprozess, wenn Kriterien vor der Ausschreibung festgelegt und nicht auf bereits eingegangene Bewerbungen im Nachhinein zugeschnitten oder zu Gunsten von Einzelpersonen im Entscheidungsprozess verschoben werden. Es unterstützt Bewerberinnen, wenn die ganze Breite der Kriterien durchgängig behandelt wird: „Die ganze Wissenschaftspersönlichkeit: Forschung, Lehre, Management und Krankenversorgung”, wie es eine Bewerberin aus der Medizin formuliert.
Alle Kriterien, die fachlichen wie die persönlichen, unterliegen einem Genderbias. Ein Verfahren, das Frauen gezielt einschließt, sollte mit diesen Kriterien dahingehend flexibel umgehen, dass eine mögliche Benachteiligung von Frauen ausgeglichen wird. Einige der Hochschulen, die in die Befragung einbezogen waren, arbeiten mit Quoten zur Einladung von Frauen. Die befragten (männlichen) Kommissionsvorsitzenden problematisierten diese Quote nicht, ganz im Gegenteil, sie berichteten positiv über ihre Bemühungen, Frauen einzuladen. Eine solche verfahrensbezogene Ergebnisquote kompensiert teilweise den unterschwelligen Genderbias, der im Verfahren ansonsten nicht fassbar ist.
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Im letzten Teil des Essays werden Handlungsempfehlungen für Berufungsverfahren vorgestellt.
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