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Als Ruth Moufang 1925 ihr Studium an der Universität Frankfurt begann, so war das für diese Zeit keineswegs außergewöhnlich. Rund 20 Prozent aller Mathematikstudierenden waren weiblich. Doch im weiteren Verlauf ihrer Karriere musste Ruth Moufang erfahren, dass für Frauen in der Wissenschaft doch andere Regeln gelten.

Und obwohl sie später eine bemerkenswerte Karriere machte und schließlich 1951 zur ersten deutschen Mathematikprofessorin berufen wurde, fühlte sie sich als Mathematikerin doch niemals vollkommen akzeptiert.


Start mit Privilegien

Dass Ruth Moufang einmal eine Pionierin der Wissenschaft werden sollte, war zu Beginn ihres Lebens noch nicht abzusehen. Als sie am 10. Januar 1905 in Darmstadt geboren wurde, waren Frauen an den allermeisten Universitäten noch Exotinnen. In Preußen etwa wurde das allgemeine Frauenstudium erst 1908 eingeführt.

Dennoch war Ruth Moufang sicherlich privilegiert: sie wurde in eine bildungsbürgerliche Familie hineingeboren. Ihr Vater Dr. Eduard Moufang war Chemiker und sie erhielt – wie in solchen Familien nicht unüblich – Privatunterricht. Später besuchte sie erst das Lyzeum, dann das Realgymnasium in Bad Kreuznach, wo sie 1924 eine der allerersten Abiturientinnen war.

Ruth Moufangs mathematisches Talent wurde von ihrem Lehrer entdeckt.

Ihre folgende Entscheidung für das Studium der Mathematik und Physik für das Lehramt an höheren Schulen war naheliegend. Ihr Mathematiklehrer W. Schwan hatte ihre Begabung wohl entdeckt und sie hier bestärkt. Außerdem war der Lehrberuf inzwischen auch für Frauen allgemein akzeptiert.

Beginn einer hoffnungsvollen Karriere

So weit kam es aber nicht. Bei ihrem Staatsexamen im November 1929 beeindruckte sie ganz offfenbar Prof. Max Dehn, der Ordinarius an der Uni Frankfurt war. Dieser stellte ihr sofort im Anschluß ein Dissertationsthema – und gerade ein Jahr später promovierte Ruth Moufang mit einer Arbeit „Zur Struktur der projektiven Geometrie der Ebene”. Mit dem Prädikat „magna cum laude” war sie also nun promovierte Mathematikerin – und Prof Dehn lobte in einem Gutachten, dass sie wesentlich „zur Bereicherung unserer geometrischen Einsicht” beigetragen habe.

Hoffungsvoller Anfang: Forschungsstipendien und wohlwollende Kollegen

Von nun an sah alles so aus, als seien die Weichen in Richtung einer akademischen Laufbahn gestellt. Außergewöhnlich zwar, denn Lehraufträge an Universitäten waren dann doch etwas anderes, als die Tätigkeit einer Lehrerin an Oberschulen, aber ihre akademischen Bezugspersonen attestierten Ruth Moufang hervorragende Fähigkeiten.

Sie hatte also – das ist sicher hervorzuheben – Förderer. Sie erhielt Forschungsstipendien, die sie nach Rom und Königsberg führten und publizierte in den Jahren 1931 bis 1934 mehrere wichtige Arbeiten zu den Grundlagen der Geometrie. Hier machte sie sich mit ihren Publikationen zur „Theorie der projektiven Ebenen” einen Namen.

Politik und Ideologie

Doch was so hoffnungsvoll begonnen hatte, geriet nun leider ins Stocken. Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 führten zunächst dazu, dass auch dutzende Frankfurter Professoren amtsenthoben wurden. Darunter die Professoren Max Dehn, Ernst Hellinger und Paul Epstein – befreundete Kollegen und Förderer von Ruth Moufang.

Trotz hervorragender Gutachten wird der Antrag auf Erteilung der Lehrerlaubnis abgelehnt.

Im Mai 1936 reichte sie ihre inzwischen fertiggestellte Habilitationsschrift ein. Die Gutachten waren allesamt positiv und bescheinigten ihr die „tiefen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen der Mathematik durchschaut” zu haben. Doch die Lehrerlaubnis, die venia legendia, war zusätzlich an eine weitere „öffentliche Lehrprobe” und eine Erlaubnis des Ministeriums gebunden.

Am 30.9.1936 stellte der Frankfurter Uni-Rektor dann auch folgenden Antrag:

„Es ist das erste Mal, daß sich hier in Frankfurt/M. Eine Frau um eine Dozentur bewirbt. Infolgedessen handelt es sich um eine grundsätzliche Frage, die von dem Herrn Minister entschieden werden muß. Im allgemeinen bin ich der Meinung, daß die Dozentenlaufbahn Männern vorbehalten bleiben sollte. In diesem besonderen Falle muß aber berücksichtigt werden, daß Frl. Dr. Moufang […] eine sehr tüchtige Mathematikerin ist mit einer ausgesprochenen Lehrbegabung. […]”

Obwohl der Rektor noch einige weitere Argumente aufzählte, die – ausnahmsweise! – die Bewilligung der Dozentur für eine Frau rechtfertigen sollten, wurde der Antrag abgelehnt. Im November 1936 erhielt Ruth Moufang den abschlägigen Bescheid, der sie tief enttäuschte.

Ablehnung, Kränkung, Demütigung

Sie sah allerdings – nach Jahren der konsequenten Arbeit auf dieses Ziel hin – keine andere Alternative für sich und wandte sich mit einem Bittschreiben an das Ministerium, in dem sie ihre Situation schilderte. Aber auch damit hatte sie keinen Erfolg. Die Antwort vom März 1937:

„Da dem Dozenten im Dritten Reich außer seinen wissenschaftlichen Leistungen wesentlich erzieherische und Führereigenschaften voraussetzende Aufgaben zufallen und die Studentenschaft fast ausschließlich aus Männern besteht, fehlt dem weiblichen Dozenten künftig die Voraussetzung für eine ersprießliche Tätigkeit.”

Die Hoffnung, ihren Lebenstraum zu verwirklichen, war dahin. Enttäuscht, gekränkt und gedemütigt verließ Ruth Moufang Frankfurt. In Essen konnte sie glücklicherweise in der Forschung der Firma Krupp einsteigen – nicht die Arbeit, die sie angestrebt hatte, aber immerhin konnte sie sich dort mit theoretischer Physik befassen. Und 1942 wurde sie dort sogar zur Abteilungsleiterin befördert.

Wobei sie auch hier Diskriminierungen erlitt: die Abteilungsleiter trafen sich einmal monatlich zu einem Essen. Alle Abteilungsleiter der Fa. Krupp – bis auf sie. Die Abende wurden als „Herrenabende” deklariert.

Rückkehr in die Wissenschaft

1947 wird Ruth Moufang rehabilitiert. Genugtuung, aber nicht das Ende der Demütigungen…

Das Ende des Krieges war für Ruth Moufang eine Erlösung. 1946 zog sie wieder nach Frankfurt. Das dortige Seminar benötigte dringend Unterstützung und am 26.9.1946 erhielt Ruth Moufang nun endlich die venia legendi. Nochmal ein Jahr später – am 19.12.1947 – wurde sie sogar zum außerplanmäßigem Professor ernannt, allerdings ohne Änderung ihres Dienstverhältnisses und ihrer Bezüge.

Erst im Juni 1951 wurde sie dann auch verbeamtet und auf ein Extraordinariat berufen, womit sie die erste deutsche Mathematikprofessorin war.

Und nochmal 6 Jahre später, als sie nach einem aufwendigen Verfahren und unter Anerkennung ihres internationale Reputation wurde sie 1957 zum Ordinarius erhoben. Eine Bilderbuchkarriere – wären da nicht die zehnjährige Unterbrechung und die vielen demütigenden Erlebnisse.

Nobelpreisträgertreffen in Lindau: Abgeschoben ins “Damenprogramm”

Auch als angesehene Wissenschaftlerin mußte Ruth Moufang immer wieder hinnehmen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts zurückgesetzt wurde. Sie war etwa in den 1960er Jahren als Direktorin der Mathematischen instituts der Uni Frankfurt und als offizielle Delegierte (!) des Frankfurter Rektors zum Nobelpreisträgertreffen nach Lindau gereist. Dort durfte sie allerdings nicht am wissenschaftlichen Programm teilnehmen – für sie war das „Damenprogramm” reserviert.

Ruth Moufang fühlte sich verständlicherweise durch solche Erlebnisse tief gekränkt. Sie gab später zur Auskunft, dass sie sich niemals richtig akzeptiert gefühlt habe – und zur Feier ihrer Emeritierung zitierte sie den ablehnenden Bescheid des Ministeriums von 1937 aus dem Gedächtnis.

Wie gut, dass ihre Leidenschaft für die Mathematik und ihre Beharrlichkeit sie schließlich doch noch zum Ziel geführt haben. Und doch blieb Ruth Moufang eine bisweilen gedemütigte Frau. Aber auch eine herausragende Mathematikerin.

Alle Zitate nach:
Irene Pieper-Seier (1997): Ruth Moufang: Eine Mathematikerin zwischen Industrie und Universität. In: Tobies, Renate (Hrsg.): „Aller Männerkultur … zum Trotz”: Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften. Frankfurt/Main, New York: Campus, 181-202.
Mit diesem Artikel startet im Blog “For Women in Science” eine Serie mit Porträts herausragender Wissenschaftlerinnen.

Kommentare (2)

  1. #1 Luise F. Pusch
    September 17, 2008

    Schöner Artikel – bitte mehr davon! Die Nazi-Begründung, dass frau wg ihres Geschlechts kein “Führer” sein könne, erinnert sehr an die “Gründe” die die kath. Kirche gegen Priesterinnen nennt: Nur Männer könnten Stellvertreter Christi auf Erden sein.
    Viele Porträts von Wissenschaftlerinnen (international) finden sich auch bei http://www.fembio.org.

  2. #2 Thilo
    September 17, 2008

    Der Vollständigkeit halber möchte ich noch einen Link zu einem kurzen MathPlanet-Artikel über Moufang’s wissenschaftliches Werk beitragen: http://planetmath.org/encyclopedia/MoufangLoop.html
    Ausführlicheres findet man z.B. im Wikipedia-Artikel über Moufang-Loops.