Wissenschaftliche Spitzenpositionen werden immer noch von Männern dominiert. Bei den Professuren haben wir – trotz Fortschritten in den letzten Jahren – derzeit einen Frauenanteil von gerade einmal 15%.
Welche sozialisatorischen und biographischen Faktoren sind dafür verantwortlich, dass weibliche Karrieren so häufig ins Stocken geraten? Hildegard Macha und Quirin Bauer vom GenderZentrumAugsburg (GZA) haben Antworten auf diese Fragen und erläutern, weshalb wir eine “Kultur der Ermutigung” so dringend brauchen.
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In der bundesdeutschen Wissenschaft herrscht aktuell – trotz einer Frauengeneration, die hoch qualifiziert und hoch motiviert ist – eine geschlechterspezifische Asymmetrie in den Bereichen der Macht- und Führungspositionen. Der Anteil der Frauen auf jeder Stufe der Karriereleiter sinkt kontinuierlich, obwohl rund 50 Prozent aller Studienanfänger/innen und Hochschulabsolventen/innen weiblich sind.

Die wissenschaftliche Elite in Deutschland ist fast ausschließlich männlich, auch wenn die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen heute mehr denn je auf gleiche Chancen, Zugänge und die Förderung für Mädchen und Frauen achten.


Zwar hat sich in den letzten Jahren der Anteil von Wissenschaftlerinnen in den Führungspositionen der Hochschulen signifikant erhöht, trotzdem ist er immer noch geringer, als ihr prozentualer Anteil am Gesamtpersonal der Hochschulen. Dies zeigen jüngste Zahlen aus dem Jahr 2007:

„Der Frauenanteil an den Beschäftigten an Hochschulen betrug 51%, die Frauenquote beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal lag bei 32%. Der Frauenanteil unter den Professoren liegt bei 15%” (BMBF 2008).

Das Potential von exzellent ausgebildeten Frauen bleibt weitgehend ungenutzt.

In der persönlichen Biographie sowie auf dem wissenschaftlichen Karriereweg existiert eine Vielzahl von Gründen, die sich wechselseitig bedingen und dazu führen, dass das Potenzial von exzellent ausgebildeten Frauen weitgehend ungenutzt bleibt. Begabte Mädchen und junge Frauen werden bereits in Familie, Schule und Freundeskreis kaum dazu motiviert, vorhandene Fähigkeiten systematisch auszubauen und in eine berufliche Zukunft zu investieren. Dies zeigen Ergebnisse aus der Eliteforschung. Sie setzen sich nicht die Ziele, die sie aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit erreichen könnten, sondern üben freiwilligen Verzicht (vgl. Macha 2005).

Ist Erfolg für Frauen nicht opportun?

Diese Einflüsse aus Kindheit und Jugend werden im Erwachsenenalter zu individuellen Strategien der biographischen Lebensplanung ausgebaut und führen trotz zunehmender Infragestellung veralteter Sozialisations- und Rollenkonzepte vor allem bei Frauen zur Übernahme stereotyper Identitätsentwürfe und Berufswahlen. Es entsteht eine Parallelität zweier Dimensionen, vor allem durch die widersprüchlichen und inkonsistenten Anforderungen von Berufs- und Familien- bzw. Privatleben. Diese muss sowohl in der Identität, als auch in der Lebensführung der Frauen ausbalanciert werden: Work-Life-Balance wird zu einer schmerzlichen Aufgabe primär für Frauen, bei der allzu oft eine Wahl zwischen Karriere und Familie getroffen werden muss (vgl. Struthmann 2008).

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kaum realisierbar: Es droht eine Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftssystem Deutschlands.

Durch die defizitäre Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultiert eine Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftssystem in Deutschland. Es mangelt an familiengerechten Lern- und Arbeitsbedingungen, die den hochschulspezifischen Arbeitsstrukturen und -prozessen entgegen kommen bzw. entsprechen.

„Vor allem Wissenschaftlerinnen und Frauen in anderen hoch qualifizierten Berufen verlieren wertvolle Zeit für den Karriereaufbau, wenn sie Erziehungszeit in Anspruch nehmen, um ihrer Doppelrolle gerecht zu werden” (Macha/ Bauer/ Struthmann 2008).

Karrierebrüche sind vorprogrammiert

Die Folge sind Karrierebrüche. Frauen, die diese Hürden überwinden konnten, sehen sich folglich auf den höheren Stufen der akademischen Karriereleiter mit der spezifisch androzentrischen Organisationskultur der Hochschule konfrontiert.

„Vor allem wurden sie mit Regeln konfrontiert, die ohne sie zustande gekommen und die für sie erst anzupassen waren. Insbesondere die strukturellen Rahmenbedingungen des wissenschaftlichen Qualifizierungsweges, wie das Wissenschaftssystem als Ganzes […] wirken sich nachteilig für den Karriereverlauf und die Integration von Wissenschaftlerinnen aus” (Wissenschaftsrat 2007).

Das ambivalente Verhältnis zur Macht

Beim Erklimmen höherer Positionen im Wissenschaftsbetrieb gilt es außerdem zu bedenken, dass Frauen ein Problem mit der Gewinnung einer positive Einstellung zur Macht haben sowie damit, Macht anzunehmen. Studien belegen immer aufs Neue, dass Frauen Macht ablehnen. Dabei wäre der nach allen Erfahrungen demokratischere Umgang der Frauen mit der Macht ein Gewinn für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, denn Verantwortung für andere zu übernehmen sind Frauen gewohnt (vgl. Macha 2005).

Eine gleichstellungspolitische Strategie zur Beseitigung von entsprechenden Disparitäten zwischen den Geschlechtern ist das Gender Mainstreaming Konzept. Es stellt erstmalig ein offizielles europäisches Steuerungsinstrument zur Verfügung, das weit reichende Einflussmöglichkeiten auf die nationale und internationale Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung erlaubt. Gender Mainstreaming stellt ein effektives Instrument der Potenzialentwicklung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und der Organisationsentwicklung der Hochschulen dar.

Gender Mainstreaming als Königsweg?

Die Gender Mainstreaming Strategie besitzt einen multidimensionalen Wirkungsgrad, da sie an verschiedensten Stellschrauben ansetzt und dadurch Perspektiven für Frauen auf allen Ebenen der Hochschule eröffnet:

„Mit dem Prinzip der Identifikation, Rekrutierung und Förderung begabter Frauen auf allen Stufen der Karriere wird konsequente Nachwuchsförderung betrieben. Bereits im Studium werden begabte Frauen aller Disziplinen identifiziert und fachlich sowie materiell und durch Maßnahmen […] gezielt gefördert. […]”

Empowerment meint dabei die Potenzialentwicklung begabter Frauen auf allen Stufen der Karriere. Zu schaffen ist eine „Kultur der Ermutigung” (Macha 2005), in der Frauen vom Studium bis zur Professur das Ziel einer wissenschaftlichen Laufbahn erfolgreich verfolgen können” (Macha/ Handschuh-Heiß 2007).

Wir brauchen eine “Kultur der Ermutigung”. Die Potenziale von Frauen müssen erkannt und gefördert werden.

Zu den Maßnahmen innerhalb eines Programms von Gender Mainstreaming gehört zum Beispiel das Erkennen und Fördern der Potenziale von Frauen, indem die Motivation für eine wissenschaftliche Karriere geschaffen wird und unterstützende Netzwerke aufgebaut werden. Frauen sollen auch öffentlich in ihrer Leistungsfähigkeit an der Hochschule gewürdigt werden, zum Beispiel durch Auszeichnungen, strukturelle Barrieren sollen erkannt und an der Hochschule abgebaut werden.

Die Leistungen von Frauen in Projekten und auf Tagungen können als ökonomischer Anreiz finanziell gefördert werden und Karrierestrategien in Kursen vermittelt werden. Kinderbetreuung für die Kinder von Wissenschaftlern sind die Basis für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die durch Kinderkrippen nah zum Arbeitsplatz gewährleistet werden kann. Kindererziehungszeiten kurz zu halten, um Karrierebrüche zu vermeiden, ist ebenfalls sinnvoll (vgl. Macha 2005).

Die Herstellung von Chancengleichheit geht alle an

Um das bestehende Gleichstellungsdefizit zu beheben, liegt die Verantwortung in der Zukunft nicht mehr nur bei einem Geschlecht, nämlich den Frauen. Entscheidend ist es, die gleichstellungspolitische Einstellung und die daraus resultierende Handlungsweise jedes Individuums an Hochschulen in Hinsicht auf Geschlechtergerechtigkeit zu verändern (vgl. Bauer i.V. 2009).

Ohne Wandlungs- und Innovationsfähigkeit sind Zukunftssicherung und Wettbewerbsfähigkeit für Hochschulen und die darin agierenden Menschen nicht möglich. Das heißt, Organisations- und Potenzialentwicklung müssen geschlechtergerecht sein, um die Potenziale aller Beschäftigten nutzen und alle Ressourcen ausschöpfen zu können. Erst die Realisierung geschlechtergerechter Verhältnisse zwischen Frauen und Männern und der verstärkte Aufbau weiblicher Karrieren dienen der Entwicklung innovativer und effektiver Strukturen, Prozesse und Kulturen in einer Hochschule.

Prof. Dr. Hildegard Macha hat seit 1992 einen Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Augsburg. Außerdem ist sie Universitätsfrauenbeauftragte der Uni Augsburg. Sie forscht seit vielen Jahren u.a. zu Gender Mainstreaming an Hochschulen und weiblichen Eliten.
Quirin J. Bauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Augsburg. Er bearbeitet z.Z. ein Dissertationsprojekt mit dem Titel: “Potenzialentwicklung durch Gender Mainstreaming in der Organisation Hochschule”.
Literatur:
  • Macha, H./ Bauer, Q. J./ Struthmann, S. (2008): Über den Mangel an Frauen in der Wissenschaft – Hintergründe und Perspektiven. In: Forschung & Lehre 6/ 08. Bonn: Deutscher Hochschulverband.
  • Struthmann, Sandra (2008): Theorie und Praxis des Gender Mainstreaming – Frauen in Führungspositionen der Wissenschaft. VDM Verlag
  • Macha, H./Handschuh-Heiß (2007): Gender Mainstreaming als Instrument der Organisationsentwicklung an Hochschulen. In: Macha, H./Fahrenwald, C. (Hg.): Gender Mainstreaming und Weiterbildung – Organisationsentwicklung durch Potentialentwicklung. Opladen: Verlag Barbara Budrich, S. 60-84.

Kommentare (6)

  1. #1 Max
    September 18, 2008

    Hallo!
    Das ist ein sehr interessater Artikel!
    Ich glaube der Blog des Frauentages der IGBCE würde sich darüber freuen!

    http://www.igbce-blogs.de/frauentag/

  2. #2 Marc
    September 20, 2008

    Hallo Max,

    Danke für das nette Feedback.

    Und es lohnt sich übrigens auch, die die folgenden (Gast-)Beiträge zu lesen! Dort gibt es viele weitere spannende Einsichten.

  3. #3 florian
    September 20, 2008

    Ich bin zwar keine Frau aber habe trotzdem ein paar Erfahrungen zum Thema Wissenschaft mit Kind bzw. Familie gesammelt. Einerseits ist ein Job als Wissenschaftler eigentlich nicht schlecht wenn man ein Kind hat. Dort hat man viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten die eigene Arbeitszeit zu planen als in “normalen” Jobs. Man ist daher auch nicht immer in gleichem Ausmass auf Kinderbetreuungseinrichtungen angewiesen wie Menschen die einen anderen Job haben.
    Andererseits ist die Karriereplanung ein großes Problem. Als junger Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerin muss man sich von befristeter Anstellung zu befristeter Anstellung durchschlagen. Alle zwei bis drei Jahre endet der aktuelle Arbeitsvertrag und es ist mühsam, wieder einen neuen zu bekommen. Es wird ausserdem erwartet, dass man oft den Arbeitsplatz wechselt. Und die Aussicht, alle paar Jahre in eine andere Stadt umziehen zu müssen; die Unmöglichkeit einer längerfristigen Lebensplanung – das alles macht den Beruf des Wissenschaftlers nicht unbedingt attraktiv für Menschen die auch gerne eine Familie haben wollen.

  4. #4 Fischer
    September 20, 2008

    Mir wurde vor ein paar Tagen zugetragen, dass theoretische Physiker bevorzugt Kindergärtnerinnen heiraten, weil die beim Wohnortwechsel mitkommen können…

  5. #5 MartinB
    September 20, 2008

    Vielleicht oute ich mich jetzt als total ahnungslos in Sachen gender Forschung, aber wenn ich solche Sätze lese

    “Studien belegen immer aufs Neue, dass Frauen Macht ablehnen.”

    dann muss ich schon stutzten, und zwar gleich aus mehreren Gründen:

    1. Legt so ein Satz doch den – genau nicht gewollten – Schluss nahe, “Na gut, wenn Frauen damit Probleme haben, dann sollen sie lieber Sekretärinnen bleiben.” Das kann doch so nicht gewollt sein.

    2. Man stelle sich vor, ich würde schreiben “Schwarze lehnen Macht ab” oder “Juden lehnen Macht ab” – man würde mich sofort und völlig zu Recht als Rassisten und Antisemiten deklarieren. Warum ist das bei “Frauen” im Satz anders?

    3. Das pauschalisierte Wort “Frauen” am Anfang ist ziemlich grob vereinfacht. Die Ablehnung von Macht hat doch sicher eine Art Spektrum – einige haben große Probleme damit, andere weniger usw. Mag ja sein, dass der Mittelwert bei Frauen anders liegt als bei Männern, aber was heißt das schon. Im Mittel sind Männer auch größer als Frauen, trotzdem kann ich nicht davon ausgehen, dass jede Frau, die mir begegnet, kleiner ist als ich.

    Ich wäre wirklich neugierig, den Hintergrund solcher Aussagen zu verstehen. Was soll man aus so einem Satz folgern?

  6. #6 Mariechen
    September 22, 2008

    Hallo,
    ich finde diesen Artikel ebenfalls sehr interessant. Ich bin 87er Baujahr und kann von “meiner Generation” sagen, dass es viele meiner Geschlechtsgenossinen schon abzielen, höhere berufliche Karrieren anzustreben. Doch viele fällt es schwer ihre familiären Umgebungen zu verlassen. Ich kann nur vermuten, aber ich habe festgestellt, dass es Männern eher leichter fällt sich von der Familie zu trennen und sich so stärker auf einen Job konzentrieren können, somit sind sie flexibler und die Entwicklung und die Chancen höhere Positionen anzustreben höher. Aber die Entwicklung von Frauen in hohen Positionen empfinde ich als positiv und ich geh davon aus, dass sich das in 10 Jahren stark geändert hat. Ein sehr interessantes Thema…