Acht Jahre lang war der Münchner Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). In dieser Zeit wurde “Gender Mainstreaming” auch an den Hochschulen zum Schlagwort. Doch die Fortschritte sind bescheiden.
Heute ist Ernst-Ludwig Winnacker Geschäftsführer des Europäischen Forschungsrates und fordert mehr Mut, Engagement und Ideen, um die Rahmenbedingungen für Frauen in der Wissenschaft attraktiver zu gestalten. Sollte dies nicht gelingen, hält er die Quote für eine sinnvolle Maßnahme.
i-d0923c2744678bf36a5f5cabd3e4291b-Ernst-Ludwig_Winnacker.jpg

Als Lise Meitner nach ihrer Habilitation im Jahr 1922 eine erste Vorlesung mit dem Titel „Kosmische Physik” ankündigte, konnte sich der berichtende Reporter nicht vorstellen, dass eine Frau ernsthafte Wissenschaft betreibt. Frau Meitner werde über „Kosmetische Physik” sprechen, schrieb er. Das liegt lange zurück, und doch: Ausgerechnet in einem Lande voller Gleichstellungsbeauftragten, Frauenministerinnen, Mutterschutz und Kinderfreibeträgen sind Geburtenrate und Professorinnen so gering wie fast nirgendwo sonst. Was also machen wir falsch?

Vielerorts übt die Gleichstellungsbeauftragte eine bloße Alibifunktion aus. Man informiert sie, hört sie an; Dekan, Unipräsident und das Ministerium sind zufrieden. Man hat alles getan, was man konnte. Am Ende wird gleichwohl ein Mann berufen.

Der Anteil von Frauen in Führungspositionen an der Uni ist in zehn Jahren nur um etwa ein Prozent gestiegen.

Nur 19 von 266 Direktoren der Max-Planck-Gesellschaft sind Frauen – knapp sieben Prozent. An den Universitäten liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen ein wenig höher, bei neun Prozent. Beunruhigend ist auch die Dynamik dieser Entwicklung. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen an der Uni ist in zehn Jahren nur um etwa ein Prozent gestiegen. Wenn das so weiter geht, wird Deutschland erst Mitte des 22. Jahrhunderts mit Frankreich oder Schweden gleichziehen.

Mit Ehrgeiz und Augenmaß für die Frauenförderung

Was also tun? Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei! Jetzt müssen die Universitäten in die Pflicht genommen werden. Zum Beispiel über konkrete Zielvereinbarungen zwischen Hochschulleitung und Forschungsministerium mit jenen Fakultäten, die bereit sind, Frauen innerhalb einer festgelegten Zeitspanne zu berufen. Solche Fakultäten könnten in den Genuss zusätzlicher Stellen und Mittel kommen. Zugleich muss der systematische Aufbau von Nachwuchswissenschaftlerinnen geplant und organisiert werden, damit auch geeignete Bewerberinnen existieren. Die Ziele müssen realistisch aber ehrgeizig sein.

Es ist kaum sinnvoll, in nur wenigen Jahren die Hälfte aller Positionen im Maschinenbau mit Frauen zu besetzen, wenn es diese (noch) gar nicht gibt. Wo keine Wissenschaftlerinnen sind, lassen sie sich auch nicht berufen. Doch in vielen Fächern ist der Pool an weiblichem Nachwuchs schon heute signifikant – und die Frauen müssen gerade nach der Promotion unterstützt werden, vor allem in den Jahren, in denen der Karriereknick am größten ist.

Mehr Offenheit bei Berufungsverfahren

Zweitens brauchen wir andere Berufungsverfahren. Eine öffentliche Ausschreibung klingt zwar demokratisch, weil sich im Prinzip jeder bewerben kann. Tatsache ist jedoch, dass bestimmte Personengruppen sich selten, ungern oder nie bewerben, darunter Ausländer, Frauen, sowie die Allerbesten, ob nun Männer oder Frauen.

Deshalb müssen Fakultäten wissen, wen sie wollen und auf diese Personen zugehen. Nun heißt es gerne, dass das zu teuer sei, man hätte das Geld nicht, um die Besten zu berufen. Das stimmt jedoch einfach nicht mehr. Und notfalls muss man sich eben mit benachbarten Max-Planck-Instituten, mit Industrieunternehmen oder anderen Forschungseinrichtungen zusammentun.

Verkrustete Strukturen und fehlende Familienfreundlichkeit

Drittens sind die Strukturen innerhalb der Universität veraltet. Wer einen Lehrstuhl hat, wird mit Verwaltungsarbeit belastet, die Frauen oft wenig interessiert. Männer dagegen neigen dazu, es als prestigereich anzusehen, möglichst viele „Untergebene” und Sitze in Gremien zu haben. Dass es auch ganz anders geht und dennoch der Wissenschaft nicht abträglich sein muss, zeigen die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich oder auch angelsächsische Universitäten.

Dort gibt es echte Departments mit kleinen Lehr- und Forschungseinheiten, die räumlich so begrenzt ausgestattet sind, dass keine Empire entstehen können. Natürlich gibt es auch Frauen, die gerne große Lehrstühle führen. Aber viele tun es notgedrungen, weil andere Alternativen nicht angeboten werden. Das „Lehrstuhlprinzip” ist eine eher maskuline Konstruktion, die automatisch die Berufungschancen für Wissenschaftlerinnenverringert.

Schließlich vermisse ich die Kinder in der Universität. Vielleicht war ich zu lange nicht mehr im Hauptgebäude der Münchener Universität, an Kinderstimmen kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Andernorts lebt man in der Universität, bei uns besucht man die Universität. Dabei ist ein Großteil dieser Besucher in einem Alter, das die Existenz von Kindern nahezu zwangsläufig bringt.

Die Strukturen innerhalb der Universität sind veraltet. Und: Ich vermisse die Kinder in der Universität.

Doch es geht auch anders: Als sich kürzlich eine hochschwangere Mitarbeiterin verabschiedete, erwartete ich, der ich noch an deutsche Mutterschaftsregelungen gewohnt war, sie vielleicht erst in drei Jahren wieder zu sehen. Falsch! Sie wird nach spätestens drei Monaten zurückerwartet.

In Belgien zum Beispiel ist sowas selbstverständlich. Ein großes Angebot an Kinderkrippen, Tagesmüttern – bis in die Bürogebäude hinein – sowie Waschsalons
und Drogerien nahe des Campus, erleichtern Vätern und Müttern den Alltag. Und unlängst flatterte mir eine Tagungseinladung aus den USA auf den Tisch. Auf dem Anmeldeformular war eine Spalte vorgesehen, in der angekreuzt werden konnte, wie viele Stunden oder Tage Kinderbetreuung man benötige. Einen solchen Service habe ich bei der Einladung zu einem Kongress in Deutschland noch nie erlebt.

Warum eigentlich nicht?

Als die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, geboren 1940, ein Kind war, gingen Mädchen selten zur Schule. Ihr älterer Bruder fragte die Mutter:
„Warum geht eigentlich Wangari nicht zur Schule, wie wir anderen alle?” Darauf antwortete die Mutter, nach kurzem Nachdenken: „Es gibt keinen Grund, warum eigentlich nicht?” Und sie schickte Wangari zur Schule.

Wenn es weiter so schleppend vorangeht, brauchen wir die Quote

Dieses erleuchtende „Warum eigentlich nicht?” ist bei der Gleichstellung in der Forschung in Deutschland kaum jemanden bislang in den Sinn gekommen, noch ist es wirklich in die Tat umgesetzt.

Wenn es weiter so schleppend vorangeht, muss die so gefürchtete Quote eingeführt werden, ob wir es denn wollen oder nicht. Ich persönlich wäre dafür. Lieber gestern als heute.

Dieser Text erschien unter dem Titel “Es muss etwas passieren!” zuerst bei EMMA – Copyright: www.emma.de.
Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Online-Veröffentlichung.

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker ist Biochemiker und war von 1998-2006 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 1. Januar 2007 ist er Generalsekretär des Europäischen Forschungsrates in Brüssel.