Es gibt wohl keine Diskussion über den geringen Frauenanteil in wissenschaftlichen Spitzenpositionen, in der nicht früher oder später das Gespräch auf die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Kinderwunsch kommt. Und natürlich sind die oftmals familienfeindlichen Randbedingungen ein Faktor, der es Frauen noch schwerer macht, sich in der Wissenschaft durchzusetzen.

Dr. Inken Lind, die seit vielen Jahren zu diesen Fragen forscht, plädiert allerdings dafür, zwischen dem geringen Frauenanteil in der Wissenschaft und dem Vereinbarkeitsdiskurs zu unterscheiden. Weshalb es sich lohnt, diese Aspekte auseinanderzuhalten, erläutert sie in zwei spannenden Artikeln:

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Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft existieren in Deutschland eingeschränkte Gestaltungsspielräume, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Dies wird vor allem an dem geringen Anteil von Professorinnen mit Kindern festgemacht. In jüngster wird zunehmend auch die Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern hinsichtlich vorhandener Kinder und der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie betrachtet (Auferkorte-Michaelis et al. 2006a; 2006b).

Gleichzeitig verdeutlicht der Blick über die Grenzen, dass sich die Situation für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie bei unseren europäischen Nachbarn anders darstellt, wie der höhere Anteil an Wissenschaftlerinnen mit Kindern in anderen europäischen Ländern zeigt (vgl. European Commission, 2006; Zimmer, et al. 2007).

In anderen europäischen Ländern gibt es mehr Wissenschaftler- innen mit Kindern.

Die bisherigen Ergebnisse zum Thema beziehen sich überwiegend auf die Lebens- und Arbeitssituation von Wissenschaftlerinnen mit Kindern (z.B. Strehmel, 1999) oder erfassen die Anzahl von Wissenschaftlerinnen, die mit oder ohne Kindern ihre Karriere verfolgen (Zimmer et al., 2007; Auftertkorte-Michaels et al., 2006b). Wenige Erkenntnisse gibt es dagegen zu den Bedingungsfaktoren der Wissenschaftsinstitutionen, die die Ausbildung eines Lebensstils ohne Kinder begünstigen. (1)

Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick zur Kinderzahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Deutschland sowie im internationalen Vergleich. Das Zahlenmaterial wird ergänzt durch Befunde zur Vereinbarkeit in der Wissenschaft. Doch zunächst soll der deutsche Diskurs zur Vereinbarkeit in der Wissenschaft kritisch hinterfragt werden. (2)


Der Vereinbarkeits-Diskurs

Die Debatte um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie weist einige Merkmale auf, die in dieser Form als nicht haltbar und für die Sache kontraproduktiv bezeichnet werden müssen. Vor allem zwei Spezifika des aktuellen Diskurses sind hierbei zu nennen: zum einen wird das Thema (fast) ausschließlich in Bezug auf Frauen diskutiert, zum anderen dient die Thematisierung der Vereinbarkeitsproblematik als Erklärung für den geringen Frauenanteil an hohen wissenschaftlichen Positionen in Deutschland. Beides ist dysfunktional sowohl für die Verbesserung der Chancengleichheit als auch der Work-Life-Balance in der Wissenschaft.

In der Diskussion um die Vereinbarkeit werden Männer und Väter weitgehend ausgeblendet.

Die weitgehende Ausblendung von Männern und Vätern aus der Diskussion um Vereinbarkeit ist problematisch und läuft anderen derzeit wirkenden gesellschaftlichen Veränderungen entgegen. In der Wissenschaft bleiben damit alte Rollenbilder und Verfügbarkeitserwartungen an Männer unhinterfragt. Gleichzeitig wird die Ausblendung von Vätern jenen Männern nicht gerecht, die sich partnerschaftlich oder alleinverantwortlich um ihre Kinder kümmern. Dass auch für Männer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Zuge neuer Lebens- und Partnerschaftsformen zunehmend schwierig wird, dringt erst langsam ins Bewusstsein wissenschaftlicher Mentoren (vgl. Wolf-Wendel, 2003; Solga & Rusconi, 2004; Rusconi & Solga, 2002).

Zum anderen wird die Vereinbarkeitsproblematik häufig als zentrale Erklärung für die ungleichen Karrierechancen von Frauen in der Wissenschaft herangezogen; mitunter findet sogar eine weitgehende Gleichsetzung von Vereinbarkeitsthematik und Marginalisierung von Frauen in der Wissenschaft statt (vgl. Lind, 2007).

Dies mag vor allem an zweierlei Beobachtungen liegen: Der Tatsache des geringen Frauenanteils in hohen wissenschaftlichen Positionen sowie der Erfahrung, dass Wissenschaftlerinnen bei uns seltener und weniger Kinder haben als männliche Wissenschaftler. Diese beiden für sich stehenden Befunde werden zu der Annahme verschmolzen, dass die Vereinbarkeitsproblematik die zentrale Ursache für die geringeren Aufstiegschancen von Frauen ist. Da in Deutschland die gesellschaftlichen Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer ungünstiger sind als in anderen Ländern, scheint dies intuitiv plausibel (Lind, 2007).

Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik auseinanderhalten!

Die undifferenzierte Gleichsetzung von Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik für Frauen in der Wissenschaft verstellt jedoch die Sicht auf wissenschaftsimmanente strukturelle Barrieren, die unabhängig von vorhandenen Kindern die Karriereoptionen von Frauen generell einschränken.

Auch kinderlose Wissenschaftlerinnen sind weniger erfolgreich als ihre männlichen Kollegen.

Tatsächlich finden sich derzeit keine Belege für eine monokausale Beziehung zwischen Kindern und geringen Karriereoptionen für Wissenschaftlerinnen. Weder gibt es durchschnittlich Unterschiede zwischen Müttern und kinderlosen Wissenschaftlerinnen in der Zeitspanne für ihre Qualifikationsphasen (vgl. Lind, 2004b; Lind, 2006), noch eindeutige Belege für eine geringere Publikationsrate der Mütter (Kiegelmann, 2000; Leemann, 2002; Allmendinger, 2005; Lind, 2004c; Lind & Löther, 2006).

Vielmehr kann bereits zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des ersten Kindes ein unterschiedlicher Karriereverlauf von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern festgestellt werden (Lind, 2004a, 2007; Lind & Löther, 2007; vgl. Allmendinger, 2005). Und nicht zuletzt sind auch Wissenschaftlerinnen ohne Kinder alles in allem seltener erfolgreich als ihre männlichen Kollegen, unabhängig davon, ob diese Kinder haben oder nicht (Allmendinger, 2005; Allmendinger et al., 2000; Stebut; 2003; Wimbauer, 1999). Diese und ähnliche Befunde verdeutlichen, dass Mutterschaft nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen ist.

Mutterschaft ist nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen!

Das Phänomen der Unterrepräsentanz von Frauen und die Thematik der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sind im Sinne eines konstruktiven Diskurses daher als zwei getrennte – wenn auch interferierende – Phänomene zu betrachten (Lind, 2007). Möglicherweise ist beides – sowohl die geringe Kinderzahl von Wissenschaftlerinnen (und zunehmend Wissenschaftlern) als auch die geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit von Frauen – durch Spezifika des deutschen Wissenschaftssystems bedingt, die sowohl auf die Chancenungleichheit als auch auf unzureichende Vereinbarkeitsoptionen verstärkend oder zumindest aufrechterhaltend wirken.(3)

» Literatur

» Teil II: Kinder als Risiko für die Hochschulkarriere?: Vereinbarkeit von Hochschulkarriere und Elternschaft II

Dr. Inken Lind ist seit 2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS / GESIS
IZ – Sozialwissenschaften.

Sie hat mehrere Studien und Analysen zu Genderaspekten in wissenschaftlichen Biographien durchgeführt und leitet derzeit das Projekt “Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft” (www.bawie.de).

(1) Hierzu werden u. a. die lange ungesicherte Beschäftigungssituation des wissenschaftlichen Mittelbaus als ursächlich vermutet, die teilweise als prekär empfunden wird und auch langfristige Lebensplanungen erschwert (vgl. dazu Aufertkorte-Michaelis, 2006a; Klecha, 2008; Müller, 2008).

(2) Für eine ausführlichere kritische Analyse der Debatte um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sowie zu verbreiteten Annahmen über die Ursachen des vergleichsweise geringen Frauenanteils in der Wissenschaft in Deutschland siehe Lind , 2007.

(3) Aus unserer Sicht birgt die Betrachtung von strukturellen Bedingungen in ihrer Wirkung auf Chancengleichheit und Vereinbarkeit ein hohes Erkenntnispotential. Insbesondere die zu vermutenden Wechselwirkungen zwischen der individuellen Ebene auf Seiten der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und der strukturellen Ebene der Wissenschaftsinstitutionen sind höchst interessant und könnten Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen liefern (vgl. dazu auch Lind, 2004a)