Irene Pieper-Seier nennt Zahlen, Fakten und Erklärungen, weshalb in der Mathematik immer noch relativ wenige Frauen promovieren. Und wenn sie skizziert, welche psychologischen Momente die Karrierewege junger Mathematikerinnen bestimmen, dann wird deutlich: Frauen sind häufig unnötig selbstkritisch, gerade was ihre fachliche Eignung angeht…
Gerade einmal bei 10% lag der Frauenanteil an mathematischen Promotionen in den Jahren 1986-1988. Ab 1992 ist – wie die Angaben des Wissenschaftsrats belegen – ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Im Jahre 1998 wurden erstmals mehr als 20% (genauer 21,9%) erreicht. Allerdings lag der Frauenanteil bei den Promotionen in allen Fächern zu diesem Zeitpunkt bereits bei 33,3%.
Interessant ist auch ein Blick ins europäische Ausland: So lag der Frauenanteil bei den Promotionen in der Fächergruppe Mathematik/Statistik im Jahr 2003 nach Angaben der Europäischen Kommission in Italien bei 42,4%, in Portugal bei 58,3% und in Schweden bei 16%.
Welche Faktoren sind für die geringe Promotionsneigung von Frauen in Deutschland verantwortlich?
Daher ist die Frage von Interesse, welche Faktoren die geringere Neigung von Frauen in Deutschland zur Promotion in Mathematik beeinflussen, denn die allgemein genannten Aspekte wie Familiengründung, Vereinbarkeitsfrage und (zumindest an der Universität) unsichere Beschäftigungsverhältnisse erklären die spezifische Situation in der Mathematik nicht ausreichend.
Wie im einführenden Artikel schon erwähnt wurde, liegt ein Grund in der Tatsache, dass Frauen häufiger das Lehramt wählen, wobei sie mit dem Staatsexamen zwar promovieren könnten, dies aber entsprechend dem allgemeinen Trend in der Mathematik nur in Ausnahmefällen tun.
Ergebnisse eines Forschungsprojekts
In einem Forschungsprojekt „Zur Entwicklung von fachbezogenen Strategien, Einstellungen und Einschätzungen von Mathematikstudentinnen in den Studiengängen `Diplom Mathematik´ und `Lehramt an Gymnasien” haben wir an 28 Universitäten in Deutschland mehr als 700 Studierende beiderlei Geschlechts getestet und zu ihrer Studienfachwahl, ihrem Interesse an Mathematik, ihren Studienerfahrungen und Selbsteinschätzungen, ihrer Einstellung zu mathematischer Forschung und einer möglichen Promotion sowie zu ihren Berufs- und Lebensentwürfen befragt.
Die Antworten wurden mit einer Hauptkomponentenanalyse ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Studentinnen sich eher mit Blick auf den Beruf für den Studiengang und das Fach entschieden haben, während die Studenten vorrangig das Fach wählten, weil sie überzeugt sind, dass es ihnen besonders liegt. (Bei den meisten Fragekomplexen gibt es übrigens einen deutlichen Unterschied zwischen den Studiengängen Lehramt und Diplom.)
Für Frauen sind positive Vorbilder und Anerkennung wichtiger als für Männer.
Dies gilt insbesondere für die positive Einstellung zu einer möglichen Promotion, wie auch zur mathematischen Forschung. Erkennbar ist zugleich, dass die Frauen sich stärker als die Männer durch Anerkennung und Vorbild der Lehrenden motiviert fühlen. Die Frage nach der Vereinbarkeit einer möglichen wissenschaftlichen Karriere mit persönlichen Lebensentwürfen bzw. Familienwunsch, war für die Befragten weniger bedeutsam bzw. hatte keinen signifikanten Einfluss auf eine positive Einstellung zu einer (späteren) Promotion. Hier ist zu berücksichtigen, das zum Zeitpunkt der Befragung die Familiengründung in den meisten Fällen noch kein aktuelles Problemfeld war.
Bei den Diplomstudierenden zeigten sich insgesamt deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen zeigen die für eine positive Haltung zur Promotion förderlichen Voraussetzungen in geringerem Ausmaß als Männer.
Zu viel Selbstkritik, zu wenig Selbstvertrauen
Für die geringere Neigung von Frauen zur Promotion in Mathematik ist auch ihre kritische Selbsteinschätzung, insbesondere der Mangel an fachbezogenem Selbstvertrauen bedeutsam. Zudem spielt die bei den Frauen hohe Wertschätzung von Sicherheit und Klarheit in der Mathematik eine wesentliche Rolle, die die Arbeit an offenen Problemen, wie sie für Dissertationen und Forschung typisch sind, eher als Wagnis erscheinen lässt. Zudem betonen die Diplomfrauen stärker als die Männer, dass sie im Studium zu wenig Einblick in mathematische Forschung erhalten.
Die besonders kritische Selbsteinschätzung der Frauen wurde auch deutlich in den qualitativen Interviews, die die Studie abrundeten. Ein typisches Zitat einer Studentin, die entschieden hat, nicht zu promovieren, soll diesen Aspekt exemplarisch beleuchten:
„Also ich finde jemand, der promoviert, der muss richtig gut sein. Der muss zu den drei Besten seines Semesters gehören, und das tu’ ich nicht.”
In einer Studie mit dem Absolventenjahrgang 1998 der Mathematik-Studiengänge Diplom und Lehramt an Gymnasien, die an der Universität Erlangen durchgeführt wurde, zeigten sich mit Blick auf den Promotionswunsch geringe Geschlechterunterschiede (vgl. Abele et.al. 2004: 81ff). MathematikerInnen, die promovierten, zeichneten sich durch starkes Sachinteresse, sehr gute Noten und kurze Studienzeiten aus; sie hatten ihr Studium positiv erlebt und waren von Dozenten gefördert worden.
Die wissenschaftliche Laufbahn erschien jedoch nur für einen kleinen Teil der Befragten attraktiv, für Frauen noch weniger als für Männer (a.a.O.: 88). Als Gründe für die Entscheidung gegen eine wissenschaftliche Laufbahn gaben die Befragten vorrangig an, dass sie die Chancen derzeit für ungünstig hielten oder ihre eigenen Kompetenzen eher anders gelagert seien (a.a.O.: 84).
(2) Hier wurden nicht Frauenanteile an den verschiedenen Qualifikationsstufen mit den entsprechenden Daten für alle Fächer verglichen, sondern die Anteile der Absolventen bzw. Absolventinnen dieses Jahrgangs bestimmt, die promovieren wollten. Der gerade erfolgreich erreichte Studienabschluss kann für diese Frauen auch eine positive Wirkung auf das fachbezogene Selbstvertrauen gehabt und damit möglicherweise die positive Entscheidung zu einer Promotion verstärkt haben.
(3) Für diese Begründungen ist keine geschlechtsbezogene Auswertung angegeben.
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