Ines Weller zeigt, dass in der Chemie quasi ein Idealbild des “erfolgreichen Chemikers” dominiert und gepflegt wird – und dieses ist männlich codiert. Pech für die Chemikerinnen…
Die unzureichende Partizipation von Frauen insbesondere in den einflussreichen Positionen der Chemie in Wissenschaft und Unternehmen wirft die Frage auf, worauf dies zurückzuführen ist. Hier bieten z.B. Studien über den Einfluss der jeweiligen Fachkultur und den Habitus ihrer VertreterInnen Ansatzpunkte für Erklärungen.
Für die Chemie hat dies beispielsweise die Sozialwissenschaftlerin Barbara Nägele untersucht (Nägele 1998). An einem konkreten Fachbereich, dem Fachbereich Chemie der Universität Göttingen, hat sie eine Fallstudie zu den Geschlechterverhältnissen durchgeführt.
Wissenschaftliche Disziplinen unterscheiden sich auch durch den Habitus, der in ihnen gepflegt wird…
Sie hat dazu weibliche und männliche Mitglieder der verschiedenen Statusgruppen zu ihrer Wahrnehmung der Geschlechterordnung befragt, mit ihnen Gruppendiskussionen durchgeführt und das Geschehen an diesem Fachbereich mit der Methode der teilnehmenden Beobachtung untersucht.
Je attraktiver die Stellen, desto seltener bekommen sie Frauen
Dabei hat sie zum einen die häufig wenig greifbaren Formen der Benachteiligung von Frauen z.B. bei der Vergabe von Qualifizierungsstellen und Forschungsressourcen, sowie bei der Einbindung in professionelle Netzwerke nachgezeichnet. Beispielsweise konnte sie zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einer Chemikerin abnehme, „je besser eine Stelle bezahlt ist, je mehr Karriereaussichten sie bietet und je besser sie sozialrechtlich abgesichert ist” (Nägele 1998: 48).
Ihre Untersuchungen verdeutlichen außerdem den nach wie vor schwierigen Zugang von Chemikerinnen zu den Netzwerken der jeweiligen scientific community, der für den erfolgreichen Aufbau einer wissenschaftlichen Karriere jedoch eine wesentliche Voraussetzung darstellt.
Zum anderen hat sie versucht, den Habitus, d.h. die Selbstdarstellungen und -inszenierungen der Chemiker und Chemikerinnen, zu bestimmen.
Der “erfolgreiche Chemiker”
Als ein Ergebnis hat sie bei den von ihr befragten RepräsentantInnen der Chemie die geschlechtliche Codierung des „erfolgreichen Chemikers” herausgearbeitet. Danach wird das Bild eines erfolgreichen Chemikers implizit mit Eigenschaften, wie z.B. praktisches Geschick und Intuition verknüpft.
Diese werden sowohl männlich gedacht, als auch naturalisiert, d.h. dass sie als biologisch gegeben gelten:
„Die meisten Professoren betreiben in ihren Diskursen eine Vergeschlechtlichung ihres Berufes (insbesondere Intuitionsdiskurs und Praktikerdiskurs). Sie konstruieren ihn so, dass er rein männlich ist und bleibt” (Nägele 1998: 142).
Zugleich verweist sie auf mögliche, in Ansätzen erkennbare Modernisierungstendenzen in den jüngeren ChemikerInnengenerationen, deren Relevanz für eine tatsächliche Umsetzung von mehr Chancengleichheit in der Chemie allerdings noch zu überprüfen ist.
Nägeles Untersuchung über einen chemischen Fachbereich einer Universität bezieht sich streng genommen nicht allein auf die Ebene „women in chemistry”, sondern verweist durch ihren Blick auf die Fachkultur bereits auf „gender in chemistry” und die Wechselbeziehungen zwischen beiden.
Literatur:
- Nägele, Barbara (1998): Von ´Mädchen` und ´Kollegen`. Zum Geschlechterverhältnis am Fachbereich Chemie. NUT-Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V. Schriftenreihe, Band 6, Mössingen-Talheim
* Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Passage aus: Weller, Ines (2006). Geschlechterforschung in der Chemie: Spurensuche in der Welt der Stoffe. In: Smilla Ebeling, Sigrid Schmitz (Hrsg.). Geschlechterforschung und Naturwissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 117-138 (Daten 2008 aktualisiert)
Kommentare (2)