Wie arbeitet ein Paläontologe? Wie gelangt man von einem Häufchen fossiler Haizähne zu einem konkreten Tier in einem klar definierten Lebensraum? All diesen Fragen soll im folgenden Artikel nachgegangen werden.
Das Puzzle beginnt im Dunkeln. Irgendwo in einer Sammlung, in einem Laborschrank in einer Holzschublade, in einer durchsichtigen Plastikdose auf einem genau passenden Papieretikett, liegen Zähne. Das Papier wurde vor hundert Jahren mit Feder und Tinte in geschwungenen Buchstaben beschriftet, kaum mehr leserlich.
“Scyliorhinidae indet.” ist dort zu lesen. Die Bedeutung: Undefinierte Katzenhaie. Eine Mischung verschiedenster Formen, unterschiedlicher Erhaltungszustände, teils noch im umgebenden Gestein eingebettet.
Auf den Wissenschaftler warten nun verschiedene Arbeitsschrítte. Am Ende soll bestimmt sein, was an diesem Grabungspunkt vor hundert Jahren gefunden worden ist, und unter welchen Bedingungen welche Tiere wie gelebt haben.
Sammlungsstücke, die noch in (Kalk-)stein eingebettet sind, werden in sanftem Säurebad nach und nach ausgelöst. Sandsteine kann man mit Präparationsnadeln unter dem Binokular entfernen. Hat man ein gut ausgestattetes Präpationslabor, kann man natürlich auch mit Druckluft und Sandstrahl arbeiten.
Im Fall der zu erzählenden Geschichte fand sich jedoch ein kleines Grüppchen zusammengehörender, ca. 2mm langer Zähne, die keiner Präparation mehr nötig machten. Nach Vergleichen mit Fotografien und Beschreibungen war recht schnell klar, dass es sich um Katzenhaie handelte.
Die Familie der Scyliorhinidae bezeichnet die Gruppe der Katzenhaie. Diese zeichnet einschlanker Körperbau aus, der sie perfekt auf das Leben am Meeresboden anpasst. Alle rezenten Arten (bis auf eine Ausnahme- (Pentanchus profundicolus) besitzen zwei Finnen (Rückenflossen), wobei die erste im Unterschied zu allen anderen Familien erst auf Höhe der Bauchflossen beginnt, manchmal sogar erst etwas dahinter.
Namensgebend für diese kleinen Haie (um die 20 bis 170cm Körperlänge) ist die besondere Struktur des Auges, denn die längsgerichtete Pupille erinnert an die von Katzen. Die Nickhaut schließt das Auge von unten nach oben.
Viele moderne Arten haben eine auffällige Zeichnung. Flecken, Bänder, Sättel und unterschiedliche Jugendfärbungen machen die Tiere außerordentlich attraktiv.
- Scyliorhinus canicula Foto:© Hans Hillewaert / CC-BY-SA-3.0
Durch ihre Größe und ihr minderaggressives Verhalten sind zum Beispiel der Korallen-Katzenhai (Atelomycterus marmoratus) oder der Kleingefleckte Katzenhai (Scyliorhinus canicula) beliebte Zootiere.
Was kann man von all dem nun auf Fossilien dieser Familie übertragen? Sicherlich nichts hinsichtlich Zeichnung, Färbung oder Verhalten. Was von Haien überliefert wird, sind vornehmlich Zähne. Mit spezieller Technik und viel Glück kann man auch hin und wieder Placoidschuppen untersuchen, aus denen die Haut besteht. Das spezielle Revolvergebiss setzt sich zusammen aus mehreren Schichten speziell umgebildeter Placoidschuppen, die letztlich in ihrer Funktion Zähne darstellen. Natürlich unterscheiden sie sich stark von herkömmlichen Wirbeltierzähnen. Wie die Schuppen der Haut sitzen auch die Zähne lose im Fleisch der Kiefer. Das führt dazu, dass sie schnell ausfallen, sofort ersetzt werden und somit immer scharf bleiben.
Als Laie mag man denken: “Was soll mir so ein Haufen kleiner, unterschiedlicher Zähne denn sagen?” Hier kann man ganz klar antworten: “Eine ganze Menge!” – als erstes kann man untersuchen, in welcher Häufigkeit die Zähne in welcher Art Sediment fossil vorliegen. Das gibt Rückschlüsse auf die Häufigkeit der Lebewesen im erhaltenen Biotop. Die Art des Gesteins sagt uns, welche Bedingungen herrschten. Egal ob strömungsarm, brackig, geröllhaltig oder bewachsenes Flachwasser- eine jede sogenannte Fazies hinterlässt ihr eindeutiges Bild im Gestein. In der Plastikschale der Sammlung fanden sich Reste eines feinen, sandigen Kalksteins.
Kommen Zähne einer Art in Massen vor, kann man davon ausgehen, dass diese Tiere zahlreich vorhanden waren. Natürlich besteht auch immer die Möglichkeit, dass nur wenige Tiere ungewöhnlich viele Zeitzeugen hinterlassen haben und andere Arten, die tatsächlich höhere Individuenzahlen hatten, aus unbekannten Gründen nicht überliefert wurden. Hier geht man aber nach dem Vorsatz vor: Was ist wahrscheinlicher? Und wenn es keine Anzeichen für besondere Umstände gibt, kann man direkt proportional annehmen, dass viele Zähne = viele Individuen aussagen.
Doch nicht nur die blanke Auszählung der Einzelzähne und die Gesteinsanalyse bringen wertvolle Daten. Die Zähne an sich sind voller wertvoller Informationen. Findet man in einer großen Menge recht einheitlicher Zähne drei Exemplare einer anderen Art, zum Beispiel der Spezies Scyliorhinus destombesi (CAPETTA 1977) – sagt dies zum Beispiel folgendes aus:
Die Art S. destombesi lebte zeitgleich mit der recht individuenstarken Art X in einem klar definierten Biotop. S. destombesi lebte in einer anderen Nische, mit einem wahrscheinlich anderen Verhalten als Art X. Scyliorhinus destombesi kann nicht so umfassend beschrieben werden wie Art X, da weniger Analysematerial vorliegt. Im konkreten Fall sind es 3 Zähne. Eine sehr gut erhaltene Krone, zwei weitere in Bruchstücken, aber mit erhaltener Wurzel.
Zahn 1 (hier in der Lingualansicht), die charakteristische Krone, wuchs relativ weit vorn, aber immer noch seitlich im Kiefer. Das erkennt man unter anderem am Verhältnis der Länge zur Höhe des Exemplars. Eine massive Hauptspitze und ausgeprägte Nebenspitzen bieten mehrere Bestimmungsmerkmale. Im konkreten Fall ist dies die Verschmelzung der Nebenzähne mit der Hauptspitze im basalen Bereich, die kräftige Schmelzstreifung, die Abflachung der Labialseite des Zahns (zur Lippe hin = labial) und der deutliche Überhang der Krone zur Wurzel. Ist eine solche vorhanden, kann man Haie sehr sicher bestimmen. Typische “Löcher”, Furchen oder Formen sind einzigartig.
Zähne 2 und 3 wuchsen recht weit hinten, auch seitlich im Kiefer. Sie sind schmaler und spitzer als Zahn 1 (in der Abbildung als Labialansicht) und weisen Merkmale auf, die speziell bei anterioren Exemplaren vorhanden sein können- zum Beispiel der Verlust der typischen Struktur. (Phänomen der Ausglättung – MÜLLER, 1991)
Anhand dieser Merkmale kann der Paläontologe recht sicher eine Art bestimmen. Stößt man nun in der Oberkreide Sachsens auf Scyliorhinus destombesi und vergleicht diese Zahnstrukturen mit rezenten Katzenhaien, wird man sehr starke Übereinstimmungen finden. Nun kann man beginnen, weitere Rückschlüsse zu ziehen, indem man die Biologie der rezenten Arten den Strukturen der Fossilien gegenüberstellt.
Durch die Ähnlichkeit kann man auf ähnliche Körpergrößen schließen. Im konkreten Fall hatten die Zähne eine Höhe von knapp 2mm. Somit kann man für die Rekonstruktion des ausgestorbenen Tieres eine Körperlänge von etwas unter einen Meter annehmen, wenn man davon ausgeht, dass die gefundenen Zähne Adulttieren zugeordnet werden. Struktur und Aufbau zeigen, dass die Art der Nahrung sich nicht geändert hat. Rezente Katzenhaie ernähren sich von Wirbellosen und kleinen Fischen, die aktiv gejagt werden.
Katzenhaie findet man heute in Schelfgebieten bis in Tiefen um 2000m. Man kann sie somit in den Bereich von Normal- bis Schwellenfazies eingruppieren. Dies entspricht auch dem eingangs untersuchten Umgebungsgestein, welches als feiner sandiger Kalkstein angesprochen werden kann. Dies legt nahe, dass sich das Habitat, also bodennahe (benthische), langsame, meist nachtaktive und standorttreue Lebensweise, schon damals ausgeprägt hatte.
Die Wissenschaft der Paläontologie setzt sich, wie an diesem Beispiel dargelegt, daraus zusammen, aufmerksam zu beobachten, alle verfügbaren Daten zu sammeln, nichts zu verändern und am Ende Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn man es richtig macht, wird aus drei kleinen, unscheinbaren Zähnchen ein schlanker, langsamer, versteckt lebender Hai der Oberkreide, der auf Jagd ging und dabei Zähne verlor. Heute liegen sie säuberlichst beschriftet und in durchsichtige Plastikdosen sortiert, in einem Museum in Sachsen. Mit neuem, computerbedrucktem Etikett. Darauf wartend, dass in einhundert Jahren, mit neuen technischen Möglichkeiten noch viel mehr spannende Details erkundet werden können.
Interessiert an Fachliteratur dazu? Bitte sehr:
CAPETTA, H. 1977: “Observations sur quelques selachiens du cretace superieur d’angleterre avec la description d’un genre nouveau”
MÜLLER, A. & DIEDRICH, C. 1991: “Selachier (Pisces, Chondrichthyes) aus dem Cenomanium von Aschersloh am Teutoburger Wald (Nordrhein-Westphalen, NW-Deutschland)”
MEIER, A. 2004: “Selachier der Sächsischen Kreide”
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