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Professor Rosling begeisterte das Publikum mit seinem Eröffnungsvortrag (Foto: Laura Höflinger)

Gestern um halb Vier war es soweit, das 58ste Nobelpreisträgertreffen wurde feierlich eröffnet. Die Gräfin Sonja Bernadotte war leider verhindert, doch ihre Tochter Bettina Bernadotte sprang spontan ein und offenbarte am Pult echte Unterhalterqualitäten. Sie führte locker und trotzdem dem Anlass entsprechend würdevoll durch das Programm. Es wurden ausführlich alle anwesenden VIPs begrüßt, allen Beteiligten gedankt und die aktuellen und ehemaligen Laureaten gewürdigt. Nach der formalen Einführungsrunde, gab’s am Schluss noch ein echtes Highlight. Der Eröffnungs-Vortrag kam vom Schweden Prof. Dr. Hans Rosling.

Seiner Präsentation „A fact based world view” folgte das Publikum gebannt und interessiert. Mit Sprachwitz und anschaulichen Beispielen führte er kurzweilig durch seinen lebendigen Vortrag.

Seine grundlegende Botschaft war, Forschung, Lehre und die Medien orientieren sich viel zu wenig an aktuelle Fakten und viel zu sehr an einer überkommenen Einteilung der Welt in simple Extreme. Um seine Theorie anschaulich zu machen, präsentierte er einen Test, den er üblicherweise bei seinen Erstsemestern durchführt.

Abgefragt wurden verschiedene Länderpaare, zum Beispiel: Sri Lanka – Türkei, Polen – Südkorea oder Pakistan – Vietnam. Welches der Länder hat eine höhere Kindersterblichkeitsrate? Die durchschnittliche Anzahl richtiger Antworten betrug 1,8 aus 5. Affen kommen durch ihre willkürliche Wahl auf 2,5. Roslings pointiertes Fazit: „Die besten Studenten Schwedens wissen weniger als Schimpansen!”
Gerade hochgebildete Menschen würden sich viel mehr durch Vorurteile und veraltete Stereotypen leiten lassen als sie selbst vermuten.
Das nächste Beispiel, das Rosling mit seinen Studenten durchexerzierte war die Unterscheidung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer. Die Studenten behaupteten steif und fest: Die Welt teilt sich in Arm und Reich! Und dieser Abstand wird immer größer. Die Ungerechtigkeit nimmt zu. Die Reaktion des smarten schwedischen Professors: „Nennen Sie mir doch erstmal vernünftige Kriterien Entwicklungs- und Industrieland zu unterscheiden!” Seine Studenten diskutierten damals lange und kamen zu folgendem scheinbar allgemeingültigen Schlüssel:

Industrieland = hohe Lebenserwartung, niedrige Geburtenrate
Entwicklungsland = niedrige Lebenserwartung, hohe Geburtenrate

Um die wahre Faktenlage zu verdeutlichen setzte Rosling jetzt eine interaktive Infografik ein. Das erste Schaubild schien die Theorie der Studenten zu bestätigen, nur spiegelte diese den Stand von 1950 wieder. Nach einem Klick auf Play wanderten die Zahlen und Kreise über die Grafik und veränderten sich von Jahr zu Jahr bis in die Gegenwart. Man konnte es förmlich live miterleben, die Verhältnisse weltweit habe sich drastisch geändert. Singapur habe heute eine niedrigere Kindersterblichkeitsrate als die USA oder Schweden, Singapur sei sogar das gesündeste Land der Welt! Für die USA nannte Rosling das schlechte Sozialsystem als Grund und verdeutlichte mir drastischen Worte die Ausmaße der Kindersterblichkeitsrate: „Jedes Jahr gibt es einen erneuten 11. September wegen der mangelnden Gesundheitsversorgung!” Geht man in die Provinzen wird es noch komplexer, die chinesische Region Shanghai hatte schon 2006 eine höhere Kaufkraft als Deutschland.

Eine geteilte Welt gibt es also nicht, es gibt nur eine stark fragmentierte Welt. Es gibt heute sozial abgehängte Menschen in westlichen Industrienationen die ärmer sind als mancher Facharbeiter in afrikanischen Boom-Ländern. Grundsätzlich habe die Globalisierung die Armut im Durchschnitt leicht gemindert. In vielen Regionen gehe es den Menschen heute besser. Aber ganz klar, auch das bringe wieder neue Probleme, eine weite Grafik zeigt, ab einem bestimmten Wohlstandsgrad kippt die CO2 Bilanz der Aufstiegsländer.

Woran liegt es aber, dass gerade Journalisten und Akademiker die alten Weltbilder so vehement vertreten? Rosling antwortet polemisch: „Weil sie die Lehrmeinung der Bücher vertreten die in den 50iger erschienen sind!” Doch nicht alle seien so naiv, das beste und aktuellste Faktenwissen hätte seiner Erfahrung nach die Experten der Wirtschaft. Hedge-Fond-Manager wüssten genau welches Land in Südamerika gerade einen Aufschwung hat und welches sein Schulsystem massiv ausbaut. Das Faktenwissen der Mainstream-Wissenschaft über den Zustand der Weltgemeinschaft verglich Rosling mit seinem eigenen Wissen über Wein. „Ich weiß es gibt roten und weißen Wein. Ein Winzer dagegen verfügt über ein riesiges Fachwissen über Sorte, Jahrgang und Hintergrunddetails.”

Geschäftstüchtig scheint Herr Dr. Rosling auf jeden Fall zu sein, die beeindruckende Software Trendalyzer, die er zusammen mit seinem Sohn entwickelte und mit deren Hilfe er hunderte von Datensätzen anschaulich visualisieren kann, verkaufte er an Google.

Für alle Interessierten gibt es sie aber zum kostenlosen Ausprobieren unter: www.gapminder.org

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Visualization from Gapminder World, powered by Trendalyzer from www.gapminder.org.

Herr Prof. Dr. Roslings Vortrag als Videostream (gegen Ende des Films).

Kommentare (4)

  1. Danke für den interessanten Bericht. Und beim Vortrag von Prof. Rosling hat man ja offenbar wirklich was verpasst. Denn wenn neben dem unterhaltsamen Vortrag noch so viele spannende (und teilweise irritierende) Informationen vermittelt werden, dann ist das natürlich absolute Weltklasse.

    Und auch die “Gapminder”-Website ist unbedingt einen Besuch wert – Danke auch hier für den Link.

  2. #2 Tobias
    Juli 1, 2008

    Hier noch ein Link zu einem Talk von Rosling auf Youtube mit exzessiver Nutzung von Gapminder
    Hans Rosling: No more boring data: TEDTalks

    War das vielleicht ein ähnlicher Talk wie der in Lindau?

  3. #3 ali
    Juli 1, 2008

    Ich tue normalwerweise mein Bestes um meine eigenen Klischees und mein eigenes gefährliches Halbwissen zu hinterfragen. Wie auch immer, Dinge die nicht gerade zum persönlichen Spezialgebiet gehören versucht man nunmal meist mit Annäherungen zu beurteilen (ich muss halt nicht sehr oft schätzen ob Polen oder Südkorea die tiefere Kindersterblichkeitsrate hat und es ist kein sehr nützliches Wissen in meinem Alltag). Hingegen je mehr man über etwas weiss, desto differenzierter das Bild. Aber man kann ja nicht zu allem gleichzeitig Spezialist sein. Insofern überraschen mich diese Resultate überhaupt nicht.

    Wenn ich aber über etwas schreibe oder forsche, dann recherchiere ich kritisch (und ich glaube das ist Standard bei den meisten Wissenschaftlern). Wenn einige Journalisten oder Studenten dafür zu faul sind, dann liegt da das Problem und nicht im Reproduzieren von Wissen aus den 50er Jahren. Ich behaupte mal ein Sozialwissenschaftler der über Brasilien schreibt, weiss normalerweise auch was der Hedge-Fund Manager weiss (und analysiert es vielleicht sogar besser). Ich bin mir also nicht so sicher ob diese Gegenüberstellung mit der Privatwirtschaft nicht auch etwas tendenziös ist.

    Es gibt auf jeden Fall einen Unterschied zwischen Trivial Pursuit Schätzfragen und dem Verfassen eines wissenschaftlichen Artikels.

  4. #4 Sprachspielerin
    Juli 1, 2008

    Hm, es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wenig man weiß bzw. wie schnell man auf seine eigenen Vorurteile und Klischees im Kopf zurückgreifen muss und auf sie hereinfällt, ohne es überhaupt zu bemerken. Und dabei glaubt man dann auch noch, es ganz genau zu wissen! Mit einem Schimpansen nicht mithalten zu können, ist da schon sehr deprimierend. Und dass “gerade hochgebildete Menschen” hier noch mehr Probleme haben, ist auch nicht wirklich aufbauend!