Lindau ist definitiv nicht der kälteste Ort im Universum! Hier ist es heute wolkenlos sonnig und fast schon zu heiss. Der kälteste Ort befindet sich aber nicht weit von hier: das europäische Kernforschungszentrum CERN!
Heute Nachmittag fand hier in Lindau eine Pressekonferenz statt, in der der wissenschaftliche Leiter des CERN, Jos Engelen und der LHC Projektleiter, Lyn Evans über den aktuellen Stand des Teilchenbeschleunigers LHC berichteten und gemeinsam mit den Nobelpreisträgern Gerardus ‘t Hooft, David Gross, Carlo Rubbia, Martin Veltman und George Smoot über die zu erwartenden Ergebnisse diskutierten. Zusätzlich gab es noch eine Live-Schaltung direkt zu CERN die den anwesenden Journalisten einen kleinen Einblick in die aktuellen Arbeiten am LHC lieferten.
Der Large Hadron Collider (LHC) ist wirklich ein gewaltiges Ding! 54 Kilometer Tunnel; riesenhafte Detektoren – und all das muss gekühlt werden, um optimal zu funktionieren. Und “gekühlt” bedeutet hier nicht, dass dort ein paar Klimaanlagen aufgestellt werden. Die ganze Maschine muss auf 1.9 Kelvin runtergekühlt werden – nur dann lässt sie sich effizient betrieben.
1.9 Kelvin ist enorm kalt! Das sind nur 2 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt! Sogar das Weltall ist mit einer Temperatur von 2.7 Kelvin (-270 Grad Celsius!) wärmer als das LHC bei CERN. Jos Engelen kann daher in der Pressekonferenz mit einigem Recht behaupten, CERN wäre der kälteste Ort im Universum!
Aber nicht nur die Temperatur des LHC ist aussergewöhnlich. Die Experimente, die dort vermutlich im Spätsommer beginnen, werden zu den spannensten und wichtigsten gehören, die die Physik derzeit zu bieten hat. Dementsprechend groß sind die Erwartungshaltungen, die auch die Nobelpreisträger an LHC haben. Und die Forscher am CERN tun ihr bestes, um dem gerecht zu werden. Im Moment wird noch fieberhaft daran gearbeitet, alle Geräte fertigzustellen und auszutesten:
“Wir fühlen uns so, als würden wir einen Marathon mit einem Sprint beenden”,
meinte Lyn Evans, der LHC Projektleiten.
Und auch Jos Engelen erzählt auf der Pressekonferenz von den gewaltigen Problemen, die vor Inbetriebnahme des LHC zu lösen waren. Wenn die Maschine erstmal läuft, werden dort zum Beispiel etwa 100 Millionen Teilchenkollisionen pro Sekunde stattfinden! Und all diese Daten müssen analysiert werden.
Eines der Hauptziele von LHC ist ja die Suche nach dem “Higgs-Teilchen“, das eine fundamentale Rolle im Standardmodell der Teilchenphysik spielt. Dieses bislang nur theoretisch vorhergesagte Teilchen soll dafür verantwortlich sein, dass die übrigen Elementarteilchen überhaupt erst eine Masse haben können. Die meisten theoretischen Physiker sind eigentlich fest davon überzeugt, dass es existieren muss. Aber bisher war die Technik noch nicht ausgereift genug, um es auch wirklich finden zu können. Die Modelle zeigen nun, dass eigentlich auch am LHC ein paar Higgs-Teilchen erzeugt werden müssten. Mann muss sie nur finden! Und hier kommt wieder die enorme Datenmenge ins Spiel: wenn sich das Higgs-Teilchen so verhält, wie vorhergesagt, dann würde etwa alle 60 Sekunden eines erzeugt werden. In diesen 60 Sekunden finden aber (siehe oben) 60 mal 100 Millionen Kollisionen statt – und bei einer davon kann man mit viel Glück vielleicht den Zerfall eines Higgs-Teilchens nachweisen! Man kann sich also vorstellen, vor welche Probleme die Wissenschaftler am CERN gestellt werden. Diese enormen Datenmengen können nicht mehr händisch untersucht werden – hier müssen ausgeklügelte Computeralgorithmen automatisch nach den richtigen Spuren suchen. Aber auch das ist nicht leicht – es ist geplant das am Ende ein internationales Netzwerk aus einer Million Computern die Datenauswertung abwickelt!
Was aber passiert nun, wenn man das Higgs-Teilchen tatsächlich findet? Oder wenn man es trotz allem nicht findet? Nicht immer wünschen sich die Physiker eine exakte Bestätigung der Vorhersagen. Martin Veltman hofft zum Beispiel, das am LHC etwas gefunden wird, das nicht exakt den Vorhersagen des Standardmodells entspricht. Denn dann müsste man die Theorien weiterentwickeln und würde wohl schneller zu neuen Erkentnissen gelangen, als wenn sich die aktuelle Theorie exakt bestätigt. Auch David Gross meinte, dass es fast spannender wäre nichts zu finden, als etwas zu finden. Denn dann müsste man sich auf die Suche nach einer vollkommen neuen Theorie machen!
Bei den anschliessenden Fragen der anwesenden Journalisten wurde als allererstes danach gefragt, wann LHC denn nun genau in Betrieb genommen wird; wann die ersten echten Experimente durchgeführt werden und wann voraussichtlich mit der Entdeckung des ersten Higgs-Teilchens zu rechnen ist.
Carlos Rubbia antwortete darauf fast schon ein bisschen ärgerlich, dass man nun schon 14 Jahre an diesem gewaltigen Projekt baut; das es sich um eine völlig neue Technologie handelt und das man deswegen auch nicht ständig nach dem “Wann” fragen sollte. Bei solchen innovativen Projekten kann es lange dauern, bis alles so funktioniert, wie man sich das vorstellt. Man solle die Forscher also am besten in Ruhe die Probleme lösen lassen. Auch David Gross ist davon überzeugt, dass das Higgs-Boson nicht die erste Entdeckung des LHC sein wird. Vor allem deswegen, weil die Datenauswertung durchaus 2-3 Jahre dauern kann und LHC ja auch noch andere Ziele hat (z.B. die Suche nach Teilchen der ebenfalls bis jetzt weitesgehend unbekannten dunklen Materie).
Auch die Frage nach der Zukunft kam auf. Sind nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens die grossen Teilchenbeschleuniger überflüssig? Was kann, was wird die Teilchenphysik als nächstes in Angriff nehmen? David Gross erklärte, dass an den nächsten Schritten schon lange gearbeitet wird. Analog zum LHC, bei dem zwei Strahlen aus Protonen zur Kollision gebracht werden, soll ein Beschleuniger gebaut werden, bei dem Elektronenstrahlen aufeinanderprallen. Carlos Rubbia warf ein, dass Teilchenphysik nicht nur mit Teilchenbeschleunigern betrieben werden kann. Immer noch ungelöste Probleme wie den Protonenzerfall lassen sich auf andere Art und Weise viel besser untersuchen. Er plädierte dafür, sich nicht auf eine bestimmte Forschungsrichtung und -art festzulegen:
“Lasst die Natur uns sagen, wie es weitergehen soll. Lassen wir uns das gesamte Spektrum der Möglichkeiten offen!”
Zum Schluss wurde unter anderem auch die Frage nach dem Stromverbrauch des LHC gestellt. Wer erzeugt die gewaltigen Mengen an Energie, die für die Experimente benötigt werden? Hier konnte Lyn Evans eine überraschende Antwort geben: Wie ich oben schon erwähnt habe, ist die komplette LHC-Maschinerie auf 1.9 Kelvin gekühlt. Das wird gemacht, um den Supraleitereffekt auszunützen: bei sehr tiefen Temperaturen verlieren elektrische Leiter jeden Widerstand und Strom kann verlustfrei geleitet werden. Das ermöglicht erst das optimale Funktionieren des LHC – es führt aber auch dazu, dass LHC weniger Strom verbraucht als die früheren Experimente am CERN!
Ein Thema wurde natürlich auch angesprochen – wenn auch nur kurz: wird LHC nun die Erde zerstören oder nicht? David Gross nannte diese Hypothese
“vollkommen absurd und dumm”
Ich will hier nicht nochmal wiederholen, was er zu diesem Thema gesagt hat – alle Argumente und Erklärungen, warum LHC die Erde nicht zerstören wird, wurden hier bei Scienceblogs schon ausführlich diskutiert. David Gross hat jedenfalls nochmal darauf hingewiesen, dass CERN trotz allem, was dagegen spricht, die ganze Angelegenheit ausführlich untersucht hat und keinerlei irgendwiegeartete Gefahr feststellen konnte.
Die letzte Frage der Pressekonferenz beschäftigte sich mit möglichen industriellen Anwendungen, die sich aus der Forschung am LHC ergeben könnten. Lyn Evans meinte, dass LHC vorrangig für die Wissenschaft gebaut wurde und nicht für die Industrie. Es sei aber immer möglich, dass sich interessante “spin-offs” ergeben.
Eines dieser “Nebenprodukte” die am CERN im Zuge der teilchenphysikalischen Forschung entwickelt wurden, dürfte übrigens jeder kennen: das Internet!
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