Aaron Ciechanover, Nobelpreisgewinner 2004, über Strategien der Entdeckung pharmazeutisch wirksamer Substranzen und die Arzneimittelentwicklung. Er sieht eine Unterteilung in drei Phasen: 1. Zufällige Entdeckungen, 2. Systematische Screenings, 3. Personalisierte Medizin.
Aaron Ciechanover hat 2004 den Nobelpreis zusammen mit Avram Hershko und Irwin Rose für die Entdeckung des ubiquitinabhängigen Proteinabbaus bekommen. Sein Talk hier in Lindau hatte ein komplett anderes Thema: Drug discovery and Biomedical Research in the 21st century – third revolution.
Ciechanover hat einen historischen Überblick über verschiedene Strategien der Entdeckung und Entwicklung von Medikamenten gegeben und einen Ausblick auf das, was durch moderne Methoden und auf Basis des sequenzierten Humangenoms möglich wird. Er unterteilt die Entdeckung von Medikamenten in drei Phasen:
Die erste Phase – von 1930 bis 1960 – nennt er die Ära der zufälligen Entdeckungen. Also: Keine Ahnung warum – aber es wirkt! Beispiel Aspirin:
Es war bekannt, dass die Rinde einer Weidenart einen Wirkstoff enthält, der gegen alles mögliche hilft. Der Stoff wurde isoliert, war aber ungenießbar, da viel zu bitter. In einem zweiten Schritt wurde der isolierte Stoff neutralisiert. Felix Hoffmann, der übrigens auch als erster Heroin synthetisierte, hat dann mit diesem Stoff weiter gearbeitet, und ihn seinem Vater verabreicht, der an Arthritis litt. Nach erfolgreicher Behandlung, wurde das Patent an Bayer verkauft, und zum globalen Megaseller.
Erst in den 1970ern wurde der Mechanismus aufgeklärt, wie Aspirin wirkt: Es ist ein Inhibitor der Prostaglandinsynthese, also ein Entzündungshemmer. Man weiss mittlerweile also, wie es wirkt, aber nicht genau warum es bei einer so diversen Gruppe von Erkrankungen effektiv ist. Aspirin verringert Fieber, hilft bei Arthritis, schützt vor Herzinfarkt und schützt vor einigen Krebsarten durch die entzündungshemmende Wirkung. Aspirin wird daher auch gerne vorbeugend genommen, unter anderem von Ciechanover selbst – trotz der bekannten Nebenwirkung: Aspirin verursacht Blutungen im Magen-Darmbereich.
Die zweite Revolution von der Ciechanover sprach läuft seit den 1970ern. Er gibt als Endpunkt das Jahr 2000 an, tatsächlich werden aber heute noch viele Medikamente auf diesem Weg entdeckt. Es ist die Ära der systematischen Screenings. Er nannte es: “fishing in the dark with no real idea behind it” oder “era of serendipity”.
Sein Beispiel sind die Statine. Arzneimittel, die cholesterinsenkende Wirkung haben und so das Herzinfarktrisiko vermindern. Statine sind Hemmer der 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase (HMG-CoA-Reduktase). Die Ausgangshypothese für die Entdeckung war die Annahme, dass die HMG-CoA Reduktase möglicherweise von einigen Pilzen synthetisiert wird, um sich vor anderen Mikroorganismen zu schützen.
Die Screenings waren erfolgreich. Hemmer der HMG-CoA-Reduktase wurden gefunden und isoliert, die heute unter dem Namen Statine bekannten Medikamente, also zum Beispiel atorvastatin (Lipitor®), fluvastatin (Lescol®), lovastatin (Mevacor®, Altocor®), pravastatin (Pravachol®, Selektine®, Lipostat®), rosuvastatin (Crestor®), simvastatin (Zocor®) und cerivastatin (Lipobay®, Baycol®) sind wieder das Ergebnis riesiger Screenings.
Laut Ciechanover sind die Statine die größten Blogbuster, die über 20 Milliarden Dollar Umsatz generieren. Obwohl ebenfalls unklar ist, was genau passiert wenn man statine schluckt, ist bekannt, dass Statine über den Schutz vor Herzinfarkte hinaus weitere Effekte haben. Sie können zum Beispiel vor Alzheimer schützen und das Risko verringern an einigen Krebsarten zu erkranken, so dass Statine zum Teil ebenfalls von völlig gesunden Menschen eingenommen werden.
Auch Statine können jedoch Nebenwirkungen haben: Erhöhte Leberwerte, Schädigungen der Skelettmuskulatur und in seltenen Fällen Nierenversagen. Letzteres war der Auslöser des Skandals um Lipobay, das Bayer in Folge einiger Todesfälle 2001 vom Markt nahm.
Die dritte Revolution der Entdeckung und Entwicklung von Medikamenten hat gerade erst begonnen. Es sind designte Medikamente, die auf verstandenen Mechanismen beruhen und die individuell angepasst verschrieben werden. Personalisierte Medizin also. Dazu ist zum Beispiel notwendig, die genauen molekularen Grundlagen spezifischer Krebsarten zu verstehen, und selbstverständlich die Sequenzierung des eigenen Genoms.
Ciechanover verdeutlichte das Problem anhand von Beispielen: Aktuell wird Prostatakrebs bei Männern und Brustkrebs bei Frauen gleich therapiert. Offensichtlich handelt es sich um unterschiedliche Erkrankungen. Weiter werden beispielsweise zwei Frauen mit Brustkrebs diagnostiziert. Eine ist Östrogen-sensitiv, die andere nicht. Die Diagnose ist die gleiche, die aktuelle Therapie wirkt nur bei der einen.
Die dritte Revolution steht vor einer Reihe von Problemen und hat selbstverständlich auch Risiken. Ciechanover hat dies auf einem seiner letzten Slides schön zusammengefasst (click aufs Bild macht die Abbildung größer).
» Tobias Maier ist Biochemiker und forscht als Postdoc am CRG in Barcelona. » Er führt das Blog WeiterGen auf ScienceBlogs |
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