Nach Ertl und Ciechanover an den ersten beiden Lindaunachmittagen stand für Mittwoch Kurt Wüthrich auf meinem Programm. Vor allem weil ich mir erhoffte, dass die Zuhörerschaft hier überschaubar wäre. Ich wurde nicht enttäuscht. Sicherlich hat auch der Regen dazu beigetragen, dass “nur” 40 Jungforscher den Weg in den großen Saal des alten Rathauses gefunden haben.
Zu Beginn lässt der Nobelpreisträger seinen Stuhl nach vorne bringen damit die Barriere “Tisch” Ihn nicht von seinem Publikum trennt. Ausserdem fordert er uns auf die vorderen Reihen zu füllen. Er merkt an, dass in der ersten Reihe bei Vorträgen üblicherweise nur Professoren sitzen… und dies wahrscheinlich auch schon als Studenten getan haben. Danach entwickelt sich eine sehr fachspezifische Diskussion über Strukturbiologie. Als Kristallograph freut es mich selbstverständlich, dass er zugibt, dass Kristallographie der Kernmagnetresonanz “weit voraus” ist. Allerdings bezieht sich diese Aussage lediglich auf die Softwarelandschaft, welche für NMR noch sehr heterogen und wenig standardisiert ist. Ganz bescheiden ist er davon überzeugt, dass seine Methoden sich durchsetzen werden. Bei einigen Fragen wird auch ein wenig gestritten und so manchem Diskutanten empfielt Wüthrich einschlägige Artikel zur Lektüre.
Am Ende wird es dann doch noch etwas weniger wissenschaftlich, als die obligatorische “Wie haben Sie sich gefühlt als Sie den Preis bekamen”-Frage gestellt wird. Offenbar hatte Wüthrich den Chemie-Nobelpreis abgeschrieben als Ernst ihn 1991 alleine bekommen hatte. Ein wenig Hoffnung hatter er lediglich in Medizin aufgrund seiner wichtigen Arbeiten über Prione. Deshalb war er auch nicht erreichbar als ein Anruf aus Schweden kam, was am Ende in einer amüsanten Anekdote mündete.
Die Triebkraft für seine frühe Forschung an Hämoglobin war übrigens das Verlangen schneller laufen zu können. Er wollte nach eigener Aussage eine olympische Medaille – nicht den Nobelpreis. Zunächst war er nur am Zentralmetall mit seinen direkten Liganden interessiert und nicht an dem “biologischen Müll” drumherum mit dem er sich jetzt beschäftigt. Es wird klar, dass seine Forschung hochgradig interdisziplinär ist: Er selbst hat als anorganischer Chemiker angefangen, viele seiner Doktoranden waren Physiker und seine Methoden sowie Ergebnisse werden von Biologen, Chemikern, Medizinern und Politikern genutzt.
Sicher ist, dass er diesen Blogpost hier nicht lesen wird. Um sich von der überwältigenden Informationsflut heutzutage abzuschotten, liest er nicht einmal seine E-mails und hat selber noch nie eine solche geschrieben. Assistenten lesen diese für Ihn und drucken Relevantes aus. Gegebenenfalls wird es Ihm dann zugefaxt. Man schreibt wohl besser einen Brief, wenn man sich bei Ihm bewerben möchte.
“Science is a living thing, especially when you are at the front of it.”
» Oliver Schuster ist normalerweise Chemiker und blogt hier aus Neugier |
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