Heiß war es gestern auf der Insel Mainau, wo die Lindauer Nobelpreisträgertagung traditionell ihren Abschluss fand. Der Klima- und Umweltphysiker Thomas Stocker von der Universität Bern erinnerte die schwitzenden Zuhörer der Paneldiskussion zum Thema “Global Warming and Sustainability” an den Rekordsommer 2003, der allein in Europa tausende Todesopfer forderte. Daß der anthropogene Klimawandel ein riesiges Problem darstellt, war bei den Diskussionsteilnehmern dann auch unumstritten, über die Antworten auf diese globale Herausforderungen war man sich allerdings überhaupt nicht einig.
Podiumsdiskussionen dienen ja üblicherweise vor allem einer öffentlichen Artikulation der unterschiedlichen Perspektiven und weniger der Klärung und Problemlösung. Das war auch gestern nicht anders, als ein prominent besetztes Panel vor den mehr als 500 Nachwuchswissenschaftlern der Lindauer Tagung diskutierte. Zunächst standen den Diskutanten fünf Minuten zur Verfügung, um ein kurzes Eingangsstatement abzugeben, im zweiten Teil fand dann die eigentliche Diskussion statt, die sich freilich über weite Strecken mehr an politischen, denn an wissenschaftlichen Fragen abarbeitete.
Unsustainable Development
Einigkeit auf dem Podium: Klimawandel nur Teil eines größeren Problemzusammenhangs
Den Anfang machte Rajendra K. Pachauri, Vorsitzender des IPCC. Er stellte klar, daß der Klimawandel nur Teil eines größeren Problemzusammenhangs ist. Mit großer Sorge beobachte er den Raubbau an den natürlichen Ressourcen, wodurch in absehbarer Zeit die Lebensgrundlagen von zwei Dritteln der Weltbevölkerung gefährdet sei. Als Beispiel nannte er etwa das Abschmelzen der Himalayagletscher, das die Wasserversorgung von Millionen Menschen bedrohe. Angesichts dieser Entwicklungen sei ein dringendes Umdenken und schnelles Handeln erforderlich: das Prinzip der Nachhaltigkeit müsse in allen Lebens- und Wirtschaftszusammenhängen leitend werden.
Im Moment sieht Pachauri freilich fast überall eine Politik des Weiter-so. Für ihn – das wurde klar – ist das nichts anderes als ein “unsustainable development”.
Was die grundsätzliche Einschätzung des Problemzusammenhangs betrifft, so ist Björn Lomborg (Copenhagen Business School) gar nicht einmal so weit von Rajendra K. Pachauris Standpunkt entfernt. Beide betonen den Kontext, in dem der Klimawandel abläuft und insistierten darauf, daß es immer auch um den Zugang zu sauberem Wasser oder Kommunikationsmöglichkeiten, den Kampf um medizinische Grundversorgung und Bildungs- und Lebenschancen gehe.
Und so konstatierte der anfangs recht zahme Lomborg: “We all agree that climate change is an important issue.” Im Unterschied zum IPCC-Chef, blickt der selbstbewußte Däne allerdings deutlich zuversichtlicher in die Zukunft. Erstens, so Lomberg, habe man schon viele Prozesse in Sachen Nachhaltigkeit auf den Weg gebracht. Zweitens werde der technologische Fortschritt die Probleme in Zukunft lösen helfen. Entscheidend sei aber heute, daß finanzielle Ressourcen nicht für ineffiziente Maßnahmen (hier der erwartete Seitenhieb auf Programme zur Förderung der Photovoltaik) verschleudert werden.
Lomborg mahnte: Let please focus on sustainability, but also focus on development.
Wäre Lomborg nicht derjenige, der seit bald zehn Jahren immer wieder gegen internationale Verträge wie das Kyoto-Protokoll oder den Weltklimarat IPCC stänkert, wäre an einer solchen Aussage wenig auszusetzen. Auch Chemie-Nobelpreisträger Mario Molina hieb anschließend in die selbe Kerbe, als er wiederholte, daß drei Viertel der Weltbevölkerung dringenden Nachholbedarf haben, was den Lebensstandard und die wirtschaftliche Entwicklung angehe.
Zwei, die sich nicht mögen: Rajendra K. Pachauri und Björn Lomberg:
Bei Molina ist es eher eine unausgesprochene Hoffnung auf Fortschritt und wissenschaftliche Problemlösungen, bei Lomborg dagegen der frech-naive Technologieoptimismus, der im Hintergrund steht.
Ganz anders, deutlich skeptischer und – wenigstens mir sehr sympathisch – war Professor Thomas Stocker aus der Schweiz. Sicherlich: den meisten Zuhörern wird er nicht viel Neues erzählt haben, als er erklärte, daß sich Extremwetterereignisse (wie der Hitzesommer 2003) häufen werden. Schon in 30 Jahren – so die Schätzungen – stehen uns alle 2 Jahre solche Hitzewellen bevor.
Dennoch darf man es bei einer solchen Gelegenheit gerne nochmal wiederholen: seit 500 Jahren gab es keinen vergleichbaren Sommer mit solchen Temperaturen und den entsprechenden Folgen. Die CO2-Konzentration in der Atmospähre, so führte er aus, ist höher als jemals in den letzten 800 000 Jahren. Die Strategie des Abwartens, die von Lomberg propagiert wird, ist für ihn folgerichtig grundfalsch. Schließlich gebe es längst irreversible Schäden. Bis 2050 müssten alle Staaten ihre Treibhausgas-Emissionen um 80% reduziert haben. Daran führe kein Weg vorbei.
Geo-Engineering ist keine Option, alle technischen Lösungen machen das Problem nur schlimmer, so Prof. Stocker.
Und Stocker gefiel auch mit einer weiteren klaren Aussage, die eine Absage an alle Geo-Engineering-Träume war. (“When you start geo-engineering, you forget the origin of the problem.”) Alle einseitig-technischen Lösungen machten das Problem nur schlimmer.
Ebenfalls gegen Lomborgs provokant-lässige Abwartehaltung (“wait and see”) argumentierte Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen in Vertretung von Annette Schavan. Wohltuend nüchtern wies sie darauf hin, daß die Herausforderung doch bitte nicht nur Entweder-Oder-Handlungen erlaube. Wenn man heute den Ausbau von regenerativen Energiequellen fördere, dann könne man doch gleichzeitig dennoch in die Erforschung künftiger Lösungen investieren. Und daß sich die Investitionen in den grünen Energiesektor für Deutschland längst ausgezahlt hätten und daß es in Deutschland eine Ökosteuer gäbe, wiederholte Qennet-Thielen ein gefühltes dutzendmal.
Bekannte Thesen, Diskussionen um des Kaisers Bart
Was hatte man also bis dahin gelernt? Daß IPCC-Chef Pachauri dringende Handlungen anmahnt und die Situation ernst ist? Daß Lomborg seine bekannten liberal-naiven Thesen wiederholt und jede Regulierung des Staates verteufelt? Daß Deutschland weltweit führend im Sektor der Solarenergie ist?
Wenig Neues also in Mainaus Sonnenschein. Währenddessen fächelten sich die Laureaten im Publikum frische Luft zu und weitere Wasserflaschen wurden durch die Reihen gereicht.
Die Wissenschaftsblogger Paula Schramm und Lars Fischer am schattigen Rand der Paneldiskussion. Im Hintergrund die schwitzenden Zuhörer:
Mehr Erkenntnisse lieferte freilich auch das Ende der Paneldiskussion nicht. Einig war sich die Fraktion von Pachauri über Molina bis zu Stocker, daß CO2-Emissionen unbedingt als Kostenfaktor im Wirtschaftssystem auftauchen müssen. Wobei hier auch von Lomborg kein Widerspruch kam.
Wenigstens hier schien man einig. Doch ob sich Lomberg und Pachauri jemals auf einen Preis für eine Tonne CO2 einigen könnten darf stark bezweifelt werden. Für Rajendra Pachauri sind die derzeit diskutierten 7 US-$/Tonne jedenfalls eindeutig zu wenig. Die Arbeiten des IPCC zeigen, daß die Schäden ein Vielfaches betragen.
Für die anstehende Klimakonferenz in Kopenhagen zeigte er sich allerdings sehr optimistisch. Er geht davon aus, daß dort ein überwältigendes Votum für ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll zustande kommen wird. Er nimmt allerorten einen Stimmungsumschwung wahr. Die Bevölkerungen in den einzelnen Ländern würden ihre Regierungen – sollten diese nicht unterzeichnen – abwählen. Man würde sich wünschen, Pachauri behielte recht.
Fragen eines Nobelpreisträgers
Zum Schluß kam dann aber doch noch ein wenig Schwung in die Runde. Als nämlich Laureat Roger Y. Tsien das Mikrofon ergriff und vom Podium wissen wollte, welche technologischen Pfade, denn so vielversprechend seien, so daß man den versammelten jungen Wissenschaftlern mit gutem Gewissen raten könne, sich dafür ein Forscherleben lang zu engagieren. Denn schließlich – und für ein solches Statement bekäme der gute Tsien auf den Scienceblogs wohl heftige Prügel – sei die Fusionsforschung so ein Beispiel, so Tsien, für Technologien, die immense Forschungsbudgets vershclingen, aber keinen Nutzen stiften. Fusionsforschung sei Zeitverschwendung und rausgeworfenes Geld.
“Fusion is a waste of time”, erklärte Roger Y. Tsien.
Ein naiver Standpunkt? Auf der Bühne versuchte man sich anschließend in der Aufzählung von vielversprechenden Feldern. Die Solarenergie (Stocker) wurde gennannt, Pachauri brachte die Biomasse ins Spiel und schließlich beendete Molina mehr oder minder diesem Spielchen ein Ende, als er betonte, daß es keine frühzeitige Festlegung geben dürfe. Er nannte das Beispiel der quantenmechanischen Forschung, die in vielen Feldern enorm wichtig sei. Und: Überraschungen dürften nicht ausgeschlossen werden.
Eine Antwort auf die Fragen, wie man dem Klimawandel heute begegnen muß oder wie nachhaltige Politik und Technologien des Jahres 2009 aussehen könnten, gab es freilich nicht. Stattdessen kreiste das Panel immer schön um die Streitfrage, wie man mit begrenzten öffentlichen Mitteln die richtigen Dinge tun könne. Aber was nun “richtig” oder zumindest “nicht falsch” ist, darüber wollte man sich kaum einigen.
Was zu erwarten war. Schließlich war man ja Zeuge einer Podiumsdiskussion. Da kommt es letztlich nicht darauf an, Antworten zu geben. Auch nicht an einem schwül-heißen Julitag auf der Insel Mainau.
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Auch Matthew Chalmers hat über das Panel gebloggt. Hier: Warming up for Copenhagen
» Marc Scheloske ist Sozialwissenschaftler und Redakteur von ScienceBlogs |
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