Ein Vergleich der bestverkauften Arzneimittel von 2007 mit der Rangliste von 1997 zeigt, dass die Pharmaindustrie mit den regulierenden Behörden Katz und Maus spielt: trotz deutlich schlechterer Medikamente wurde der Umsatz mehr als verdoppelt.
Die aktuelle Ausgabe des arznei-telegramm bringt einen Vergleich der umsatzstärksten Arzneimittel Deutschlands von 2007 mit dem Stand vor zehn Jahren. Daraus lässt sich unschwer erkennen, dass sich seit 1997 der Markt komplett gewandelt hat. Kein einziges Medikament von damals taucht jetzt noch in den Top-Posititonen auf. Sogar wenn man die ersten 50 Plätze vergleicht, findet sich mit dem Humaninsulin Actraphane nur ein einziger Bestseller von 1997, der seinen Rang halbwegs halten konnte (Position 36).
Wesentlich gewandelt hat sich auch der Erlös für die Hersteller der Präparate. Lag der Umsatz der 15 erstgereihten Mittel 1997 noch bei zusammen einer Milliarde Euro, so bezahlten Krankenkassen und Patienten zehn Jahre später bereits mehr als doppelt so viel, nämlich 2,4 Milliarden Euro. Ein sattes Plus von 240%, das die kumulative Inflation in diesem Jahrzehnt (20%) um ein Vielfaches übersteigt.
Dominierten in den 90ern noch Medikamente zur Behandlung der großen chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck den Markt, so wird heute, wie das arznei-telegramm kritisiert, „besonders viel Geld für extrem teure Neuerungen für seltenere Erkrankungen ausgegben.”
Am zweiten Rang der aktuellen Bestseller-Liste liegt beispielsweise das Zytostatikum Glivec, das zur Behandlung spezieller Leukämieformen verwendet wird. Doch wenn der Preis stimmt, lässt sich auch mit extrem seltenen Krankheiten ordentlich verdienen. Bei erwachsenen Patienten summiert sich der Bedarf von einer Tablette pro Tag auf Behandlungskosten von monatlich 3.287 Euro. Die Kinderdosis ist etwas günstiger. Der Konzern Novartis nahm mit der Therapie des Krebsleidens im Vorjahr stolze 186 Mio. Euro ein.
Zur Therapie der ebenso seltenen Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose finden sich gleich drei Arzneien in der Liste der Top-15. Gemeinsam kosteten sie das deutsche Gesundheitssystem beinahe eine halbe Milliarde Euro.
Und auch der Spitzenreiter und Rekord-Blockbuster, der HPV-Impfstoff „Gardasil” (267 Mio. Euro Umsatz) wendet sich gegen eine recht seltene Krankheit, die obendrein von Jahr zu Jahr seltener wird und weniger Frauenleben fordert: das Zervix-Karzinom. Diese positive Entwicklung hat mit Gardasil jedoch gar nichts zu tun. Das Verdienst gebührt vielmehr einer über die Jahre verbesserten Sexualhygiene sowie regelmäßiger Früherkennung mit Gebärmutter-Abstrich.
Die Umsatzrakete Gardasil kam erst vor kurzem, im Herbst 2006, überhaupt auf den Markt. Dass sie derart rasch zum Spitzenreiter aufstieg, ist den Experten der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu verdanken, die „auf dürftiger Datenbasis” (arznei-telegramm) eine Empfehlung für diese „erste Krebsimpfung” aussprachen, und damit die Krankenkassen verpflichteten, die enormen Kosten zu übernehmen. Die dreiteilige Grundimmunisierung kommt immerhin auf 480 Euro pro Person.
Den fehlenden Rest zum Kassenschlager besorgte eine psychologisch geschickte Werbekampagne, die einen hohen Anteil der Zielgruppe der 11 bis 17-jährigen Mädchen mit Appellen an die Eigenverantwortung sowie dem Angstknüppel zum Impfarzt trieb.
Der HPV-Impfstoff Gardasil wird von den Experten des arznei-telegramm ebenso als „umstrittenes Therapieprinzip” bewertet, wie vier weitere Mittel der Top-15. Sechs andere Präparate erhalten das Prädikat „Variante ohne besonderen Stellenwert (Scheininnovation)”.
Nur vier Medikamente der aktuellen Liste werden positiv eingestuft. Davon zwei als „Mittel der Wahl”, die beiden anderen als „Mittel der Reserve”.
1997 hatten noch zwei Drittel der Topseller eine positive Bewertung erhalten.
Daraus folgt, dass es der Pharmaindustrie im letzten Jahrzehnt gelungen ist, zeitweilige Monopolsitutationen ihrer Medikamente extrem gut auszunützen. Am besten Geld verdienen lässt es sich seit jeher in der Nähe des Todes, wie die Preise für die neuen Krebsmittel zeigen. Endgültig unverschämt werden diese Summen, wenn dem die relativ bescheidenen Erfolge und die teils enormen Nebenwirkungen der Therapie gegenüber gestellt werden.
Alles zusammen bietet ein bezeichnendes Bild des internationalen Arzneimittelmarktes, der nahezu ohne Preis- und Qualitätskontrolle die Gesundheitsbudgets von Jahr zu Jahr mehr auffrisst. Die EMEA (Europäische Arzneimittelbehörde) ist dabei sogar noch etwas kritikloser und wirtschaftsfreundlicher als ihr US-Pendant, die FDA (Food and Drug Administration).
Bestes Beispiel dafür ist Cervarix, das Konkurrenzprodukt des Konzerns GSK zum Bestseller Gardasil von Sanofi-Pasteur-MSD. Weil in Cervarix ein völlig neuartiger Hilfsstoff (Adjuvans) verwendet wurde, verlangte die FDA zu Jahresbeginn 2008 zusätzliche Nachweise für dessen Sicherheit und verweigerte die Marktzulassung. In Europa wurde hingegen nicht lange gefackelt und gleich die Massen-Anwendung in der Praxis erlaubt.
Und das obwohl die vorgelegten Studien eine enorme Rate von Nebenwirkungen der neuen „Krebsimpfung” belegten, die sogar die ohnehin hohe Rate von Gardasil noch übertrifft.
Details zu den üblen Tricks, die bei diesen Studien angewandt wurden, gibts in einem der nächsten Einträge.
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