Die Grippe-Impfungen wirken schlecht. Bei Millionen von Tamiflu-Packungen, die 2005, am Höhepunkt der Vogelgrippe-Hysterie angeschafft wurden, läuft demnächst das Haltbarkeitsdatum ab. Zum Glück ist weit und breit keine Pandemie im Anmarsch. Der Cochrane-Impfexperte Tom Jefferson hält die ganze Influenza-Vorsorge für einen schlechten Aprilscherz.


In der aktuellen Ausgabe des österr. Nachrichtenmagazins profil ist ein Artikel von mir zur Influenza-Vorsorge erschienen. Ein ähnlicher Artikel auch zuvor in der Beilage “Gesund” der Berliner Morgenpost

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Hier bringe ich die ungekürzte Fassung des Interviews, das ich mit dem britischen Epidemiologen Tom Jefferson geführt habe. Er hat als Koordinator der Cochrane-Vaccine-Field die gesamte Evidenz zur Grippe-Impfung aufgearbeitet. Das größte Wirksamkeitsloch fand sich bei Senioren, sowie bei Babys und Kleinkindern. Auf seiner persönlichen Homepage hat Jefferson eine “Pandemie-Clock” eingerichtet, die in der Art eines Countdowns die Tage bis zum Ausbruch der katastrophalen Influenza-Pandemie herunter zählt. Auf “Null” springt sie jährlich am 1. April.

Ehgartner: In den letzten beiden Jahren haben mehrere aufwendige Studien Ihre Analysen zur schlechten Wirksamkeit der Grippe-Impfung bestätigt. Hat sich damit ihre Sichtweise international durchgesetzt?

Jefferson: Nein, denn zu den Entscheidungsträgern ist das gar nicht durchgedrungen. Diese haben ja auch keinerlei Notiz von unseren Übersichtsarbeiten im Journal Lancet genommen. Darf ich noch mal in Erinnerung rufen, dass wir dafür nicht eine oder zwei oder drei Studien geprüft haben, sondern wir haben alle verfügbaren Daten der letzten 50 Jahre zur Wirksamkeit und Sicherheit der Grippe-Impfung in unsere Analysen aufgenommen.

Ehgartner: Wie war denn die Qualität dieser Studien?

Jefferson: Großteils sehr schlecht – die Laufzeit war meist viel zu kurz, auf Nebenwirkungen wurde kaum geachtet. Das Hauptproblem lag allerdings in der Interpretation der Daten. Meist standen diese nämlich in direktem Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der Autoren. Die Grippe-Impfung ist scheinbar zu einer Art Gospel geworden, wo vor allem der Glaube zählt.

Ehgartner: Liegt das daran, dass die meisten Studien von den Herstellern selbst finanziert werden?

Jefferson: Zum einen natürlich. Aber es wäre zu einfach, die Schuld allein der Pharmaindustrie zu geben. Sie verkaufen Impfungen, weil das ihr Geschäft ist. Das wirkliche Problem sind – wie ich sie nenne – die schlechten Lehrer: so genannte Impfexperten, die die Bevölkerung beraten wie Staubsaugervertreter, die ihre Ware anbringen wollen.

Ehgartner: Was wäre denn das Problem, wenn die Grippe-Impfung weniger gut wirkt als andere Impfungen? Das ist doch immerhin besser als gar kein Schutz.

Jefferson: Weltweit werden viele Milliarden in die Influenza-Vorsorge investiert. Das ist eine Menge Geld, das die Politiker auf Basis guter wissenschaftlicher Evidenz sinnvoll einsetzen sollten. Zuerst muss man prüfen, ob der Impfstoff wirkt, als nächstes ob er sicher ist. Was wir derzeit haben ist die perfekte Ungewissheit. Wir wissen nicht, ob Impfen besser oder gleich oder sogar schlechter ist, als gar nichts zu tun. Impfungen sind pharmazeutische Interventionen, die – wie alle Arzneimittel – auch Schaden anrichten können. Wir brauchen endlich große, unabhängig finanzierte Studien über mehrere Grippe-Saisonen, in der die Impfstoffe gegen Placebo getestet werden. Nur so können wir Sicherheit gewinnen. Und die Kosten wären verschwindend im Vergleich zu dem, was wir derzeit – völlig ins Blaue hinein – ausgeben.

Ehgartner: Mediziner und Behördenvertreter meinen, eine derartige Studie wäre unethisch, weil jene, die in die Placebogruppe gelost würden, keinen Schutz vor Grippe haben.

Jefferson: Derzeit wird Gesundheitspolitik betrieben, ohne dass es dafür irgend eine wissenschaftliche Basis gibt. Das nenne ich unethisch.
Nehmen sie beispielsweise die Empfehlung des Robert-Koch-Institut zur Frage, ob schwangere Frauen Grippe geimpft werden dürfen. Darin heißt es: “Zur Influenza-Impfung in der Schwangerschaft wird seitens der pharmazeutischen Unternehmen darauf verwiesen, dass gezielte Studien zur Sicherheit der Impfung bei Schwangeren fehlen, Schäden aber nicht bekannt sind, die Impfung ist daher nicht kontraindiziert”. Man weiß also nichts, empfiehlt die Impfung aber trotzdem. Leute, die solche Richtlinien herausgeben, sollten schnellstens von ihren Posten entfernt werden.

Tom Jefferson, 54, ist Koordinator der Cochrane-Vaccine-Field, und hat in den letzten drei Jahren eine Serie von Metaanalysen zur Influenza Vorsorge bzw Therapie mit Neuraminidase Inhibitoren (Tamiflu, Relenza) veröffentlicht. Hier findet sich eine Literatur-Übersicht. Hier eine deutsche Zusammenfassung der Analyse Ergebnisse zur antiviralen Therapie.
Tom Jefferson lebt mit seiner Familie in Rom.

Kommentare (16)

  1. #1 ezra
    November 9, 2008

    mir ist die grundsätzliche angst vor impfungen an sich schleierhaft. selbst wenn die wirksamkeit einer grippeimpfung gering wäre, es werden so viele menschen jährlich weltweit gegen grippe geimpft wo sind die massen von nebenwirkungen? alle veheimlicht? *harharhar*

    natürlich ist es notwendig die tatsächliche wirksamkeit zu erforschen, sonst wäre ja alles quatsch und kontraproduktiv. aber ich fürchte impfgegner stürzen sich geradezu auf so was. wenn auch ohne sinn und verstand…

  2. #2 w
    November 9, 2008

    Bei einem so lang bewährtem und wirksamen Impfstoff wie Influenza-Impfungen ist die Frage, ob es ethisch akzeptabel ist, ob Kinder /Erwachsene Placebo erhalten. Die meisten sagen nein.

    Und es klingt natürlich gut, wenn gesagt wird mit Cochrane Arbeiten der letzten 50 Jhr angeschaut- nur so stimmt das nicht- da wird streng gesiebt- und letztlich bleiben nur ein paar Studien übrig.

    Im letzten Monat ist im NEJM- eine höchstrangige Zeitschrift eine Publikation erschienen, die eine guten Benefit gezeigt hat, wenn Schwangere geimpft werden, die Kinder haben dann mit Hilfe von plazentär übertragenen Antikörpern einen Schutz vor Influenza Infektionen- und wrum soll das mittels aktiver Impfung auf einmal nicht gehen?

    Aber klar, mann kann streiten, obs 1000 Tote oder 4000 Influenza Tote pro Jahr sind- nur wieviel Tote wärem einem Bert Ehgartner recht?

  3. #3 presonic
    November 10, 2008

    interessant, dass der vorposter von tausenden grippetoten spricht. wenn man auf statistik.at nachschaut, sieht man, dass die zahl der toten pro jahr die 10 nicht überschreitet. (die mehrheit davon jenseits der 85)
    angesichts der geringen zahl an grippetoten halte ich es für sehr wohl dramatisch, dass die zahl der impfgeschädigten nirgendwo aufscheint. ich fürchte nämlich, diese zahl ist höher als 10 pro jahr.

  4. #4 Joerg
    November 10, 2008

    “angesichts der geringen zahl an grippetoten halte ich es für sehr wohl dramatisch, dass die zahl der impfgeschädigten nirgendwo aufscheint. ich fürchte nämlich, diese zahl ist höher als 10 pro jahr.”

    10 Tote < -> 10 Geschädigte? Wiegen die gleich viel?
    Aber egal, die Zahl 10 glaube ich sowieso nicht, wo ist bitte diese absurd niedrige Zahl her? Laut Wikipedia/Robert-Koch-Institut gab es im Winter 92/93 16-20k Tote durch Influenza…

  5. #5 florian
    November 10, 2008

    Ohne es überprüft zu haben, würde ich mal sagen, dass die 10 Toten – laut statistik.AT – sich nur auf Österreich beziehen…

  6. #6 w
    November 11, 2008

    Ach das ist schon richtig mit statistik austria. Ein statistisches Amt kann nur erheben, was gemeldet wird.
    Und wenn auch aus Kostengründen kein Virusnachweis bei Verstorbenen gemacht wird, ist halt die definitive Diagnose Influenza nicht möglich- und es wird auch nicht gemeldet.

    Zudem ist völlig klar, dass wenn das Virus mal die Lungenepitelien geschädigt hat, sich darauf bakterielle Infektionserrger (zB Pneumokokken) vermehren. Und dann wird halt an bakterieller Pneumonie gestorben- in Wirklichkeit war die eigentlich finale Ursache das Influenza Virus.

  7. #7 Tamiflu
    November 12, 2008

    Bert Ehgartner informiert wie ein Staubsaugervertreter- nämlich einseitig und falsch.

    Zitat: “Bei Millionen von Tamiflu-Packungen, die 2005, am Höhepunkt der Vogelgrippe-Hysterie angeschafft wurden, läuft demnächst das Haltbarkeitsdatum ab”

    Die Anschaffung wurde ab August 2005 angedacht. Die Laufzeit der Arzneispezialität beträgt gemäß Arzneimittelgesetz 5 Jahre. Wäre also bei Anschaffung neu hergestellter Tabletten irgendwann im Herbst 2010.

    Tatsächlich wurden nicht Tamiflu Tabletten angeschafft, sondern die Rohsubstanz in 7 kg Fässern- Haltbarkeit mind 10 Jahre. Wird das zu Tamiflu Tabletten formuliert kommt dann die reguläre Laufzeit von 5 Jahren dazu.

    Der Satz “Läuft demnächst das Haltbarkeitsdatum ab” ist daher definitiv eine Falschinformation. Ehgartner bezeichnet Ärzte, die Prognosen hinsichtlich der nächsten Influenza Saison abgeben als Lügner- eine falsche Prognose kann aber definitionsgemäß nie eine Lüge sein. Im Sinne Ehgartners kann man also seine Falschinformation getrost als Lüge bezeichnen.

  8. #8 Bert Ehgartner
    November 12, 2008

    Tatsächlich läuft bei den Tamiflu-Packungen, die 2005, am Höhepunkt der Vogelgrippe-Hysterie angeschafft wurden, demnächst das Haltbarkeitsdatum ab.
    Das ist keine Falschinformation.

    Dass außerdem auch noch Rohsubstanz geordert wurde, die eine längere Haltbarkeit hat, ist eine Zusatzinformation.
    Falls Sie ein Insider sind, könnten Sie ja hier berichten, wie viel in Tablettenform und wieviel in Pulverform gelagert wird. Offiziell wurden mir diese Zahlen leider nicht mitgeteilt.

    Mit Sicherheit falsch ist jedenfalls Ihre Aussage, dass KEINE Tamiflu-Tabletten, sondern ausschließlich Pulver angeschafft wurde.
    Zumindest für Österreich. Wie sich das in Deutschland verhält, weiß ich nicht.

  9. #9 Tamiflu
    November 12, 2008

    Der Begriff “demnächst” ist zunächst irreführend, weil unbestimmt. Laufzeit sind 5 Jahre laut SPC. Normalverbraucher würden meinen “demnächst” wäre dann dieses Jahr- und das ist falsch bzw irreführend.
    Ob ich Insider bin oder nicht spielt keine Rolle, da die Fakten für Laien in wenigen Minuten recherchierbar sind.
    Es ist im Artikel Ehgartner ja auch überhaupt keine Rede von Rohsubstanz, sondern lediglich von Millionen Tamiflu Packungen die demnächst ablaufen- und das ist falsch- oder ist demnächst in 2 Jahren- dann wäre es richtig, die Laufzeit betreffend, aber falsch weil auch Rohsubstanz eingekauft wurde, aber letzlich immer noch irreführend.
    Es wäre auch googlebar gewesen, dass Tamiflu grossteils erst Ende 2006 angeschafft werden sollte- also Ablaufdatum Ende 2011

  10. #10 Bert Ehgartner
    November 12, 2008

    very sophisticated.
    Aber auch etwas überheblich gegenüber den “Normalverbrauchern”. Oder trauen Sie denen nicht zu, die erwähnten FÜNF Jahre Haltbarkeit zur Jahreszahl zu addieren?

  11. #11 Tamiflu
    November 12, 2008

    Wenn etwas sophisticated für Normalverbraucher ist, ist es mal primär Aufgabe von Journalisten/Buchautoren, das ordentlich zu recherchieren und nicht noch verwirrender darzustellen. Das ist jedoch nicht geschehen. Pharma-Bashing ist natürlich leichter, und Experten Lügen zu unterstellen sowieso. Staubsaugervertretermentalität, nur saugt Ehgartner seine Falschinformationen nicht ab.

  12. #12 Catherina
    November 12, 2008

    Nicht dass ich mich in die schoene Streiterei einmischen wollte, aber die fuenf Jahre Haltbarkeit hat doch erst Herr/Frau Tamiflu in die Diskussion gebracht – im Originalheader des BE’schen Artikels steht die nicht, da steht “demnaechst”.

    Ich denke auch, ein wenig mehr Sorgfalt und ein wenig weniger Sensation stuende Bert E. gut zu Gesicht – zur Lektuere empfohlen sei Ben Goldacres “Bad Science”.

  13. #13 Bert Ehgartner
    November 12, 2008

    Keine Ursache, Catherina, misch Dich ruhig ein. Dann nimm aber auch zur Kenntnis, dass dieser Header eine Zusammenfassung des profil-Artikels ist, auf den ich verlinke – und den wohl auch Tamiflu gelesen hat. Und dort ist von fünf Jahren Haltbarkeit die Rede.

    Also sei etwas zurückhaltender mit Deinen naseweisen Belehrungen. Lies besser den Artikel und überlege an Hand der gelieferten Beispiele, wie viel “Bad Science” bislang bei den Empfehlungen zur Influenza-Vorsorge involviert war.

  14. #14 Catherina
    November 12, 2008

    Praezision, Bert, und zwar egal ob man 2 Seiten oder 2 Saetze schreibt. Die “Science” lese ich lieber im Original, Du aenderst mir zu oft die Interpretation der Autoren (ob einer ein autistisches Kind hat, wird ploetzlich Bestandteil seiner Wissenschaft, wenn Du Dich erinnern magst). Goenn Dir das Buch – kannst nur lernen, ueber Verantwortung der Presse und so – keine Sorge, Wissenschaftlern und Aerzten empfehle ich es auch.

  15. #15 Skeptikus
    November 15, 2008

    ich möchte kurz auf den aktuellen Skeptiker hinweisen
    http://www.gwup.org/skeptiker/archiv/2008/3/
    Titelstory: Tamiflu und die Vogelgrippehysterie
    Vom Ladenhüter zum Blockbuster, Seite 120 – 127. Christian Russ und Günther Ossimitz

  16. #16 Bert Ehgartner
    November 17, 2008

    Die Titelstory würde mich interessieren. Kannst Du mir den Artikel auch elektronisch zukommen lassen?
    Herzlichen Dank, Bert