Man redet immer über die ›Forschung und Lehre‹ und weiß eigentlich gar nicht so genau, wie sie organisiert ist«, schreibt der Leser mit dem Nickname Beobachter in Kommentar #11 zu meinem jüngsten Beitrag. »Wer entscheidet/bestimmt eigentlich darüber, über was ›geforscht und gelehrt‹ wird?«
Wer oder was (Gremium, Kommission) entscheidet darüber, an wen Lehraufträge vergeben werden (Berufung)[1] –
wer entscheidet über Projekte und wer sie leitet bzw. dort mitarbeitet –
welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung, wo kommen sie her –
welche Rolle spielen Management und Verwaltung –
wer entscheidet über »Beschäftigungskonditionen und den institutionellen Status«?
usw.
Beobachter fragt insgesamt nach den »hierarchischen Strukturen im ›Wissenschaftsbetrieb‹« und ihren Folgen. Das sind gute Fragen. Eine umfassende Antwort vermag ich nicht zu geben, nicht nur weil sie zu lang ausfiele. Wie den meisten Hochschulangehörigen bleibt mir chronisch undurchsichtig, wie der Betrieb um uns herum genau funktioniert. Allein schon die Frage »Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung und wo kommen sie her?« läßt uns bangen und spekulieren, wie alte Völker über die Absichten ihrer launischen Götter.
Noch schwerer wiegen die Unklarheit und Mehrdeutigkeit der Begriffe »Wissenschaft« und »Forschung«. Neulich in Greifswald widmete der Wissenschaftsphilosoph Christian Suhm einen Vortrag der Frage »What Is This Thing Called Science?«. Er stellte widerstreitende Antworten aus der Wissenschaftsphilosophie dar und sprach sich seinerseits für ein Wissenschaftsverständnis aus, das auf der Idee der »methodenreflexiven Praxis« beruht. In der anschließenden Diskussion hakte ich nach: Unterschieden sich die Positionen in der Wissenschaftsphilosophie nicht schon nach ihren Gegenständen? Manchen gehe es zum Beispiel um die Güte von Theorien, anderen um die Haltung und Praxis der Forschenden, wieder anderen um das gesellschaftliche System der Wissenschaftsinstitutionen. Und welche Folgen habe es, diese Bedeutungsunterschiede zu verwischen?
An jenem Abend fanden wir zu keiner Antwort. Mir scheint es aber, daß gerade die Unterscheidung zwischen der Wissenschaft als Erkenntnisprojekt und den Institutionen, die sich mit ihrem Namen schmücken, von großer Bedeutung ist. Wenn wir beides gleichsetzen, nehmen wir uns die Möglichkeit, die Institutionen tiefgreifend in Frage zu stellen. Doch – um ein Beispiel zu nennen – eine Hochschule ohne Professoren ist denkbar.
Handlungsspielräume
Nur eine der Fragen, die Beobachter in seinem Kommentar stellt, möchte ich herausgreifen: Wer entscheidet über die Beschäftigungskonditionen und den institutionellen Status von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Hochschulen? Diese Frage kann mindestens auf zwei unterschiedliche Weisen verstanden und beantwortet werden, und zwar gemäß der Unterscheidung zwischen unmittelbaren und grundlegenden (oder: proximaten und ultimaten) Ursachen. Wenn ich eine Stelle bekomme und mich frage, warum sie auf ein Jahr befristet ist, denke ich gewöhnlich im unmittelbaren Horizont. Ich frage zum Beispiel im einzelnen: Wenn das Projekt über drei Jahre läuft, warum dann nicht auch meine Stelle? Diese Frage kann ich an den Projektleiter richten, denn es liegt in der Regel in seiner unmittelbaren Macht, den Vertrag auch mit drei Jahren Laufzeit zu vergeben – allerdings nicht, mir eine unbefristete Stelle zu verschaffen. So ähnlich verhält es sich mit einer ganzen Reihe von Ermessensspielräumen, die meistens bei Professorinnen und Professoren liegen.
Diese Gestaltungsmöglichkeiten der unmittelbaren Entscheider sind nicht zu unterschätzen. So entwerfen Silke van Dyk und Tilman Reitz in einem Beitrag zum Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ein Programm, nach dem sich Institute demokratisieren können, »ohne dass ein einziges Gesetz geändert werden muss« (unter der Zwischenüberschrift »Wie soll es weitergehen? Was sofort bzw. innerhalb der nächsten fünf Jahre passieren kann«).
Im Horizont der grundlegenden Ursachen stelle ich andere Detailfragen: Warum sehen die Haushaltspläne der Hochschulen nur eine bestimmte Anzahl und Verteilung fester Stellen vor? Warum dürfen manche Wissenschaftler sich aufgrund einer gut dotierten Beamtenstelle ein geregeltes Leben aufbauen, während andere, die gleichwertige Arbeit machen, sich im Prekariat verschleißen? Warum bin ich einzelnen Vorgesetzten ausgeliefert wie der Knecht seinem Herrn? Eine Antwort: weil es die Gesetze so vorsehen. Und Gesetze gelten in einer Demokratie wie Deutschland als etwas, das sich die Gesellschaft selbst gibt.
Tugend und Opfer
Gestern besuchte ich zum zweiten Mal einen Vortrag des evangelischen Evangelisierers Matthias Clausen. Im Audimax der Universität Freiburg überbrachte er die Botschaft: Wem es gelinge zu glauben, daß er von Gott bedingungslos geliebt werde, für den werde der eigene Selbstwert nie in Frage stehen, unabhängig von Leistung und Erfolg. Nach einer Weile ging mir auf, daß sich daraus ein schönes politisches Argument ergibt, wenn wir für die bedingungslose Liebe Gottes das bedingungslose Grundeinkommen einsetzen. Als kurzfristigen Kompromiß wäre ich persönlich jedoch mit einer festen Stelle zufrieden. Dafür gilt es, ein tugendhaftes Leben zu führen, wie es die DFG-Gutachter vorschreiben, und regelmäßig Opfer darzubringen: Publikationen, Publikationen, Publikationen. Und ich fürchte, ich habe den Ritus vernachlässigt. Aber wer weiß, vielleicht ist Akademia mir doch noch gnädig? Ihre Wege sind unergründlich.
[1] Zwischen Lehrauftrag und Berufung klafft ein weiter Unterschied. Von »Berufung« ist ausschließlich dann die Rede, wenn jemand eine Stelle als Professorin oder Professor bekommt – alle anderen wissenschaftlichen Beschäftigten der Universitäten werden genauso schnöde »eingestellt« wie andere Leute im öffentlichen Dienst. Wer einen Lehrauftrag bekommt – zum Beispiel über ein Seminar im Umfang von zwei Semesterwochenstunden im Wintersemester 2017/18 – unterrichtet hingegen als freiberuflicher Dienstleister. Bestenfalls erhält er oder sie ein Honorar. In einen Stundensatz umgerechnet, liegt es aber oft weit unter dem Mindestlohn (Peter Grottian in der SZ). Unbezahlte Lehraufträge waren und sind ebenfalls noch üblich, ebenso wie unbezahlte Lehre ohne formalen Lehrauftrag, etwa wenn eine Projektmitarbeiterin oder Stipendiatin ohne rechtliche Lehrverpflichtung Seminare anbietet, um auf ihrem Lebenslauf die Rubrik »Lehrerfahrung« zu füllen.↩
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