Im letzten Monat wurden zwei Manuskripte zur Publikation bei Science und Nature eingereicht, die beschrieben, wie man das hoch gefährliche H5N1-Vogelgrippe in Kleinsäugern so modifizieren kann, dass eine Tröpfchenübertragung ermöglicht wird. Danach brach eine Debatte aus, ob solche Daten publiziert werden dürften, die auch hier bei Weitergen geführt wurde.
Influenzavirionen (Bild: Wikipedia)
Die detaillierten Informationen dieser Manuskripte könnten im Falle einer natürlichen Anpassung des Vogelgrippevirus an die Tröpfcheninfektion von essentieller Bedeutung sein um schnell genug Gegenmaßnahmen wie Impfstoffe oder antivirale Medikamente zu entwickeln. Das US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB), also ein US-amerikanisches Beratergremium, das für die Einstufung von biologischer Sicherheit zuständig ist, schlug den Journalen Nature und Science letztlich vor, detaillierte Abschnitte aus dem Material & Methoden-Teil der Publikationen zu entfernen, da diese als Bauanleitung für Biowaffen eingesetzt werden könnten. So etwas gab es noch nie in der Geschichte naturwissenschaftlicher Publikationen. Man wolle den Zugang zu den Daten zwar für ausgewählte Wissenschaftler dieses Fachgebietes freigeben, doch wie diese auszuwählen seien, wurde noch nicht benannt. Das alles schlug natürlich mächtige Wellen und nun gab das Journal Nature in der Kategorie Comment einer Reihe von Spezialisten die Chance sich zur Sachlage zu äußern (hier der Orginalartikel: Preventing Pandemics: The fight over Flu).
1. Ron Fouchier & AB Osterhaus: Globalisiere die Diskussion
Die Kommentatoren, eines der beiden Manuskripte stammt aus ihrem Labor an der Erasmus Universität in Rotterdam, Holland, stellen nicht grundsätzlich die Einschränkungen durch die amerikanische Biosicherheitsbehörde in Frage stellen aber fest, dass eine solche Diskussion im globalen Rahmen stattzufinden hat. Da die meisten Gesundheitsrisiken mit dem Vogelgrippevirus in Asien auftreten, sollten Vertreter dieser Länder an der Entscheidungsfindung beteiligt sein. Eine Risikoeinschätzung solcher Tragweite sollte von einem internationalen Gremium getroffen werden!
2. John Steinbruner: Ein System für redigierte Publikationen
J. Steinbruner ist Direktor des Center for International and Security Studies in Maryland und seiner Meinung nach sollte die Kontrolle solcher Interventionen einer bereits bestehenden internationalen Gesundheitsorganisation wie der WHO überlassen werden. Für den Autor ist es ein Unding, dass eine nationale Behörde, die maßgeblich der inländischen Terrorismusabwehr verschrieben ist als Organ für die Einschätzung eines internationalen Risikos dienen soll, sei es gesundheitlicher oder terroristischer Natur.
3. Kwok-Yung Yuen: Die Hong Kong Perspektive
Als Lehrstuhlinhaber für Infektionskrankheiten an der Universität in Hong Kong benennt der Autor die Wichtigkeit dieser Informationen um eine künftige verheerende Pandemie mit ähnlichen Viren zu verhindern, oder sich zumindest angemessen darauf vorzubereiten. Doch er akzeptiert auch die Einschränkungen der NSABB, mit Verweis auf die Pesterreger (Yersinia pestis), die im Sino-Japanischen Krieg bewusst durch infizierte Flöhe freigesetzt wurden und zu Pestausbrüchen führten. Letztendlich ist er der Meinung, dass eine Zensur dem Mißbrauch von Schurkenstaaten keinen Einhalt gebieten kann, durchaus aber der Forschung, die das wichtigste Gegenmittel darstellen könnte. Er schlägt eine kontrollierte Veröffentlichung an ausgewählte Personen vor, zum Beispiel den Direktoren der Labore des WHO-Grippeüberwachungsnetzwerkes.
4. D. A. Henderson: Die ultimative biologische Bedrohung
Als Direktor des Center for Biosecurity an der Universität Pittsburgh ist D. A. Henderson der Meinung, dass die Blaupause für die Entwicklung eines dermassen gefährlichen Virus nicht veröffentlicht werden sollte. Mit der Kapazität fast die Hälfte der Infizierten zu töten (H5N1) und der neu generierten Übertragungsrate eines pandemischen Grippevirusstammes, stellt dies seiner Meinung nach eine zu große Bedrohung in den Händen von Terroristen dar.
5. Lynn Klotz & Ed Sylvester: Angst vor Laborinfektionen
Die Autoren, vom Center for Arms Control and Non-Proliferation (Waffenkontrollbehörde) in Washington DC und der Walter Cronkite School für Journalismus an der Arizona State Universität, machen sich mehr Sorgen um eine zufällige Freisetzung eines gefährlichen Pathogens aus einem der Forschungslabore, die weltweit mit potentiell gefährlichen Krankheitserregern arbeiten. Sie haben eine Studie angestellt, die die Wahrscheinlichkeit eines ungewollten Entweichens aus Laboratorien berechnet und kamen auf einen Risikofaktor von 80% in vier Jahren, bei der Einbeziehung von 42 Laboratorien, die weltweit an potentiell tödlichen, pandemischen Erregern wie SARS oder dem wiederbelebten Grippevirusstamm der Pandemie von 1918 arbeiten. Im Vergleich zu den ca. 30 jährigen Abständen der natürlich auftetenden Grippepandemien sei dies ein vielfaches Risiko. Deshalb schlagen sie strengere Sicherheitmaßnahmen wie Quarantänevorschriften für Mitarbeiter solcher Labore vor, die Umgang mit den Erregern haben.
6. Jeffery K. Taubenberger: Erforscht wie das Virus den Wirt wechselt
Der Lehrstuhlinhaber für Virale Pathogenese und Evolution am US-amerikanischen Nationalen Institut für Allergie und Infektionskrankheiten forscht selbst am Grippevirus. Seine Gruppe hat das Genom des Pandemievirus der Spanischen Grippe von 1918 entschlüsselt und damit neue Forschungsergebnisse zum Wirtswechsel erbracht. Dabei zeigte sich, daß die Anpassungen, die eine Wirtswechsel von Tier zu Mensch ermöglichen multifaktoriell sind und sich beispielsweise zwischen den beiden pandemischen H1N1 Viren von 1918 und 2009 unterschieden. Seiner Meinung nach braucht es die freie Forschung und das damit verbundene freie Einbringen von Ideen vieler talentierter Wissenschaftler. Aber auch eine Kontrolle, um einen Missbrauch bestmöglichst zu kontrollieren hält der Autor für notwendig.
7. Richard H. Ebright: Begrenzung der Risiken einer Freisetzung
R.H. Ebright von der Abteilung für Chemie und chemische Bilogie der Rutgers Universität, ist für eine starke Kontrolle der forschenden Laboratorien, um eine ungewollte Freistzung eines potentiell verheerenden Erregers zu unterbinden. Er sieht ein hohes Risiko in der ungewollten Infektion eines Mitarbeiters und der unkontrollierten Verbreitung oder sogar der gewollten Freisetzung durch einen verwirrten oder verärgerten Mitarbeiter, wie im Falle des Anthraxerregers in den USA. Er schlägt harsche Kontrollmaßnahmen und die Hochstufung der besagten Erreger in die höchste Sicherheitsstufe S4 vor, um die Kontrolle so strikt wie möglich zu implementieren. Seiner Meinung nach sollte es ein Organ geben, dass solche Forschungsvorhaben vor Beginn der selben kontrolliert und im Zweifelsfall direkt unterbindet.
8. David L. Heymann: Wir werden immer Vakzine brauchen
D.L. Heyman, Direktor des Zentrum für Globale Gesundheit am Chatham House, London, weist darauf hin, dass die molekularbiologischen Technikneuerungen der letzten Jahre es ermöglicht haben, potentiell ausgerottete Erreger wie zum Beispiel das Poliovirus, de novo zu synthetisieren, ohne die Notwendigkeit eines eingelagerten Vorrats. Eine Studie ergab, dass eine Neusynthese des ausgerotteten Pockenvirus unter Verwendung öffentlich zugänglicher Sequenzdaten ca. 200 000 Dollar kosten würde. Auch die benötigten Methoden sind mehr oder weniger frei zugänglich. Darum argumentiert der Autor, dass wir auch in Zukunft Forschung benötigen werden um Gegenmaßnahmen wir Impfstoffe gegen potentielle neue Erreger zur Verfügung zu haben.
Ich finde es überaus interessant zu sehen wie unterschiedlich die Meinungen all dieser Spezialisten ausfallen. Von vollständiger Forschungsfreiheit bis zu totaler Kontrolle mit maximaler Sicherheit. Ich schliesse mich eher den gemässigten Meinungen an, da ich mir sicher bin, dass eine Redigierung das Durchsickern solcher Informationen nicht dauerhaft verhindern kann. Außerdem glaube ich nicht, dass es mit der nötigen Infrastruktur und dem Fachwissen so kompliziert ist, alleine durch trial-and-error ähnliche Ergebnisse zu erzielen. Und auch der Zugang zu beispielsweise H5N1-Vogelgrippeviren ist wahrscheinlich nicht zu kompliziert, wenn man sich eine Zeit in Asien frei bewegen würde und die nötigen Mittel zur Verfügung hätte. Deshalb würde ich mich für eine freie Forschung entscheiden, um potentiellen Gefahren vorzubeugen und nicht der Tabuisierung derselben unter dem Vorwand der Sicherheitsschaffung. Die Überwachung der ntürlich auftetenden Erreger sollte dabei, wie es die WHO Überwachungsnetzwerke bereits tun, von einem internationalen Gremium übernommen werden, dessen Vertreter im Falle eines potentiellen Ausbruchs, gemeinsam mit nationalen Organisationen schnell Sicherheitsmaßnahmen ergreifen können.
Wie seht ihr das?
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