Ich wurde hier in einem Kommentar gefragt, warum es noch immer kein wirksames Vakzin gegen das Hepatitis C Virus gibt und beim Versuch zu antworten, baute sich ein Wust an Daten auf, der den Komentarrahmen gesprengt hätte. Und da dies ein sehr spannendes Thema ist, soll ihm hier ein ganzer Post gewidmet werden.
Der wichtigste Grund ist wohl, dass das HCV ein mistiges kleines Drecksding ist, das sich den meisten sehr gut funktionierenden Praktiken entziehen kann.
Das HCV ist ein behülltes RNA-Virus aus der Familie der Flaviviridae. Dies sind Viren, die im Viruspartikel ein RNA-Genom transportieren und dasselbe über eine RNA-Polymerase vervielfältigen. Das ist schon an sich eine Ausnahme, da es zu keinem Zeitpunkt des Replikationzyklus ein DNA-Intermediat besitzt. Das RNA-Molekül besitzt eine positive Orientierung und eine Länge von 9,6 Kilobasen. Es ist also klein, es gibt aber auch noch kleinere, wie zum Beispiel das DNA-Genom des HBV mit nur 3,2 Kilobasen. Für die Infektion der Wirtszelle, wahrscheinlich fast immer eine Leberzelle/Hepatozyte, bindet das Virus an Oberflächenproteine der Wirtszelle. Zu diesen gehören CD81, Claudin1 und weitere. Danach wird das Virus über ein sogenanntes „Clathrin-coated-pit” in ein Endosom aufgenommen. In diesem Kompartiment ändert sich anschließend der pH, wodurch es zu einer Verschmelzung der viralen Lipiddoppelmembranhülle mit der Membran des Endosoms kommt. Dadurch wird das interne Proteingebilde, das Kapsid, das die virale RNA beinhaltet, ins Zytoplasma der Zelle freigegeben. Nach der Öffnung des Kapsids kann die virale RNA direkt in das virale Polyprotein umgeschrieben werden. Dies geschieht, da alle viralen Proteinsequenzen sequentiell hintereinander auf dem RNA-Genom kodiert sind und als ein Ganzes translatiert werden. Erst danach kommt es durch Proteasen, virale und zelluläre, zum Zerschneiden des Polyproteins, wobei die einzelnen reifen HCV-Protein entstehen. Außerdem wird das RNA-Genom vervielfältigt, um es in neuen Nachkommenviren verpacken. Der Zusammenbau der Nachkommenviren ist ein extrem komplexer Vorgang, der assoziierte Lipipartikel und diverse zelluläre Proteine beinhaltet. Und die fertigen Nachkommenviren verlassen die Wirtszelle dann durch „Budding” ins endoplasmatische Retikulum, von wo sie durch Sekretionsprozesse aus der Zelle ausgeschleust werden. Es handelt sich also um eine nicht-lytische Replikation, bei der es nicht zur Zerstörung der Wirtszelle kommt.
Das HCV ist ein weltweites Problem mit wahrscheinlich bis zu 200 Millionen Infizierten. Eine HCV-Infektion ist inzwischen die Hauptursache für Lebertransplantationen und führt bei chronisch Infizierten in vielen Fällen über eine Leberentzündung und Zirrhose zur Entwicklung eines Hepatozellulären Karzinoms, eine Tumorart, die sehr schlechte Behandlungsaussichten besitzt.
Nun zu der Frage warum es immer noch kein wirksames Vakzin gegen das HCV gibt. Ich zähle mal auf was man weiß:
1. Die Leber ist per se ein Organ, dass Aufgrund seiner Aufgabe, Nahrung aufzubereiten, ständig mit potentiellen Antigenen (körperfremden Proteinbausteinen) aus dem Darm konfrontiert ist und es tunlichst vermeiden muss, gegen diese ungefährlichen Proteine eine Immunantwort zu generieren. Das ganze wird als “tolerogenes” Microenvironment beschrieben. Soll heißen, dass die meisten Nahrungs-Antigene (auch Verdauungsprodukte der bakteriellen Darmflora), die in der Leber ankommen, nicht schädlich sind und deshalb zur organspezifischen Ausbildung einer Toleranz führen. Dies haben sich die Hepatitis Viren zunutze gemacht, weshalb sie auch so gut getarnt und problematisch sind.
2. Das HCV ist ein RNA Virus, es repliziert sein genetisches Material über eine ziemlich fehlerhafte RNA-Polymerase, die statistisch gesehen in jedem Replikationszyklus einen Fehler, also eine Mutation ins Genom einbaut. Das wäre eigentlich ein Problem, und führt auch in manchen Fällen zu einem defekten Virus, der sich nicht mehr weiter vermehren kann, es führt aber eben auch dazu, dass sich die entsprechenden Sequenzen so schnell verändern, dass das Immunsystem nicht nachkommt eine spezifische Antwort zu generieren. Dies unterscheidet das HCV z.B. vom HBV. Vom infizierenden Virusstamm spalten sich innerhalb kürzester Zeit Unmengen genetisch unterschiedlicher „Quasispezies” ab, die jeweils eine eigene spezifische Immunantwort benötigen würden.
3. Außerdem hat sich das HCV im Lauf seiner Entwicklung ein ganzes Arsenal von Immunevasionsstrategien einfallen lassen, d.h. es unterdrückt aktiv die Etablierung sowohl der innaten/angeborenen, als auch der adaptiven Immunantwort, was zu der sehr hohen Rate von chronischen Infektionsverläufen führt. Das sind die ganz fiesen und hinterlistigen Sachen. Hier mal ein paar Beispiele:
Angeborenen Immunität: Bei der angeborenen Immunität handelt es sich um die Schnelle Eingreiftruppe unseres Körpers. Sie beruht auf sogenannten Mustererkennungsrezeptoren, die bestimmte Strukturen von pathogenen Krankheitserregern erkenne. Sie ist nicht spezifisch, muss ihr Antigen also nicht erst lernen, kann daher aber sofort wirksam werden. Beim HCV sind dies zelluläre Rezeptoren, die das bei der RNA-Replikation entstehende doppelsträngige RNA-Molekül als fremd erkenne, da in der menschlichen Zelle keine doppelsträngigen RNA-Moleküle vorkommen. Dafür zuständig sind die Rezeptoren RIG-I, PKR und TLR-3. Deren Aktivierung führt zur Generierung eines Signales, das ein antivirales Programm in der Zelle startet.
Doch die verschiedenen Proteine des HCV greifen diesen Signalweg an mindestens vier Stellen an und verhindern so die Signalweiterleitung, was die angeborene Immunantwort stört, wenn nicht sogar komplett verhindert. Da es bei der Aktivierung der angeborenen Immunantwort auch zur Ausschüttung von Signalstoffen/Zytokinen kommt, welche andere benachbarte Zellen „vorwarnen”, worauf diese bereits vor der Infektion mit einem antiviralen Programm beginnen können, ist dieser Eingriff durch das HCV noch profitabler.
Adaptive Immunität: Bei der adaptiven Immunantwort handelt es sich um ein sehr viel leistungsfähigeres System, dass sich potentiell auf Milliarden bis Billionen verschiedene Erregerantigene einstellen kann. Doch zu Beginn der Infektion sind die spezifischen Antigenrezeptoren nur auf einer sehr geringen Zahl von Immunzellen vorhanden, die erst aktiviert werden müssen und sich dann zu vervielfältigen beginnen, um eine effektive Immunantwort zu generieren. Dies dauert seine Zeit, ca. eine Woche, ist dagegen um ein vielfaches effektiver als die angeborene Immunantwort. Im Gegensatz zu den B-Zellen, die nach der Bindung ihres spezifischen Antigens mit der Produktion von löslichen Antikörpern beginnen, benötigen die T-Zellen, die Soldaten des Immunsystems ein spezifisch präsentiertes Antigen. Kommt es also zum Absterben einer virusinfizierten Zelle kann eine Fresszelle die Überreste oder auch frei Viruspartikel aufnehmen und verarbeiten. Sie begibt sich danach in einen Lymphknoten und verarbeitet die aufgenommen Proteine, zum Beispiel virale HCV-Proteine, von einem zellulären Mechanismus zerschnitten und auf die sogenannten MHC-Proteine geladen. Diese transportieren dann die Antigen, kurze Proteinschnipsel die sie an genau definierten Stellen auf ihrer Spitze binden, an die Zelloberfläche. Dort kann die T-Zelle spezifisch und ausschließlich den Komplex aus Antigen und MHC-Molekül erkennen, und beginnt mit der Aktivierung einer Immunantwort. Die T-Zelle und ihre durch die Aktivierung entstandenen Klone begeben sich daraufhin auf die Suche ihres spezifischen Antigens und beginnen am Ort der Infektion mit der Immunantwort. Dieser sonst gültige Prozess scheint einzigartigerweise in der LEber etwas anders abzulaufen, wo die Aktivierung direkt an Leberzellen stattfindet und erneut eine tolerogene Richtung der Antwort befürwortet. Letztendlich werden infizierte Zellen dann durch die T-Zellen entweder direkt getötet, oder durch Ausschüttung antiviraler Proteine dazu gebracht, das Virus selbst zu bekämpfen.
Auch hier hat sich das HCV ein paar fiese Tricks ausgedacht. Als erstes ist auch direkt die hohe Mutationsrate problematisch, denn bis sich eine spezifische T-Zellantwort gebildet hat, kann das entsprechende Protein bereits mutiert sein und die infizierte Zelle präsentiert dann entsprechend die mutierte Variante, was die Antwort entweder schwächt oder komplett inaktiviert. Außerdem scheinen T-Zellen in der Leber bei einer zu lang anhaltenden Konfrontation mit Antigenen, wozu es durch solche Mutationen kommen kann, in einen „erschöpften” Zustand zu wechseln. Dies ist wahrscheinlich ein Mittel, um einen überbordende Immunantwort zu unterbinden, um Schäden am Gewebe zu minimieren. Doch es verhindert eben auch, das Virus erfolgreich zu bekämpfen.
Außerdem kommt es zur Unterdrückung der T-Zellen durch sogenannte regulatorische T-Zellen. Diese sind die Gegenspieler der angriffslustigen Variante, und sie unterdrücken ebenfalls aus dem Ruder laufende Immunantworten um Schäden am Gewebe zu verhindern.
Es ist also ein multifaktorieller Prozess, der das HCV so unantastbar und elusiv macht. Doch im Herbst 2011 sind zwei hochwirksame neue Medikamente auf den Markt gekommen. Sie greifen ganz spezifisch die Funktion von HCV-Enzymen an und haben die Heilungsrate bei chronisch Infizierten Patienten von ca. 50% auf bis zu 96% (je nach Patientengruppe) gesteigert. Und es sind weitere vielversprechende Kandidaten in der klinischen Erprobung. Außerdem wird an verschiedenen zellulären Therapien und therapeutischen Vakzinen, also Impfungen die nach der Infektion zum Einsatz kommen, gearbeitet.
Ein grossteil der unvollständigen Daten stammt aus:
Failure of innate and adaptive immune responses in controlling hepatitis C virus infection. Robert Thimme, Marco Binder & Ralf Bartenschlager. (2012) FEMS Microbiology Reviews; DOI: 10.1111/j.1574-6976.2011.00319.x
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