Forschern ist es gelungen, an einem speziellen keimfreien Mausmodell zu zeigen, dass eine frühe Konfrontation mit Darmmikroorganismen, die Anhäufung bestimmter Immunzellen im Darm und in der Lunge verhindern kann, welche konkret mit der Entstehung autoimmunvermittelter Erkrankungen in Verbindung gebracht werden können.
Escherichi coli Bakterien (Bild: Wikipedia)
Der Mensch lebt heute in einer relativ sauberen Umgebung. Natürlich sind wir immer noch einer Menge von Mikroorganismen ausgesetzt, doch durch zu viel Putzmittel und Antibiotika, hat sich deren Zusammensetzung stark in Richtung von problematischen Bakterien und anderen Bugs entwickelt. Und es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie unterschiedlich das bei unseren Vorfahren aussah. Sie lebten im Dreck, und waren ständig im Kontakt mit Materialein und Nahrungsmitteln, die wir heute als unsauber und verdorben ansehen würden. Das war natürlich nicht nur vorteilhaft, so geht man zum Beispiel heute davon aus, dass die von Schimmelpilz gebildeten krebserregenden Aflatoxine, eine hohe Sterblichkeit in unseren frühen Getreideproduzierenden Vorfahren auslöste, doch evolutiv hat sich unser Immunsystem genau auf solche hohen Belastungen mit Mikroorganismen eingestellt, und das hat sich in dem kurzen Zeitraum, den wir nun zivilisiert und sauber verleben, nicht geändert.
Die „Hygiene-Hypothese” geht davon aus, dass genau diese Sauberkeit für viele der heute in Industrieländern beobachteten Autoimmunerkrankungen wie Allergien, Asthma und entzündliche Darmerkrankungen, verantwortlich ist. Diese Hypothese beruht auf den Beobachtungen, dass die Prävalenzen dieser Krankheiten in den Entwicklungsländern viel geringer bis gar nicht vorhanden sind. Doch beweisen ließ sich das bis jetzt nur lückenhaft. Gezeigt wurde, dass da Immunsystem von Neugeborenen stark auf diese ersten Reize durch Mikroorganismen und Viren reagiert und dies zu einer Balance zwischen den verschiedenen Armen des Immunsystems führt. Wird dieses Gleichgewicht nun gestört durch eine nahezu keimfreie Umgebung, scheint das Immunsystem später dazu zu neigen aus dem Ruder zu laufen und ungewünschte Reaktivitäten zu produzieren.
Die Wissenschaftler um Richard S. Blumberg von der Harvard Medical School in Boston verwendeten ein spezielles keimfreies Maushaltungsmodell. Normalerweise wird direkt nach der Geburt eines Jungtieres durch Kontakt mit der Mutter und durch das Säugen, die Darmflora angeimpft. Das Jungtier kommt also vollkommen steril auf die Welt und muss die für die Verdauung nötigen Bakterien und anderen Mikroorganismen erst von der Mutter und der Umgebung übertragen bekommen. Dies kann man jedoch durch einen operativen Eingriff der tragenden Mutter verhindern, bei dem die Gebärmutter mit den fertigen Jungtieren vor der Geburt entnommen wird, sterilisiert und die somit sterilen Jungtiere dann in einem keimfreien Isolationsinkubator von Hand groß gezogen werden. Dadurch entstehen Mäuse, die keinerlei Mikroorganismen beherbergen, weder im Darm noch auf der Körperoberfläche. Diese Tiere müssen mit einer speziellen Nahrung ernährt werden, da es ohne Bakterien sehr kompliziert wird normale Mausnahrung zu verdauen. Aber sie stellen ein wertvolles Modellsystem für den Einfluss der Myriaden von kommensalen Bakterien und anderen Mikroorganismen dar, die wir täglich mit uns herumtragen, und die uns bei unzähligen Aufgaben zur Hand gehen.
In den Experimenten wurden die Jungtiere entweder keimfrei gehalten, oder am ersten Tag nach ihrer keimfreien Geburt in die normale „pathogenfreie” Tierhaltung überführt, was zu einer Besiedlung mit den üblichen Mikroorganismen führte. Die dritte Gruppe wurde erst im Erwachsenenalter in die normale Tierhaltung überführt, um den zeitlichen Einfluss dieser Besiedlung zu untersuchen.
Und was die Wissenschaftler dabei fanden stell meines Erachtens den ersten funktionellen und nicht nur deskriptiven Beweis für die Hygiene-Hypothese dar.
Sie stellten fest, dass es in den Tieren, die erst im Erwachsenenalter mit Mikroorganismen konfrontiert wurde, zu einer Anreicherung sogenannter invarianter natürlicher Killer T-Zellen (iNKT) in den Schleimhäuten der Lunge und des Darmes kam. Diese Zellen sind an wichtigen Funktionen des Immunsystems und der Abwehr von Mikroorganismen beteiligt, diverse Studien haben aber auch gezeigt, dass es sich bei den iNKT-Zellen um einen auslösenden Faktor von Autoimmunerkrankungen handelt. Diese Zellen werden über einen Botenstoff, das Chemokin CXCL16, zum Ort des Geschehens geleitet. Dieser Botenstoff wird scheinbar maßgeblich durch das Vorhandensein von kommensalen Mikroorganismen reguliert wird.
Um den Einfluss der iNKT-Zellen weiter zu entschlüsseln verwendeten die Forscher induzierte Modelle von entzündlichen Erkrankungen des Darmes und der Lunge um die Situation bei Asthma oder Morbus Crohn nachzustellen. Dabei stellten sie fest, dass die iNKT-Zellen der keimfrei aufgewachsenen Tiere zu einer Verstärkung der Symptome und einer gesteigerten Sterblichkeit der entsprechenden Tiere führte. Dies wurde dadurch untermauert, dass die Gabe eines spezifischen Antikörpers, der zur Elimination der iNKT-Zellen führte, diese Symptomatik unterbinden konnte.
Zusammengefasst wurde also gezeigt, dass es durch die im Darm befindlichen Mikroorganismen zu einer negativen Regulation des Chemokins CXCL16 kam, was wiederum eine Abreicherung der invarianten NKT-Zellen zur Folge hatte. Da diese maßgeblich an der Entstehung von autoimmunvermittelten Entzündungsreaktionen beteiligt sind und für die Entstehung von Asthma oder Morbus Crohn mitverantwortlich gemacht werden können, kann der kausale Zusammenhang zwischen Darmflora und Autoimmunität geschlossen werden.
Meine Eltern sagten immer: „Dreck macht Speck!” wenn wir als Kinder gerade mal wieder besonders in Dreck suhlten und irgendwie scheint da etwas Wahres dran zu sein. Ich denke die Take-Home-Message hier sollte sein: Kinder sollten möglichst viel Kontakt mit natürlich vorkommenden Mikroorganismen haben, wie sie zum Beispiel im Boden, in natürlichen Nahrungsmitteln oder Freiwasser vorkommen. Und alles mit Desinfektionsmitteln zu säubern oder Kinder bei der ersten Erkältung sofort mit Antibiotika vollzustopfen, ist definitiv kontraproduktiv. Nicht nur in Anbetracht auf die Ausbildung antibiotikaresistenter Krankheitserreger sondern eben auch in Hinsicht auf die Entstehung von autoimmuninduzierten Entzündungserkrankungen. Und ich könnte mir vorstellen, dass Ähnliches auch auf die Entstehung von Allergien zutrifft. Das soll natürlich nicht heißen, dass ich meine Tochter auf der Toilette in der Autobahnraststätte die Klobrille ablecken lassen würde. Aber die übertriebene Angst vor Krankheitserregern ist vollkommen überzogen.
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