Das Influenzavirus ist einer der weitverbreitetsten Krankheitserreger des Menschen und ist durch verschiedene pandemische Infektionsverläufe der letzten Dekaden, einer der gefährlichsten viraler Begleiter unserer Spezies. Aufgrund der hohen Mutationsraten dieses Virus bei der Replikation, lässt sich kein anhaltender Impfschutz erreichen und man muss jedes Jahr erenut gegen die saisonale Influenza geimpft werden. Ausserdem hat das Influenzavirus, das auch als aviäre Form, die Vogelgrippe, vorkommt, verheerende Pandemien verursacht, wobei die gravierendste wahrscheinlich die spanische Grippe von 1918-1920 war, die mehr als 25 Millionen Todeopfer forderte.
Ein wichtiger Grund für die Schwere viraler Erkrankungen ist die Tatsache, dass wir uns in einer ständigen Aufrüstungsschlacht mit humanpathogenen Viren befinden, wobei ein Opponent eine neue Strategie entwickelt und sich der andere anpassen muss, um das Rennen nicht zu verlieren. Man spricht hier in Falle der Täuschung des Immunsystems von Immunevasionsstrategien, also Veränderungen, die das Virus für unser Immunsystem teilweise oder gänzlich unsichtbar machen. Dies gibt dem Erreger natürlich einen enormen Vorteil im Kampf ums Überleben und die Fortpflanzung.
Wenn in diesem Wettrüsten eine Eigenschaft entsteht, die besonders effektiv ist, kann es zu solch verheerenden Verläufen mit hohen Zahlen an Todesopfern kommen.
Es sind bereits vielfältige Immunevasionsstrategien von verschiedenen Viren bekannt und diese reichen von einfachen, “logisch” erscheinenden Anpassungen, wie der Infektion von Wirtszellen des Immunsystems selbst, wie im Fall des HI-Virus, bis zu sehr ausgetüftelten Strategien, bei denen es zur spezifischen Unterdrückung der Antigenpräsentation in der Immunantwort kommt, das Immunsystem also sprichwörtlich geblended wird.
Einige dieser Anpassungen sind so elegant, dass man verführt wird zu denken, es könnte einen steuernden Mechanismus, anders als die allgegenwärtige evolutionäre Selektion geben, doch an diesem Punkt denke ich immer wieder an einen Korrekturkommentar meines Institutsleiters in der Doktorarbeit. Er schrieb neben eine entsprechende Textstelle: “In der Natur gibt es keine Teleologie!” Ich musste das damals auch erstmal nachlesen und es bedeutet, dass es in der Natur keine zweckorientierten Entwicklungsprozesse gibt. Alles ist zufällig und wird anhand der dadurch gewonnen Fitness selektiert.
Histon mit DNA-Moleül (Bild: Wikipedia)
Bei der neu entdeckten Immunevasionsstrategie des Influenzavirus handelt es sich erneut um eine sehr elegante Anpassung. Das NS1 Protein des saisonalen H2N3 Influenzavirussubtyps, besitzt am Ende eine Proteinsequenz, die eine hohe Ähnlichkeit mit dem sogenannten Histon-tail besitzt. Die Histonproteine sind im Zellkern einer menschlichen Zelle massgeblich für effektive Verpackung der insgesamt ca. zwei Meter langen DNA-Moleküle verantwortlich und übernehmen essentielle Aufgaben bei der Steuerung der Genaktivität. Dieser Prozess wird als Epigenetik bezeichnet, da er die Aktivität von Genen reguliert, ohne deren Sequenz zu beeinträchtigen, also “über” dem genetischen Code angelegt ist.
In Zellkulturuntersuchungen mit H2N3 Influenzaviren konnten die Forscher um Alexander Tarakhovsky von der Rockefeller Universität in New York zeigen, dass dieses Mimikri, also die funktionelle Nachahmung der Histon-tail Sequenz durch das virale NS1 Protein zur Bindung an PAF1 führt. Paf 1 ist ein Baustein des zelleigenen Transkriptionskomplexes (hPAF1C), der das Ablesen von Genen steuert. Durch die Bindung des Viralen Proteins, kann dieser Komplex seine Aufgabe nicht mehr erfüllen und es kommt zum Abbruch der Transkription. In diesem Fall betrifft dies wichtige Gene der antiviralen Immunantwort, was zur Beeinträchtigung der selben führt.
Um diesen Effekt genauer zu Untersuchen entwickelten die Wissenschaftler einen Test, bei dem spezifisch die Bildung des PAF1 Proteins verhindert wurde, um den Einfluss auf die Etablierung von antiviralen Genprodukten in der Immunantwort zu untersuchen. Dafür brachten sie eine sogenenannte kleine interferierende RNA (siRNA) gegen PAF1 in die Zellen ein und beobachteten was bei einer Influenzainfektion mit den antiviralen Genprodukten passierte. Dies zeigte, dass eine ganze Phalanx von antiviralen Genen, darunter verschiedene Interleukine, Chemokine und ihre Rezeptoren, Gene der Interferonantwort und bekannte antivirale Proteine wie die Oligoadenylatsynthetase 1/2 und Regulatoren der T-Zellantwort wie Indoleaminedioxygenase herunerreguliert wurden.
Ob dieses Mimikri eines zellulären Regulationsprozess essentiell für die Pathogenität der Viren ist, ist unwahrscheinlich, da in diversen untersuchten Virusstämmen hohe Diversitäten dieser Sequenz vorkommen und einige der gefährlichsten Virusstämme, wie das pandemische H1N1-Virus von 2009, vollständig ohne das Histon-tail Mimikri auskommen.
Auf jeden Fall stellt eine solche neue Entdeckung einer Proteininteraktion auch immer ein potentielles neues Ziel für die Entwicklung von Medikamenten dar und in diesem Fall sind die Forscher wohl auch schon in diese Phase gestartet und sind nun auf der Suche nach einem solchen Medikament.
Es handelt sich definitiv um einen neuen und interessanten Weg, die Co-Evolution von Mensch und Pathogen zu untersuchen und vielleicht lassen sich ähnliche Vorgänge auch in anderen Viren nachweisen, von denen so etwas noch nicht bekannt ist.
Suppression of the antiviral response by an influenza histone mimic. Ivan Marazzi et al. Nature 483, 428-433 (22 March 2012) doi:10.1038/nature10892
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