Das Chemokin CXCL4, ein Botenstoff, der an der Steuerung von Blutgerinnung und Immunantwort beteiligt ist, kann die Anheftung des HI-Virus an seine Zielzelle blockieren.

Die Spanne des Infektionsverlaufs für eine HIV-Infektion ist breit und reicht von mutationsbedingt sehr niedriger Infizierbarkeit, in Menschen mit mutierten Virusrezeptoren, über leichte und mässig pathologische Verläufe, bis hin zu schweren Varianten mit hoher Sterblichkeit der Infizierten. Dies hat zum Teil mit der Verwendung der verschiedenen Korezeptoren auf der Zielzelle durch verschiedene Virusstämme zu tun.


HIV-Partikel (grün) beim Verlassen der infizierten Zielzelle (Bild: Wikipedia)

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Grundsätzlich binden alle HI-Viren an das CD4-Protein auf der Zielzelloberfläche von T-Helferzellen, Makrophagen und Monozyten, alle wichtige Vertreter der Immunzellen. Das CD4 stellt also den typischen Virusrezeptor dar. Aber durch die Verwendung unterschiedlicher Korezeptoren durch unterschiedliche Virusisolate, kommt es zu erheblichen Unterschieden in der feineren Strukturierung des Infektionsverlaufs und damit natürlich auch der Zielzellen, die sich in der Menge der vorhandenen Korezeptoren unterscheiden können. Zu diesen Korezeptoren gehören Die Chemokinrezeptoren CCR5 und CXCR4, wobei der Rezeptor CCR5 eine bevorzugte Infektion von Makrophagen vermittelt, während CXCR4 auf T-Helferzellen vorkommt und deren Infektion begünstigt. Man spricht hier von Tropismus, also der Wendung hin zu einer Zielzelle mit einer bestimmten Eigenschaft. Dies führt zu HI-Viren, die durch die Verwendung des CXCR4 Korezeptors einen T-Helfer-Tropismus besitzen, oder durch Verwendung des CCR5 Korezeptors einen Makrophagen-Tropismus.
Da diese Rezeptoren spezifisch an ihre Bindungspartner, die Liganden, sogenannte Chemokine binden, könnten diese ja potentiell die Verwendung der Rezeptoren durch das HI-Virus ver- oder zumindest behindern, so der Ansatz. Dass Chemokine gegen HIV wirksam sein können ist schon länger bekannt, und eine Medikament, dass die Bindung an den CCR5 Korezeptor verhindert ist auch bereits zugelassen, jedoch mit der Einschränkung, dass die Gabe nur nach bestätigter Tropismusanalyse erfolgen darf.

In der aktuellen Studie wurde nun an verschiedenen Zelllinien und mit verschiedenen Virusisolaten, die unterschiedliche Tropismen besassen, untersucht, wie stark sich das Chemokin CXCL4 auf die Infektion mit HIV auswirkt. Dabei zeigte sich eine hohe Blockierung der Infektion bei einer relativen Unabhängigkeit vom Tropismus des verwendeten Virusisolates. Zuvor getestete Chemokine interferierten mit der Virusinfektion, indem die die Bindestelle des Korezeptors blockierten, und somit die Bindung durch das HIV behinderten. Bei CXCL4 ist das etwas anders, dieses Chemokin bindet an das grosse Oberflächenprotein gp120 des HI-Virus und verhindert dadurch eine Interaktion der Virusoberflächenproteine mit der Zellmembran der Zielzelle. Dies vermittelte in der Folge eine viel höhere Wirksamkeit bei der Inhibierung der Virusinfektion im Vergleich zu anderen getesteten Chemokinen.
Durch eine genauere Untersuchung der Bindestelle des CXCL4, konnte gezeigt werden, dass diese sich zwar in der direkten Umgebung der CD4-Bindestelle befindet, es aber nicht durch die Blockierung der Hauptrezeptorbindung zur Störung der Infektionsabläufe kommt. Es scheint sich also um einen CD4-unabhängigen Prozess der Inhibierung zu handeln.
Die intrinsische Aufgabe des CXCL4, massgeblich ausgeschüttet von Megakaryozyten und deren Abkömmlingen, den Blutplättchen, liegt in der Einleitung der Blutgerinnung und der Aktivierung und Differenzierung von Monozyten, wichtigen Spielern im Verlauf der adaptiven Immunantwort. Die Konzentrationen des Chemokins, die für die Hinderung der HIV-Infektion benötigt werden befinden sich dabei durchaus im physiologisch vorkommenden Bereich. Trotzdem kann es potentiell gefährlich sein, in die vernetzten Botenstoffvorgänge des Immunsystems einzugreifen, wobei bei einer Überaktivierung sehr leicht eine fatale überbordende Immunatwort mit potentiell tödlichen Folgen ausgelöst werden kann, man spricht hier von einem Zytokinsturm. Dementsprechend wäre für eine antivirale Anwendung sicherlich ein synthetisches Protein ideal, dass zwar die Bindungseigenschaften an das virale Oberflächenprotein des HIV besitzt, ohne dabei jedoch die Botenstoffeigenschaften des Chemokins zu besitzen.

Identification of the platelet-derived chemokine CXCL4/PF-4 as a broad-spectrum HIV-1 inhibitor David J. Auerbacha et al. PNAS (2012) 310.1073/pnas.1207314109

Kommentare (2)

  1. #1 roel
    Mai 30, 2012

    Ich habe den Text jetzt nur schnell gelesen, kenne mich auch nicht wirklich aus, aber vielleicht ist das ebenfalls von Interesse: https://de.wikipedia.org/wiki/HLA-B27

    “In seiner Funktion für das Immunsystem scheint HLA-B27 im Vergleich zu anderen HLA-Proteinen der Klasse 1 besonders effektiv bestimmte virale Antigene zu binden. Es konnte gezeigt werden, dass mit HIV infizierte Träger von HLA-B27 einen deutlich verspäteten Ausbruch von AIDS zeigen. Auch Bestandteile von Influenza-A-Viren werden von HLA-B27 besonders gut gebunden. Die Kehrseite dieser Eigenschaft von HLA-B27 könnte jedoch eben diese Assoziation mit den oben erwähnten Autoimmunerkrankungen darstellen.”

  2. #2 Felix Bohne
    Mai 30, 2012

    @roel: Das ist eine sehr interessante geschichte, eine kurze Recherche zeigte, dass unter stressbedingeten Redoxveränderungen diese MHC Moleküle Konformationsänderungen durchlaufen können, die dann ein potentiell neues Muster für die Erkennung durch Immunzellen erzeugen. Ob dies die Kehrseite der Medaille der verbesserten Virusabwehr ist? Interessant!