Irgendwie haben Selbstverpflichtungen immer etwas Willkürliches. Sei es der Klimawandel, dem man mit „2 Grad weniger” entgegentreten will (warum nicht 1,5 oder 3 Grad?), sei es das ambitionierte „Lissabon”-Ziel der europäischen Regierungen, bis 2010 3 Prozent Ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren (2 Prozent von der Wirtschaft, 1 Prozent vom Staat). Die Höhe solcher Messlatten wird letztlich von der Politik bestimmt und nur indirekt von Experten oder Wissenschaftlern. Wissenschaftskommunikatoren sind einerseits dankbar für derlei plakative Zielsetzungen, laufen andererseits aber auch Gefahr, komplexe Themen auf den „Weg zum Ziel” zu reduzieren und den Sinn solcher Ziele mit der Zeit nicht mehr zu hinterfragen.
Spätestens seit 2009 lässt sich nicht mehr leugnen, dass Europa die „Lissabon”-Messlatte schmählich reißen wird. Wollte die EU-Wirtschaft ihre „2 Prozent” noch erreichen, müsste sie ihr Engagement kurzerhand um 70 Prozent steigern (das wären mehr als 100 Milliarden Euro jährlich), was natürlich utopisch ist. Und auch zum „1 Prozent” des Staates fehlt noch mehr als die Hälfte.
Deutschland muss sich mit seinen gut 2,6 Prozent zwar in der EU nicht verstecken, aber Zufriedenheit ist aus drei Gründen noch lange nicht angesagt:
- Für ein Land ohne Rohstoffe ist ein Platz im Mittelfeld bei der „Gewinnung” des Rohstoffs Wissen nicht ausreichend. Systembedingt (unter anderem mangels steuerlicher Innovations-Förderung) landet Deutschland sogar noch hinter Österreich und der Schweiz. Noch weiter ist der Abstand im globalen Vergleich zu Japan oder Korea. In den USA sinkt übrigens die Quote seit Jahren; mit 2,68 Prozent sind die Ausgaben beinahe wieder auf das Niveau von 1999 gefallen.
- Einerseits haben die deutschen Unternehmen bis jetzt trotz Wirtschaftskrise meist der Versuchung widerstanden, an langfristigen F+E-Ausgaben zu sparen (nach 1,54 Prozent BIP in 1999, 1,78 Prozent in 2007 und 1,84 Prozent in 2008 werden die Ausgaben in 2009 wohl zumindest stagnieren). Andererseits kommen nach wie vor weit mehr als 9 von 10 industriellen Forschungs-Euros aus den Großunternehmen, während der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im zweiten Jahr in Folge zurückging, so die jüngsten Statistiken des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft. Diese Zahlen muss man allerdings relativieren, denn in Europa werden KMU neuerdings als Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern definiert – nicht mehr mit bis zu 500 wie bisher. „Im Gegensatz zu Großunternehmen hat der Mittelstand in der Krise oft gar keine andere Wahl, als an langfristigen Investitionen in der F+E zu sparen”, räumt Dr. Jürgen Hambrecht ein, Vize-Präsident des Stifterverbandes und selbst Vorstandsvorsitzender eines nicht ganz so kleinen Unternehmens (BASF SE). Vielleicht läge ein Ausweg für KMU in stärkerer Vernetzung mit Partnern aus der Wissenschaft, in strategischen Kooperationen mit Innovationspartnern, in der Einbindung externer Forschungsdienstleister, in Open Innovation?
- Nach wie vor wird die deutsche Forschung zu vier Fünfteln dominiert von den großen Traditionsbranchen Automobilbau (35 Prozent aller Wirtschaftsaufwendungen), Elektrotechnik (18,8 Prozent), Chemie (14,5 Prozent) und Maschinenbau (9,7 Prozent). Wie die Statistiken zeigen, hat sich diese Abhängigkeit von wenigen Industrien weder in 2008 noch in 2009 hin zu neuen Zukunftsbranchen entwickelt. Kurzfristig wurden also deutsche Stärken weiter gestärkt. Ob dies aber auch langfristig trägt? Hambrecht sieht darin noch kein ernsthaftes Problem und warnt vielmehr vor zu geringer gesellschaftlicher Technik-Akzeptanz: „Deutschland muss sich zu neuen Technologien eindeutig bekennen”, appelliert der Stifterverband an die Politik und fordert eine Entbürokratisierung von Forschungsförderung und Genehmigungsverfahren.
Die EU als Ganzes, aber auch Deutschland habe also ihre „Lissabon”-Ziele verfehlt, und trotz stabilen F+E-Engagements der deutschen Wirtschaft bleibt es bei der Dominanz der Großunternehmen und Traditionsbranchen. Ein Trost bleibt: „Durch das Drei-Prozent-Ziel hat zumindest die hohe Bedeutung von Innovation in allen EU-Staaten an Bewusstsein gewonnen”, meint Dr. Christoph Gremnzmann, beim Stifterverband seit langem verantwortlich für die Wissenschaftsstatistik. Ein ernüchterndes Fazit, oder nicht?
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