Wo steht die Wissenschaft heute in Sachen Web 2.0?

Was ist (vor allem in den USA) bereits erfolgreiche Praxis und wäre auch auf Deutschland übertragbar?

Und was müssten wir dafür tun?

Dazu meine Präsentation heute auf dem Deutschen Forum für Wissenschaftskommunikation zum Mitklicken, Vertiefen und vor allem Diskutieren (Vollbildmodus über “More” > “Fullscreen”; zum zoomen scrollen):

TO DO 1
Mangels Ressourcen kann sich die Wissenschaft im Gegensatz zur Wirtschaft nicht durch Dienstleister von der Herausforderung freikaufen. Nur die großen Tanker werden aus eigener Kraft die neuen Medien interaktiv nutzen können.
Ergo:
Neue Modelle der Kooperation, Fremdfinanzierung, Ressourcenumschichtung und öfftentlichen Förderung

TO DO 2
Der immense Schulungsbedarf wird nicht allein durch kommerzielle Dienstleister zu befriedigen sein.
Ergo: Qualifizierungen für Praktiker und Berater zum Selbstkostenpreis

TO DO 3
Allein Generationswechsel werden zu keiner breiten Anwendung neuer Medien durch die Wissenschaftler selbst führen, solange die Zahl zitierter Paper das einzige “harte” Qualitätsmerkmal bleibt.
Ergo: Systemische Veränderungen mit dem Ziel formaler, aber auch informeller Anerkennung und Incentivierung

TO DO 4
In vielen Gesprächen entsteht für mich der Eindruck als habe das Wissenschafts-management die Querdenker an die Kette gelegt.
Ergo: Statt Denkverboten sollte sich die Academia für keine Maßnahmen zu schade sein, die junge Zielgruppen endlich wirksam ansprechenden.

Kommentare (11)

  1. #1 Nele
    7. Dezember 2011

    Mhm. Ja. Dass Internet wird von sehr, sehr vielen Profis als Arbeitsinstrument genutzt (kann ich aus eigener Praxis nur bestätigen.) Wissenschaft präsentiert sich noch nicht genug im Internet. (Ok, sehr glaubwürdig.) Deswegen kursiert viel Unfug. (Weiß jeder, der mal Internet war.) Die weitgehende Abwesenheit von Wissenschaft hängt mit der Papierbasis des Wissenschaftsbetriebs zusammen. (Weiß jeder, der wissenschaftlich gearbeitet hat.)

    Braucht man für diese vier recht trivialen Aussagen wirklich so viel Klickibunti?

    Nele

  2. #2 CM
    7. Dezember 2011

    Tolle Präsentation! (Welche Software macht das? ;-) )

    Aber mal abgesehen davon: Mir persönlich ist es egal ob Wissenschaft hypothesen- oder evidenzgetrieben ist. Nur mit schlagwortgetriebener “Wissenschaft” habe ich so meine Probleme. Und da frage ich mich: Die These #3 – wie ist das gemeint? Soll das Peer-Review-Verfahren (noch weiter) ausgeweicht oder ausgehebelt werden? Mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck? Oder ist das nur ein Missverständnis? Hier würde etwas mehr Text und Aufklärung gut tun.

  3. #3 Alexander Gerber
    8. Dezember 2011

    @ Nele:
    Ich kann die Frage gut verstehen und hatte eine ähnliche Diskussion gestern mit den beiden Bloggern Marc Scheloske und Christoph Larssen. Wir waren uns schnell einig, dass wir (die wir täglich mit interaktiven Medien arbeiten) aufpassen müssen, nicht einfach von uns auf andere zu schließen. De facto sind erfolgreiche Anwendungen von Web 2.0 in der Wissenschaft ein absolutes Nischenphänomen. Das zeigen nicht nur die Reaktionen auf den gestrigen Vortrag, die Fragen und die spontanen Kommentare auf unterschiedlichsten Kanälen zeigen, sondern auch alle bekannten Umfragen und Analysen (nicht nur unsere eigenen) für den deutschsprachigen Raum — der Nachholbedarf ist sowohl in der Wissenschafts-PR als auch in der Forschung und nicht zuletzt auch bei den Kommunikationsberatern / Agenturen immens. Insofern scheint allein schon TO DO 2 fast unlösbar. Aber wir arbeiten ja dran. ;-)
    Erste Schulungsangebote zum Selbstkostenpreis sollen der Community bereits im Frühjahr angeboten werden.

  4. #4 Alexander Gerber
    8. Dezember 2011

    @ CM:
    Es geht in der Tat um die Frage, in wie fern die gesellschaftlich-kommunikative Wirkung (Output, Outcome, Outflow) ein “hartes” Qualitätskriterium in der Wissenschaft werden sollte und könnte.
    Berücksichtigen die geltenden Kriterien für Mittelvergabe, Evaluation und Berufung hinreichend die Kommunikation der Forscher mit einer breiten Öffentlichkeit? Ich denke NICHT. Mit Ausnahme der einen oder anderen anerkannten Auszeichnung gibt es nahezu keinerlei Anreizsysteme, die den oben geforderten Wandel zu einer „Kultur der Kommunikation“ als Katalysatoren auf breiter Basis fördern könnten. Aufgrund der oft sehr intrinsischen Motivation von Forschern werden allein pekuniäre oder formale Anreize vermutlich nicht ausreichen.
    Ein Mindestmaß an öffentlicher Vermittlung der eigenen Forschung wird inzwischen zwar immer häufiger direkt mit der Mittelzuwendung gefordert; es besteht allerdings keinerlei Konsens zur Mess- und somit zur Vergleichbarkeit der jeweiligen Kommunikationsleistung. Erwogen werden sollten deshalb Mindestanforderungen oder sogar Normen und standardisierte Ergebnismessungen bis hin zu speziellen Audits. Ansätze hierfür finden sich im Kommunikations-Controlling.
    Öffentliche Förderung und Personalentscheidungen an den individuellen Kommunikationserfolg zu koppeln, ist regulatorisch schwierig, da beispielsweise unterschiedliche Disziplinen auch unter-schiedlich bewertet werden müssten. Die derzeit noch als alleiniges Kriterium herangezogene wissenschaftliche Exzellenz könnte zu einer Grundvoraussetzung gemacht werden, damit die anderen, „weichen“ Kriterien nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kommunikationsfähigkeit würde damit zu einem „Zünglein an der Waage“.

    Siehe u.a. den Diskurs in UK zum “Pathways to Impact”: https://www.rcuk.ac.uk/kei/impacts/Pages/home.aspx

    und die 1. Trendstudie Wissenschaftskommunikation: https://www.stifterverband.de/wk-trends

  5. #5 Thilo
    8. Dezember 2011

    Es ist richtig, daß kaum ein Wissenschaftler Twitter nutzt und daß auch viele andere 2.0-Werkzeuge wenig genutzt werden. Das liegt aber im wesentlichen daran, daß sich in den einzelnen Fächern in den letzten Jahren bereits fachspezifische Lösungen durchgesetzt haben, die für das jeweilige Fach gut funktionieren und von der sonstigen 2.0-Entwicklung relativ unabhängig sind.
    In der Theoretischen Mathematik haben sich zum Beispiel https://mathoverflow.net/ als Diskussionsforum (bzw. eher Frage- und Antwortforum) und https://arxiv.org/ als Preprintserver für noch nicht veröffentlichte Arbeiten durchgesetzt, außerdem Mailinglisten und Diskussionsforen (oder z.B. auch Webseiten mit Links und Konferenzankündigungen) in vielen Spezialgebieten. Auch Wikipedia-artige Projekte gibt es in einzelnen Teilgebieten, allerdings werden die nach euphorischem Beginn meist nach 1-2 Jahren dann kaum noch gepflegt.

    Einen guten (2 Jahre alten) Überblick über die Nutzung des Internet in der mathematischen Forschung gibt Terence Tao in https://terrytao.files.wordpress.com/2009/08/internet2.pdf
    Langer Rede kurzer Sinn: was die Wissenschaft braucht sind keine Allgemeinplätze über die Nützlichkeit neuer Medien, sondern auf die jeweiligen Fachspezifika zugeschnittene Lösungen.

  6. #6 Alexander Gerber
    8. Dezember 2011

    @ Thilo:
    Mal wieder danke für die wertvolle Ergänzung. Ich habe das gestern bei der “Vertonung” der Folien und in der DIskussion auch betont: Interaktive Medien können nur disziplinenspezifisch sinnvoll betrachtet werden. Allein schon die Unterschiede zwischen Natur-, Geistes- / Sozialwissenschaften (Preprint-Server, Interdisziplinarität, Schutzrechte etc.) sind ja immens. Werde dich diesbezüglich demnächst nochmal direkt kontaktieren in punkto “Schulungen”.

  7. #7 CM
    9. Dezember 2011

    Danke für die Aufklärung. “Standardtisierte Ergebnissmessung” in puncto Kommunikation? Damit könnte ich mich anfreunden. Da bin ich neugierig auf mehr – und offengestanden skeptisch wie das gehen soll.

  8. #8 miesepeter3
    9. Dezember 2011

    @Alexander Gerber

    Einerseits möchte ich die Wissenschaft und …ler /innen ein wenig in Schutz nehmen.
    Diese werden zum Teil fremdbestimmt in dem was sie forschen dürfen und was nicht durch entsprechende Mittelvergaben oder eben nicht Vergaben. Dann gibt es auch noch Einschränkungen im Forschungsgebiet durch absolute Nichtfachleute, man nennt das Gesetze, die letzten Endes von unseren Politikern verabschiedet werden. Und diese sind eben nicht alle Wissenschaftler. Und dann gibt es auch noch Einschränkungen durch die Versicherungswirtschaft, die partout bestimmte Geschichten einfach nicht versichern will, was die Freiheit der Forschung auch noch zusätzlich einschränkt. Um Neues entdecken zu können muß man am besten auch noch einen Kurs in Lavieren absolviert haben.
    Querdenker werden in jeder Branche ungern gesehen. Sie stiften nur Unruhe und lassen einen ziemlich blöde aussehen, wenn ihre Denkart zu Erfolgen führt.
    Man fragt sie nur, wenn man alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat.
    Und wenn man dann feststellt, dass deren Ergebnisse banal einfach zustande gekommen sind, verübelt man ihnen, dass sie es wagen, dafür auch noch Geld zu verlangen.
    Ja, die Wissenschaft hat`s schwer.

  9. #9 Alexander Gerber
    9. Dezember 2011

    @ CM
    Bin ähnlich gespannt, wie gut das gelingt, aber inzwischen guter Dinge. Aus dem PR-Controlling und dem Kommunikationsmanagement gibt es schon viele bewährte Vorarbeiten.

  10. #10 Alexander Gerber
    9. Dezember 2011

    @ “miesepeter3”
    Ihre Bedenken können meiner Ansicht nach vor allem viele junge Forscher und sicherlich der Mittelbau allgemein gut nachvollziehen. Einige Mechanismen unseres Wissenschaftssystems (etwa im Publikationswesen) haben sich möglicherweise so lange in Sachen Qualitätssicherung bewährt, dass nun eine Veränderung umso schwerer ist. Andererseits gibt es natürlich immer wieder Leute die vor allem durch Beharrungsvermögen der Schlangengrube entkommen. Und die Hoffnung stirbt ja selbst für “Miesepeter” bekanntlich zuletzt. ;-)

  11. #11 TomP
    13. Dezember 2011

    Also ich kann nur sagen, dass ich mich als Anfang Mittzwanziger wahrscheinlich nur so gut auskenn mit web etc, weil ich mch selber und das auch schon seit jahren privat damit beschäftige..

    Auf unserrer Uni wird zu dem >Thema garnichts geboten und das ist eine technische Uni – ich meine es soltte wohl schon reichen, dass wir eine webseit habe – wow – sogar inzwischen (seit einem monat mit anbindung an web 2.0 devices)

    Aber ansonsten beschäftigt sich in der Lehrer halt kaum jemand damit – das sollte sich spätestens dann ändern wenn meine Generation die nächste unterrichtet – nur dann ist deutschlan weit hinter anderen Ländern hinterher!!!