Der Stichtag für den Import embryonaler Stammzelllinien ist einmalig von Januar 2002 auf Juni 2007 verschoben worden. Gewonnen ist damit nichts, außer etwas Zeit.
Am Freitag vergangener Woche wurde im Bundestag über eine Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzelllinien abgestimmt. Die Abstimmung wurde namentlich und ohne Fraktionszwang durchgeführt. 346 Abgeordnete stimmten für den Antrag von René Röspel (SPD) den Stichtag zu verschieben, 228 Abgeordnete stimmten dagegen.
Der gefundene Kompromiss ist nicht glücklich, er hilft langfristig keinem, weder den Befürwortern noch den Gegnern der Forschung an embryonalen Stammzellen. Zum gleichen Ergbenis kommt auch Christian im Frischer Wind Blog.
Gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen
Die Argumentation der Gegner lässt sich leicht verstehen und zusammenfassen: Befruchteten menschlichen Eizellen, also Embryonen, wird die Menschenwürde zugebilligt; ergo: es ist ein Mensch. Und einen Menschen zu töten, ist nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich nicht zu verantworten. Zum anderen wird der Forschung an embryonalen Stammzellen der Nutzen abgesprochen, meist unter Anführung des Arguments, dass bisher noch keine Therapien, die aus der Forschung an embryonalen Stammzellen entwickelt wurden, zur Verfügung stehen.
Beide Argumente halten jedoch einer rationalen Überprüfung nicht stand. Der argumentative Bezug zur Menschenwürde entspringt der theologischen Ethik, und die hat in der Forschungspolitik nichts verloren. Ethik wägt nach vernunftbestimmten Kriterien ab, und einer befruchteten Eizelle die volle Menschenwürde zu zu billigen ist nicht vernünftig.
Der Verweis auf bisher fehlende Therapien gleicht dem Klammern der Forschungsgegner an den letzten Strohhalm. Auch den Gegnern ist allerdings klar, dass nicht erwartet werden kann, ein komplettes Forschungsgebiet sei in fünf Jahren entwickelt und liefere Therapien, wenn schon die Entwicklung eines Alltagsmedikaments 10 Jahre und länger dauert.
Warum wir an embyronalen Stammzellen in Deutschland frei forschen sollen
Die Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen gründen ihre Argumentation vor allem auf folgende Punkte: Die Forschung an Stammzellen ist eine recht neue Disziplin in den Lebenswissenschaften. Die molekularen Grundlagen der Zelldifferenzierung und die Mechanismen von einigen Krankheiten können nur verstanden werden, wenn an Stammzellen geforscht wird. Embryonale Stammzelllinien sind dafür unabdingbar, und zwar nicht nur als Vergleichs- und Referenzzellen, sondern auch speziell um die Besonderheiten der ersten Zellteilungen eines Organismus zu studieren.
Weiter ist das enorme, und sicher nicht voll abschätzbare Potential für therapeutische Anwendungen der Stammzellforschung zu berücksichtigen. Dieses Potential kann nur durch die Grundlagenforschung ausgelotet werden.
Eine weitere Rolle spielen wissenschaftspolitische und ökonomische Gründe. Deutschland ist ein Hochtechnologieland im Herzen Europas. Deutschland kann es sich nicht leisten, sich auf einem dermaßen wichtigen Feld der modernen Biologie international durch falsche politische Entscheidungen abhängen zu lassen. Die Forschergemeinde ist komplett internationalisiert (aber nicht ohne Bewusstsein der eigenen Wurzeln), und wenn die interessanten Projekte mit embryonalen Stammzellen im Ausland gefördert werden, wird eben dahin umgezogen. Eine Rückkehr von erfolgreichen deutschen Forschern, die weiter up-to-date forschen möchten, wird durch die aktuelle Gesetzgebung unmöglich gemacht. Ist das gewollt?
Zum Zweiten geht es um ökonomische Gründe. Patente, die an Forschungsinstituten im Ausland vergeben werden, bleiben in den meisten Fällen dort, auch wenn sie von deutschen Forschern beantragt werden (die sich übrigens nach deutschem Recht strafbar machen, wenn sie an aktuelleren Stammzelllinen forschen). Startup-Firmen sind auf stabile rechtliche Rahmenbedingungen angewiesen. Eine nachvollziehbare und nachhaltige Gesetzgebung sieht am Beispiel der Forschung an embryonalen Stammzellen aber anders aus.
Es ist anzumerken, dass die Befürworter ethische Argumente keinesfalls nicht berücksichtigen würden. Sie wurden sehr wohl abgewägt und fließen in die Beurteilung des Nutzens und der Risiken der Forschung an embryonalen Stammzellen mit ein. Das ist eine Kompromissbereitschaft, die von religiösen Hardlinern, welche die Argumente der Gegenseite bestimmen, nicht entgegengebracht wird.
Letztendlich verläuft die Trennlinie der Lager nicht so unscharf, wie durch die parteiübergreifende Abstimmung mit Stimmen für beide Lager aus allen Parteien suggeriert wurde. Meinem Eindruck nach sind sich naturwissenschaftlich gebildete Menschen weitgehend einig: Die Chancen, die der embryonalen Stammzellforschung innewohnen – wie bei jeder anderen neuen Technologie – sollen rational mit den Risiken abgewogen werden, und religiös motivierte Argumentationen haben in der politischen Debatte darüber nichts zu suchen.
Niemand, der je in einem Labor mit Zelllinien gearbeitet hat, ob nun tierischen oder menschlichen Ursprungs (die sehen nämlich gleich aus, wenn sie vom gleichen Zelltyp sind) wird behaupten, dass diesen Zelllinien eine Würde innewohnt, die es verbiete, daran zu forschen.
Ein Ausblick
Ich prophezeihe, dass wir in spätestens fünf Jahren erneut vor der gleichen Debatte stehen. Die Wissenschaftler und die Wissenschaftsjournalisten haben also Zeit gewonnen, ihre Kommunikationsstrategien zu überdenken, um die Allgemeinheit besser über die Chancen der Stammzellforschung zu informieren und vielleicht eine technikfreundlichere Grundstimmung in Deutschland zu schaffen. Aber auch die Gegner werden sich neu formieren, wieder in Form einer religiös und fundamentalökologisch geprägten Lobby, die rationalen Argumenten weiter unzugänglich gegenüber stehen wird.
Auf dass die Debatte weniger emotional und von religiösen Werten geprägt geführt wird, sondern logisch, rational, überprüfbar – und basierend auf produzierten Daten und erreichten Meilensteinen. So funktioniert nämlich Wissenschaft. Und: Wissenschaft konnte noch nie durch Denk- und Forschungsverbote aufgehalten werden.
Bild: Kolonie humaner embryonaler Stammzellen. Quelle: Wikipedia
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