Medikamente zur Verbesserung kognitiver Fähigkeiten sind verscheibungspflichtig und nur einer kleinen Gruppe mit psychischen Störungen vorbehalten. Warum sollen nicht alle das Recht haben, diese Medikamente zu schlucken um sich besser konzentrieren zu können, wacher, aufmerksamer, oder aufnahmebereiter zu sein? Jeder einzelne, sowie die Allgemeinheit könnte davon profitieren.
Rund 20% aller Teilnehmer einer Umfrage von Nature haben angegeben, Medikamente (aka: Drogen) zur Steigerung kognitiver Fähigkeiten zu nehmen (aka Gehirndoping). Und damit war nicht Studentenfutter sondern Modafinil und Methylphenidat (aka Ritalin) gemeint. Diese Substanzen werden bei Narkolepsie und AHDS verschrieben. Bei Gesunden führt die Einnahme angeblich zu erhöhter und längerer Konzentrationsfähigkeit und gesteigerter Wachheit, Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit.
20% ist erstaunlich hoch, wenn auch nicht unbedingt repräsentativ. Gestern ist nun in Nature ein Kommentar erschienen, in dem Vorschläge für den verantwortungsbewussten Gebrauch dieser Substanzen gemacht werden: Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy.
Die Autoren des Kommentars vergleichen die Steigerung der kognitiven Fähigkeiten durch Medikamente mit bekannten Methoden, also genügend Schlaf, ausgewogene Ernährung, lesen und üben, und sie kommen zu dem Ergebnis, dass – moralisch – gegen den Gebrauch von Ritalin und Konsorten eigentlich nichts einzuwenden sei. Und tatsächlich ist der Gedanke ja durchaus reizvoll, seine Konzentrationsfähigkeit und geistige Aufnahmebereitschaft auf Kommando zu steigern.
Angenommen, diese Medikamente würden so entwickelt, dass sie tatsächlich langfristig eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bewirkten, keine Nebenwirkungen hätten, und günstig und für jeden zugänglich wären. Was spräche denn dann gegen deren Gebrauch?
Es ist nicht natürlich: Häuser, Kleidung, Laptops, Weizen, Blinddarmoperationen und Antibiotika sind auch nicht “natürlich”. Wo soll da die Grenze gezogen werden?
Es ist illegal: Momentan ist es selbstverständlich illegal, sich medikamentös kognitive Vorteile zu verschaffen. Wo ist aber die Grenze zu legalen Mitteln, wie private Nachhilfe und doppeltem Espresso? Sollte es Erwachsenen mit Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen gestattet sein solche Medikamente zu nehmen? Und wer diagnostiziert die Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme?
Es ist Drogenmissbrauch: Alkohol, Nikotin, Koffein, THC, Kokain, Heroin. Alles Drogen – einige davon legal. Wo ordnet man die Medikamente ein, die zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten führen?
Es ist unfair: Jedem wäre ja freigestellt die Pillen zu schlucken – oder eben nicht. Bei geringen Kosten und leichter Verfügbarkeit kann keiner argumentieren, er würde durch seine pillenschluckende Mitschüler, Kommilitonen und Kollegen benachteiligt. Man könnte zum Beispiel die durch Rauchverbote jetzt nutzlosen Zigarettenautomaten an Universitäten mit Tabletten bestücken.
Und wie will man bei bestehender Illegalität sicherstellen, dass solche Medikamente nicht trotzdem eingenommen werden? Unangemeldete Dopingkontrollen vor Klausuren und Prüfungen? Bei Schachtournieren klappt das ja schon nicht. Ist es moralisch, einen möglicherweise genialen Gedanken eines einzelnen zu verhindern, dessen Konsequenzen potentiell der Menschheit zu Gute käme, weil man die individuellen geistigen Fähigkeiten nicht nach aktuellem Stand der Forschung verbessert?
Die Autoren des Kommentars (die competing interests erklärt haben) fordern klare politische und ethische Richtlinien und vor allem einen evidenzbasierten Ansatz, um Chancen und Risiken der medikamentösen Verbesserung kognitiver Fähigkeiten von gesunden Menschen zu evaluieren und zu beurteilen. Es besteht Diskussionsbedarf.
Mehr zur Nature Umfrage vom April und zum Hirndoping auf ScienceBlogs bei Plazeboalarm,Wissen schafft Kommunikation, Neurons und Mathlog
Diskussion zum aktuellen Kommentar auf NatureNetworks
Referenz des Kommentars: Henry Greely, Barbara Sahakian, John Harris, Ronald C. Kessler, Michael Gazzaniga, Philip Campbell, Martha J. Farah (2008). Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy – Nature DOI: 10.1038/456702a
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