Darwin und Kopernikus haben das moderne Weltbild vergleichbar stark geprägt. Trotzdem klingt darwinistisch lange nicht so gut wie kopernikanisch. Darwins Gedanken wurden historisch mehrfach falsch interpretiert oder gar nicht verstanden, zum Beispiel von Hitler. Survival of the fittest heißt nicht das Überleben des Stärkeren, sondern das des am besten Angepassten.
Überall Darwin. Sonderausgaben, Titelblätter, Artikelserien. Da bleibt fast nichts mehr übrig, über das ich hier schreiben kann. Aber nur fast. Im November vor 150 Jahren hat Charles Darwin sein Werk “On the Origin of Species by Means of Natural Selection” publiziert. Wäre er nicht im Konflikt mit seinem Glauben gestanden, wäre das Buch schon früher erschienen, und wäre Alfred Russel Wallace nicht gewesen, der zu ähnlichen Ergebnissen wie Darwin kam, vielleicht erst nach seinem Tod im Jahr 1882. Die “Entstehung der Arten” ist wohl eines der wichtigsten Bücher, die je geschrieben wurden.
Darwins Ideen haben zu einer Art kopernikanischen Wende im Denken geführt. Kopernikus hat die Erde aus dem Zentrum des Universums gerückt und damit der “Erschaffung der Welt in sechs Tagen” ein wissenschaftliches Modell gegenübergestellt, in dem die Erde leider nicht mehr im Zentrum stand. Darwin hat den Menschen aus dem Zentrum der eigenen Wahrnehmung gerückt, und damit der biblischen Schöpfungslehre ein wissenschaftliches Modell gegenüber gestellt, in dem der heutige Mensch Teil eines andauernden Entwicklungsprozesses ist, und nicht die Krone der Schöpfung.
Die Analogien gehen weiter: Das kopernikanische Weltbild wurde von Keppler und Galilei verbessert und erweitert. Die Erde ist nicht das Zentrum der Welt. Das bliebt eine Tatsache, und diese wurde bestätigt. Mendel und Watson sowie Crick haben die Darwinsche Evolutionstheorie verbessert und erweitert. Die Tatsache, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung darstellt wurde ebenfalls bestätigt.
Trotzdem klingt “Darwinistisch” lange nicht so gut wie “Kopernikanisch”. Ich denke, das liegt vor allem an der Interpretation Darwins Theorie im dritten Reich und an gewollten oder ungewollten Missverständlichkeiten seiner Aussagen.
Hitler und die Nazis haben sich an Darwins Theorie gleich in mehrfacher Weise vergangen. Zum einen haben sie überhaupt nicht kapiert, was der Entstehung der Arten zu Grunde liegt: Die Evolution. Hierzu ein Beispiel: Hitler schreibt in “Mein Kampf” in Kapitel 11 “Volk und Rasse” folgendes:
So wandern die Menschen ausnahmslos im Garten der Natur umher, bilden sich ein, fast alles zu kennen und zu wissen, und gehen doch mit wenigen Ausnahmen wie blind an einem der hervorstechendsten Grundsätze ihres Waltens vorbei: der inneren Abgeschlossenheit der Arten sämtlicher Lebewesen dieser Erde.
Schon die oberflächliche Betrachtung zeigt als nahezu ehernes Grundgesetz all der unzähligen Ausdrucksformen des Lebenswillens der Natur ihre in sich begrenzte Form der Fortpflanzung und Vermehrung. Jedes Tier paart sich nur mit einem Genossen der gleichen Art. Meise geht zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur Störchin, Feldmaus zu Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus, der Wolf zur Wölfin usw.
Hitler spricht von der “inneren Abgeschlossenheit der Arten”. Das ist einfach falsch, genauso falsch, um bei der Analogie zu Kopernikus zu bleiben, wie zu behaupten, die Erde wäre eine Scheibe. Der Abgeschlossenheit der Arten liegt ein Schöpfungsglaube zu Grunde und kein bisschen Evolutionstheorie. Ihm reicht ja die “oberflächliche Betrachtung” aus, wie er weiter schreibt. Oberflächlich betrachtet dreht sich die Sonne ja auch um die Erde. Hitler hat von der Entwicklung der Arten absolut gar nichts verstanden.
Die Frage ist nun, wie konnte jemand, der grundsätzlich nicht kapiert hat, worum es bei der Evolutionstheorie geht, einem ganzen Volk die ganze Perversion des Sozialdarwinismus (per se erst mal eine markosoziologische Theorie), der Eugenik und der “Rassenhygiene” beibringen? Es beruht, und ich hoffe hier nicht zu marginalisieren, auf einem Übersetzungsfehler. Survival of the fittest heißt eben nicht das Überleben des Stärkeren, sondern das des am besten Angepassten. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass genau dies im dritten Reich passiert ist: Die am besten angepassten Mitläufer hatten am wenigsten zu befürchten. Diese Behauptung beispielsweise, ist sozialdarwinistisch.
Hitler versieht seinen Hass gegen alles “undeutsche” mit einem scheinbar wissenschaftlichen Fundament, das andere von Darwins Theorien abgeleitet haben. Der Sozialdarwinismus stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Francis Galton prägte den Begriff Eugenik 1883. Alfred Plötz führte im Jahr 1895 das Wort Rassenhygiene im deutschsprachigen Raum ein.
Mir ist heute unbegreiflich, wie Millionen Deutsche dem kruden Mix aus halb- und unwissenschaftlichen Phantasien auf den Leim gehen konnten, die nur dazu dienten, Hitlers Rassenideologie zu rechtfertigen.
Der jüdische Publizist und Schriftsteller Ralph Giordano erinnerte sich in einem Interview an seine Jugend in Hamburg, als er mit mit seinem besten Freund im Kino den antisemitischen Propagandafilm “Jud Süß” sah. Nach der Vorstellung, auf dem Heimweg, gingen die beiden schweigsam nebeneinander, bis der Freund meinte: “Ralle, irgend etwas muss doch dran sein”.
Propaganda also? Millionen Fliegen können nicht irren. Scheiße muss schmecken.
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