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In den arabischen Staaten wird zehn Mal weniger in die Wissenschaft investiert als in der westlichen Welt. Die Folge ist eine Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und eine geringe Anzahl wissenschaftlicher Publikationen aus dem arabischen Raum. Gilt diese Rückständigkeit für alle Länder, oder haben einzelne Staaten die Zeichen der Zeit erkannt?

Letzte Woche habe ich auf meinem Blog die Anzahl der biomedizinischen Publikationen in Israel mit denen anderer Länder des Nahen Ostens verglichen. Das Ergebnis war, dass Israel rund zehn mal mehr Papers pro Kopf publiziert als jedes andere Land der Region. In der Folge wurde eine Kommentarlawine losgetreten, in der einerseits der kulturelle Einfluss des Islam auf die Wissenschaft diskutiert wurde, und andererseits die Methodik meiner Analyse kritisiert wurde. Letzter Punkt wurde in einem aktuellen Post von Ali hier auf ScienceBlogs aufgegriffen. Dort werden inzwischen in den Kommentaren Bibelverse und Koransuren ausgetauscht.

Ich stimme Alis Kritik an der Methodik meiner Analyse zu. Eine Korrelation belegt keine Kausalität; verschiedenste Variablen haben Einfluss auf die wissenschaftliche Produktivität eines Landes; Es fehlte eine Kontrollgruppe; die Fallauswahl war sehr selektiv; benutzte Begriffe wurden nicht definiert.

Nur: Das ganze war ein Blogeintrag und keine sozialwissenschaftliche Publikation. Blogeinträge können polarisieren und sie dürfen Zusammenhänge suggerieren. Zur Diskussion gibt es den Kommentarteil. Eins leisten Blogartikel nicht (und sollte meiner auch nicht): Ein Thema vollständig abzuhandeln. Auch dann nicht, wenn das Blog unter der Flagge “Wissenschaftsblog” segelt.

Aber zurück zur Frage. Es ging darum, welche politischen oder kulturellen Gründe zu einem Versagen der arabischen Länder im Bereich der Wissenschaften führen. Dazu stelle ich folgende, vermutlich schwer zu widerlegende These auf:

Wissenschaftlicher Erfolg ist direkt von den Investitionen in Forschung und Entwicklung abhängig.

In arabischen Ländern ist dies wesentlich weniger als in westlichen Ländern. Als Beleg ein Zitat von der “Arab Sciene and Technology Foundation“, die in den Emiraten sitzen:

It’s worth mentioning that the developed countries spend around 2.5% of their GDP for R&D activities, to which the private sector contributes 80% of the overall expenditure. However, in the Arab countries, the R&D expenditure is only about 0.2% while the contribution of the private sector is almost absent.

Weniger als ein Zehntel der Investitionen also. Das korreliert mit den Publikationszahlen. Besteht deshalb eine Kausalität? Nein! Die Zahlen verallgemeinern nämlich über den ganzen arabischen Raum.

Fallstudien: Die Armen und die Reichen

Die Länder des Mittleren Ostens sind, auch wenn in allen an den gleichen Propheten geglaubt wird, sehr heterogen. Ali hat mehrfach in den Kommentaren auf einen Vergleich mit den Sub-Sahara-Afrika Staaten hingewiesen. Und er hat Recht. Syrien (Platz 147 von 229 weltweit), Jordanien (142), Yemen (171), Iraq (157) sind bitterarme, zum Teil vom Krieg gezeichnete Länder. Die Zahlen stammen aus dem CIA Factbook und sie berücksichten das kaufkraftausgeglichene Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Dies liegt in diesen Staaten unter 5000 Dollar. Dass diese Länder anderes zu tun haben, als in die biomedizinische Forschung zu investieren (denn dafür waren die Zahlen angegeben), ist wohl jedem klar.

Auf der anderen Seite sind Länder wie Qatar (Platz 1 von 229 weltweit), Kuwait (5), die Emirate (25) und Bahrain (32). Zum Vergleich: Deutschland ist auf Platz 30, Israel auf Platz 48.

Diese Länder haben also offensichtlich die Mittel um in biomedizinische Forschung zu investieren. Und das machen sie auch. Quatar erhöht den Forschungsetat auf 2.8% des Bruttoinlandsprodukts; Bahrain plant eine Forschungsstadt; die Emirate bauen einen 400 Mio Dollar Biotechpark in Dubai; Kuwait legt einen 131 Mrd Dollar Entwicklungsplan für die nächsten fünf Jahre vor, und will damit die Ausgaben für die Wissenschaft verfünffachen, von 0.2 auf 1.0% des Bruttoinlandsprodukts.

Brain Drain – die Guten gehen

Das eigentliche Problem des arabischen Raums ist ein anderes: Die Pläne zur Förderung der Wissenschaften sind alle erst in den letzten paar Jahren entstanden. In der Vergangenheit, und das ist politisch, kulturell und wirtschaftlich bedingt, wurde einfach zu wenig in Forschung und Entwicklung investiert. Zu wenig, um die eigenen Leute im Land zu halten, und zu wenig, um ausländlische Forscher anzuziehen.

Die Länder des arabischen Raums haben mit einem massiven “Brain Drain” zu kämpfen. Fast eine halbe Million Universitätsabsolventen dieser Länder leben und arbeiten im westlichen Ausland. Die Hälfte davon kehrt nicht nach Hause zurück.

Besonders deutlich ist dieser Brain Drain meiner Meinung nach bei nicht standortgebundener Forschung, und dazu zählen die Biowissenschaften. Egal in welchem Land: Wer ein gut ausgestattetes Labor hinstellt, ausreichend international vernetzt ist und finanzielle Reize bietet, wird einheimische und ausländische Forscher anziehen. Staaten, wie Taiwan, Südkorea und Singapur haben das schon vor 20 Jahren kapiert. Dementsprechend hat sich auch der Output an Papers dieser Tigerstaaten entwickelt (siehe Abbildung unten. Aus: Nature Medicine).

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Auch Kommentator Yoav hat also Recht, wenn er in meinem vorigen Eintrag den islamischen Staaten im Bereich Forschung und Entwicklung eine Rückständigkeit bescheinigt. Hoffen wir, dass sich das mit den aktuellen Investitionen ändert, und wünschen wir, dass kulturelle Gründe kein Hindernis für die Entwicklung darstellen. Denn die naturwissenschaftliche Forschung schert sich nicht um Religionen. Es wäre schön, wenn dies auf Gegenseitigkeit beruhte.

Kommentare (11)

  1. #1 ali
    21. Januar 2009

    Das war nun aber sehr detailliert.

    In deinem Blogeintrag hast du ja nur eine Frage gestellt. Das ist an und für sich auch ok. Es ist mir auch bewusst, dass es sich um einen Blogeintrag handelte und nicht ein sozialwissenschaftliches Paper. Nur muss man halt wen man einen solchen Versuchsballon steigen lässt (und für einen solchen habe ich deinen Eintrag gehalten) damit rechnen dass darauf Pfeile abgeschossen werden (ich hoffe du hast die meinen nicht als vergiftet wahrgenommen).

    Meine Schwierigkeiten hatte ich vor allem mit was in den Kommentaren losging. Yoav hat zumindest bis zu seinem Verschwinden tatsächlich argumentiert (obwohl auf seine Stellungnahme zum ‘Testcase’ warte ich immer noch 🙂 ). Aber was zum Beispiel Kommentator Eugen von sich gab, waren dumpfe Vorurteile, wegen denen ich mich dann noch beschimpfen lassen musste (Marie) und nicht ein Splitter von einem wirklichen Argument. Das konnte ich so nicht stehen lassen.

    Danke für diesen Post und die Klarstellung. Der gefällt mir (bis jetzt) viel besser 😉

  2. #2 ulf
    21. Januar 2009

    Ich stimme Ali zu: dieser Post beschreibt gut recherchierte Tatsachen, die einen positiven Aufruf enthalten statt vorschnellen Schüsse aus der Stereotypkanone Vorschub zu leisten.

  3. #3 Tobias
    22. Januar 2009

    Freut mich, dass den Herren dieser Artikel beim Lesen ein angenehmeres Gefühl beschert. Vielleicht mag ja einer von euch spekulieren, warum die erwähnten Besserverdienerstaaten des Mittleren Ostens 20 Jahre hinter den Tigerstaaten zurück liegen?

  4. #4 ali
    22. Januar 2009

    Jetzt muss ich auch noch konstruktiv sein? Ich dachte wir belassen es beim Feel-Good Factor.

    Also wenn du mich so fragst habe ich zwei Dinge vorzubringen:

    a) Problem der Petrokratien
    b) Könnte es sein, dass der Paperoutput bei den Tigerstaaten einfach nur dem Entwicklungsschub folgt?
    c) Die Tigerstaaten haben eine gezielt exportorientierte Entwicklungsstrategie verfolgt (mit Abbau von Schranken aber auch mit Schutz gewisser Sektoren). Vielleicht war Forschungsförderung teil dieses Denkens.

  5. #5 ali
    22. Januar 2009

    Korrektur: Sollte heissen “3 Dinge”. Kommt davon, wenn man während und nicht nach dem Denken schreibt.

  6. #6 Tobias
    22. Januar 2009

    Ich denke fast, man kann es alleine durch den Rohstoffreichtum der Golfstaaten erklären. Die gigantischen Ölreserven und die damit verbundene ökonomische Sicherheit haben möglicherweise dazu geführt, dass sich die Staaten nicht um Alternativen kümmern mussten, wohingegen die Tigerstaaten sich einem kompletten Strukturwandel vom Agrarstaat zum Hochtechnologiestandort unterziehen mussten.

  7. #7 student_b
    22. Januar 2009

    Auch mir gefällt dieser Artikel viel besser.

    Den bemerkenswerten Unterschied zwischen diesem Artikel und dem anderen (und dessen Kommentarteil) ist, dass die Religion bzw. der Einfluss des Islam nicht erwähnt wird (bzw. nur gestreift im Bezug auf den alten Artikel), der neue Post aber die Hintergründe meiner Meinung nach besser beleuchtet.

    Ausserdem möchte ich Tobias’ These zustimmen. Die asiatischen Tigerstaaten sind zum grössten Teil Exporteure von verarbeiteten Gütern, wofür diese Staaten eine verarbeitende Industrie benötigen und damit auch automatisch Forschung (in diesem und auch anderen Bereichen).

    Der Grossteil der Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit (ebenso wie viele afrikanische Staaten) exportieren zum Grossteil Landwirtschaftliche Güter und Ressourcen aus Bergbau bzw. der Erdölförderung.

    Der Forschungsaufwand für die Landwirtschaft ist minimal. Die Konzerne die Bodenschätze abbauen sind zum grossen Teil westliche Firmen, die ihre Forschungen vermutlich (müsste man überprüfen) in westlichen Universitäten und Laboren durchführen.

    Wo aber Forschung für Industrie benötigt wird, ist wohl auch die Grundlage gegeben für Forschung in anderen Bereichen (wie zum Beispiel der Medizin u.ä.).

    Zumindest ist das meine Hypothese. (Ohne grosse Recherche, ich hoffe mal ich habe mich jetzt nicht als zu grossen Ignoranten geoutet. 🙂 )

  8. #8 Marie
    23. Januar 2009

    „Denn die naturwissenschaftliche Forschung schert sich nicht um Religionen. Es wäre schön, wenn dies auf Gegenseitigkeit beruhte“ sagt Tobias in seinem Blogeintrag ganz oben, und fordert (weiter unten) zu Spekulationen auf.

    Die zahllosen islamischen Quellen zu „Wissenschaft im Islam“ lassen erkennen: Im traditionellen islamischen Verständnis ist naturwissenschaftliche Forschung letztlich identisch mit religiöser Beschäftigung zu Ehren Allahs: Wissenserwerb und Weisheit ist Auftrag, um Größe und Allmacht Allahs zu erkennen. Die Frage, ob naturwissenschaftliche Forschung religionsunabhängig erfolgen kann, kann sich ob des Ganzheitsanspruchs dabei gar nicht stellen. Was in einer Gesellschaft als gut und böse, legitim und illegitim zu gelten hat, entscheidet die Religion bzw. diejenigen, die sie instrumentalisieren können.

    Einige der Emirate scheinen diesem o.a. Wissenschaftsverständnis allerdings weniger verpflichtet. Der Tourismus- sowie auch der Bau- und Petro-Technologieboom in Dubai und nun das Projekt Abu Dhabis, ein Weltzentrum für erneuerbare Energien einzurichten (F.A.Z. von gestern), dienen offenbar nicht vordringlich dem Allmachtsnachweis Allahs. Aber das ist nur mein Eindruck. Was ja auch sein darf.

    So lange aber im Einflussbereich der Taliban (und diese Fälle sind zahlreich, wenn die Meldungen zutreffen) verstärkt Geschlechterapartheid herrscht, Mädchen der Schulbesuch verboten wird, Mädchenschulen gesprengt werden, Mädchen auf dem Weg zur Schule, als ad-hoc-Strafe für „unislamisches Verhalten“, Säure ins Gesicht gespritzt wird, sind nicht etwa fehlende Finanzmittel die Ursache für fehlende Labors. Folklore ist das auch nicht. Und Tobias’ Wunsch nach einer Off-Limits Regelung für Religionen bleibt daher noch lange ein solcher.

    Schwächelt WeiterGen jetzt hin zum Wohlfühl-Blog?

  9. #9 Eike
    23. Januar 2009

    Nach einem guten Einstieg scheint mir die Diskussion – ebenso wie die vorherige – in eine schwierige Richtung zu kippen. Das Verhältnis Wissenschaft – Glaube ist in jedem beliebigen monotheistischen Glaubenskonzept kritisch und mit unzähligen Beispielen zu belegen. Hier ist Raum für Polemie, diffuser Angst und Vorurteilen.

    Interessanter finde ich die wirtschaftliche Struktur der betrachteten Staaten. Auch deswegen, weil wirtschaftliche Strukturen im Gegensatz zum Glauben der Menschen, politisch form- und veränderbar sind.

    Klar ist, dass wirtschaftliche Potenz Voraussetzung für Forschung ist, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften. Über diese Potenz verfügt jedoch nur ein Teil der betrachteten arabischen Staaten. Quelle dieser Potenz ist allerdings überall genau eine kontrollierbare Ressource, das Öl. Alle Wirtschaften basierten (zumindest bisher) auf dieser einen Quelle, die relativ leicht von einer überschaubaren Anzahl von Personen / Familien / Interessengruppen kontrolliert werden konnten. Die Macht weniger erwächst der einen Ressource. Der Anreiz dieser Menschen, die Struktur zu verändern ist gering.

    Im Gegensatz dazu haben die Tigerstaaten versucht auf vielerlei Wegen in und mit der Weltwirtschaft zu konkurrieren. Dadurch mußten die vielen Akteure dort, lernen entweder (zunächst) billiger oder (später) besser zu sein. Und mittelfristig in die Wissenschaft investieren.

    Die spannende Frage lautet nun: Da die arabischen Ölressourcen endlich sind und unsere gesamte Energiewirtschaft sich wandelt, gleichzeitig insbesondere in den Emiraten eine erhebliche Verbreiterung der wirtschaftlichen Aktivitäten stattfindet (nicht nur Tourismus), wird dann mittelfristig der Weg der wohlhabenden arabischen Staaten sein, ebenfalls in Wissenschaft und Forschung zu investieren?

  10. #10 Tobias
    23. Januar 2009

    @Marie: “Schwächelt WeiterGen jetzt hin zum Wohlfühl-Blog? ”
    Ja. Altersmilde, jetzt mit 33.

    @Eike: “Die spannende Frage lautet nun: Da die arabischen Ölressourcen endlich sind und unsere gesamte Energiewirtschaft sich wandelt {…} wird dann mittelfristig der Weg der wohlhabenden arabischen Staaten sein, ebenfalls in Wissenschaft und Forschung zu investieren?”

    Das ist sie, die spannende Frage. Und hier Fragen zur weiteren Diskussion:

    1. Sind Religionen im Allgemeinen und der Islam im Besonderen fortschrittsfeindlich?
    2. Wenn ja, hat der Islam in den arabischen Ländern überproportionalen Einfluss auf politische Entscheidungen, also auch auf Wissenschaftspolitik, verglichen mit anderen Ländern, in denen andere Religionen vorherrschen?
    3. Wie wirkt sich das auf die zukünftige Wissenschaftspolitik der Staaten des Mittleren Ostens aus?

    In den besprochenen Ländern oben im Post leben nur knapp 5% aller Bewohner aller islamischen Staaten des Mittleren Ostens.