Otto Heinrich Warburg hat 1931 den Nobelpreis für Medizin gewonnen. Er und ein Paper werden in einem aktuellen SPIEGEL-Online Artikel verunglimpft. Hier die Erklärung warum wir atmen und was die Warburg-Hypothese mit der Entstehung von Krebs zu tun hat.
Otto Heinrich Warburg (Bild unten) hat 1931 den Nobelpreis für Medizin bekommen. Er hat die Cytochrom-C-Oxidase entdeckt (Kristallstruktur oben), und sie damals “Atmungsferment” genannt. Um zu verstehen, wie wichtig die Cytochrom-C-Oxidase ist, und was dessen Funktion ist, muss man sich verdeutlichen, was der von mir gestern Abend gegessene Teller Nudeln mit dem von mir ständig eingeatmeten Sauerstoff zu tun hat.
Warum wir atmen
Nudeln sind Kohlenhydratketten, die durch einige mechanische (kauen) und biochemische Schritte (kohlenhydratspaltende Enzyme in meinem Dünndarm) zu Glucosemolekülen werden. Also schlicht: Zucker. Dieser Zucker wird durch die Darmwand resorbiert und über das Blut zu den Zellen meines Körpers transportiert. Dort wird der Zucker von den Zellen aufgenommen und in vielen Teilschritten letztendlich in den Mitochondrien zu CO2 oxidiert. CO2 ist sozusagen das Abfallprodukt des Zuckerabbaus, und es wird effektiv durch ausatmen aus meinem Körper entsorgt.
Bei der Oxidation von Zucker zu CO2 wird Energie frei (daher werden die Mitochondrien, wo die Abbauschritte passieren, auch die Kraftwerke der Zelle genannt), und die möchten meine Zellen möglichst nicht ungenutzt lassen. Also muss die frei werdende Energie irgendwie konserviert werden. Das geschieht in Form von ATP, das der Energiewährung meines Körpers gleich kommt, und fast universell für verschiedenste zelluläre Prozesse verwendet wird.
Dieses ATP entsteht auf zwei Arten. Zum kleineren Teil direkt beim Abbau des Zuckers, und zum weitaus größeren Teil bei der sogenannten Zellatmung. Hier kommt jetzt die Cytochrom-C-Oxidase ins Spiel. Dieses Enzym, genauer dieser Enzymkomplex, pumpt zum einen Protonen, die bei der Oxidation von Zucker entstehen, über eine Membran, und reduziert zum anderen den Sauerstoff, den ich einatme, zu Wasser. Die gepumpten Protonen werden dann von einem anderen Proteinkomplex (ATP-Synthase) zur, wie der Name schon sagt, weiteren Synthese von ATP verwendet.
Somit wäre der Zusammenhang von Nudeln und Sauerstoff geklärt, und wir haben verstanden, warum wir überhaupt atmen: Um Sauerstoff der Cytochrom-C-Oxidase zu zu führen und um das beim Zuckerabbau entstehende CO2 los zu werden. Und somit wäre vor allem erklärt, für was Otto Heinrich Warburg 1931 den Nobelpreis bekam. Für die Entdeckung des zentralen Enzymkomplexes bei der Zellatmung, der Cytochrom-C-Oxidase.
Und nicht, wie in einem aktuellen Artikel in der SPIEGEL-Online Wissenschaftssektion behauptet, für die Hypothese fehlerhafte Mitochondrien seien für Krebs verantwortlich:
Die Idee war der schwedischen Akademie der Wissenschaften 1931 einen Nobelpreis wert: Otto Heinrich Warburg hatte die Hypothese aufgestellt, dass Tumoren entstehen, weil die Energiegewinnung von Zellen gestört sei.
Die Wahrheit über die Warburg-Hypothese
Man muss dazu folgendes wissen. Warburg hat 1924 postuliert, natürlich im Zusammenhang mit seinem Forschungsgebiet, dass eine Störung der Funktion der Mitochondrien in Krebszellen der Hauptgrund für das Wachstum von Tumoren sei. Von der DNA, deren Struktur erst in den 1950ern aufgeklärt wurde und von Mutationen als Auslöser von Krebs, also dem unkontrollierten Zellwachstum, wusste damals noch niemand etwas.
Warburg sei verziehen. Nicht jedoch dem Autor des aktuellen SPIEGEL-Artikels, für dessen Titel “Krebs Entstehung: Neue Indizien für Warburg-Hypothese” und für diesen einleitende Abschnitt:
Sind Mutationen oder gestörte Zellkraftwerke für Krebs verantwortlich? Nobelpreisträger Otto Warburg hat schon 1930 vermutet, dass die Energieproduktion entscheidend ist. Jetzt haben Biologen neue Indizien dafür gefunden, dass er tatsächlich Recht hatte
Milde ausgedrückt ist das irreführend. Eigentlich ist es Bullshit. Kein Wissenschaftler zweifelt ernsthaft an, dass Krebs durch Mutationen entsteht. Seien sie vererbt oder somatisch. Auch nicht die Autoren der im SPIEGEL-Artikel verlinkten Studie.
Das interessante an der Warburg Hypothese sind die Beobachtungen, auf der sie beruhen: In Tumoren läuft die Zellatmung nicht mehr richtig ab. Die Glucose wird nicht vollständig zu CO2 oxidiert, sondern endet vorzeitig als Milchsäure. Warburgs Idee war, dass dies auf eine gestörte Struktur der Mitochondrien zurückzuführen ist.
Die Autoren des Papers (das übrigens schon im August 2008 veröffentlicht wurde) bestätigen dies (erneut). Sie zeigen, dass in Tumoren in vivo die Zusammensetzung der inneren Mitochondrienmembran gestört ist, was zu einer Störung der Atmungskette und folglich zu den Phänomenen führt, die schon Warburg beobachtet hat.
Sie berichten, dass diese Abnormalitäten der inneren Mitochondrienmembran unter anderem von Mutationen verursacht werden können, die sonst Krebs auslösen:
In addition to inherited mutations, somatic mutations in tumor suppressor/oncogenes or aneuploidy could also produce mitochondrial defects, thus causing CL abnormalities.
CL steht für Cardiolipin, einem Bestandteil der inneren Mitochondrienmembran. Der Bezug zu Warburg dient dabei letztendlich der historischen Ehrenrettung des Biochemikers, und ist sicherlich kein Versuch einen alternativen Mechanismus zur Entstehung von Krebs zu etablieren, wie im SPIEGEL Artikel suggeriert wird.
Der Nobelpreisgewinner von 1931 heißt übrigens Otto Heinrich Warburg. Nicht Otto Warburg, wie in dem SPIEGEL-Online Artikel zwei mal fälschlicherweise behauptet wird. Otto Warburg war ein Botaniker.
Wer steht eigentlich für das Kürzel “hei” in der SPIEGEL-Online Wissenschaftsredaktion?
M. A. Kiebish, X. Han, H. Cheng, J. H. Chuang, T. N. Seyfried (2008). Cardiolipin and electron transport chain abnormalities in mouse brain tumor mitochondria: lipidomic evidence supporting the Warburg theory of cancer The Journal of Lipid Research, 49 (12), 2545-2556 DOI: 10.1194/jlr.M800319-JLR200
Kristallstruktur Cytochrom-C-Oxidase und Porträt Otto Heinrich Warburg aus Wikipedia.
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