Benjamin Button wird als Greis geboren und im Lauf des Films immer jünger. Es gibt tatsächlich eine Krankheit, die Kinder zu Greisen macht: Progerie. Bei betroffenen Patienten ist eine Mutation im LMNA Gen dafür verantwortlich, dass Struktur und Vorgänge im Zellkern gestört sind. Lohnt sich die Forschung an einer Krankheit, an der weltweit nur 50 Menschen erkrankt sind?
In der Nacht von Sonntag auf Montag sind die Oscar-Verleihungen. Der Film “Der Seltsame Fall des Benjamin Button” ist für 13 der Trophäen nominiert. Benjamin Button (Brad Pitt) hat eine kuriose Krankheit. Er wird im Körper eines alten Mannes geboren und wird mit zunehmender Anzahl an Jahren körperlich immer jünger. Tatsächlich ist in den ersten zwei Stunden auch immer ein sehr gut geschminkter oder digital gealterter Pitt zu sehen. Zumindest dafür hat der Film sicher einen Oscar verdient.
Natürlich gibt es die Krankheit, an der Benjamin Button leidet, nicht wirklich. Altern ist ein irreversibler Prozess, auch wenn uns die Kosmetikindustrie gerne das Gegenteil erzählt. Eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren spielt dabei eine Rolle: Die Struktur der Telomere, also der Enden der Chromosomen, die DNA-Reparaturmechanismen, die Ernährung, fehlerhafter Proteinabbau und Proteinaggregation, um nur die gängigsten zu nennen.
Es gibt jedoch eine Krankheit, die der von Benjamin Button in so weit ähnelt, dass Kinder bereit wie Greise aussehen, sich geistig jedoch völlig normal entwickeln. Es handelt sich um Progerie, auch Hutchinson-Gilford-Syndrom (HGPS) genannt. Die Krankheit ist äußerst selten, zur Zeit leben weltweit rund 50 Kinder mit Progerie. Hier ist ein rührendes Video der dreizehnjährigen Ashley eingebunden:
In über 80% der Fälle ist eine einzige, spontan auftretende Punktmutation in dem Gen LMNA, das für LaminA und LaminC kodiert, verantwortlich. Die Mutation führt nicht mal zu einem Aminosäureaustausch, aber zur vermehrten Expression einer verkürzten Variante von LaminA (LaminAΔ150).
Lamine sind wichtige Proteine für den Aufbau des Zellkerns und für die Organisation des Chromatins. Weiter spielen sie eine Rolle bei der Transkription von Genen, bei der DNA-Replikation und bei DNA-Reparaturvorgängen. Mutationen im LMNA Gen sind dann auch für verschiedene Krankheiten verantwortlich. Wie genau die Expression der verkürzten Variante des LaminA dazu führt, dass die betroffenen Kinder das Hutchinson-Gilford-Syndrom bekommen und schnell altern ist jedoch noch nicht komplett verstanden. Mikroskopische Aufnahmen zeigen einen deutlichen Defekt in der Morphologie des Zellkerns (siehe Abbildung rechts – Oben: Normaler Zellkern; unten: Zellkern eines HGPS Patienten. Quelle).
Was bringt die Progerie-Forschung?
Unabhängig vom akademischen Interesse am Hutchinson-Gilford-Syndrom ist es legitim zu fragen, ob es sich lohnt Gelder in die Forschung an einer Krankheit zu investieren, an der weltweit lediglich knapp 50 Menschen erkrankt sind. Ich meine: Ja – das Warum wird am Beispiel Progerie deutlich:
Die Splicevariante von LaminA wurde 2003 als Auslöser für Progerie identifiziert. Die Daten wurden in Nature publiziert. In den folgenden Jahren wurden die Auswirkungen der Mutationen in LMNA genau untersucht. Die wichtige Rolle der Lamine bei der Bewahrung der Struktur des Zellkerns und bei der Organisation des Chromatins wurde beschrieben. Weiter wurde erkannt, dass das Hutchinson-Gilford-Syndrom als Modell fürs Altern beim Menschen gelten kann. Das ist ein Prozess, der nicht mehr nur 50 Patienten betrifft, sondern Milliarden Menschen.
In einem aktuellen Paper wurden jetzt zum ersten Mal Indizien gefunden, dass ältere Zellen von gesunden Menschen in vitro ebenfalls sporadisch erhöhte Mengen der verkürzten LaminA-Variante exprimieren (siehe Abbildung unten), wenn auch in ungleich geringeren Mengen als bei Progeriepatienten. Auf molekularer Ebene könnten sich also Progerie und die reguläre Zellalterung ähneln und fehlerhaftes Splicing könnte ebenfalls mit dem Altern in Verbindung stehen. Die nächsten logischen Schritte sind jetzt Untersuchungen zur Genexpression und histologische Vergleichsstudien mit Zellen von alten und jungen Menschen, um zu zeigen, ob der beobachtete Effekt auch in vivo auftritt. Die Methoden zur Quantifizierung der Lamin-Varianten sind jetzt auf RNA und Proteinebene etabliert.
RNA-Expressionsdaten der laminAΔ150-Variante vor und nach mehrfacher Passage der Zellen (in vitro Alterung). Sowohl bei Zellen von HGPS Patienten als auch bei denen einer älteren, jedoch gesunden Kontrollgruppe konnten signifikante Unterschiede in der Menge des exprimierten laminAΔ150 beobachtet werden. Gesunde Kinder zeigen keine veränderte Expression. (Quelle)
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Maria Eriksson, W. Ted Brown, Leslie B. Gordon, Michael W. Glynn, Joel Singer, Laura Scott, Michael R. Erdos, Christiane M. Robbins, Tracy Y. Moses, Peter Berglund, Amalia Dutra, Evgenia Pak, Sandra Durkin, Antonei B. Csoka, Michael Boehnke, Thomas W. Glover, Francis S. Collins (2003). Recurrent de novo point mutations in lamin A cause Hutchinson-Gilford progeria syndrome Nature, 423 (6937), 293-298 DOI: 10.1038/nature01629
Sofia Rodriguez, Fabio Coppedè, Hanna Sagelius, Maria Eriksson (2009). Increased expression of the Hutchinson-Gilford progeria syndrome truncated lamin A transcript during cell aging European Journal of Human Genetics DOI: 10.1038/ejhg.2008.270
Paola Scaffidi, Leslie Gordon, Tom Misteli (2005). The Cell Nucleus and Aging: Tantalizing Clues and Hopeful Promises PLoS Biology, 3 (11) DOI: 10.1371/journal.pbio.0030395
T. Dechat, K. Pfleghaar, K. Sengupta, T. Shimi, D. K. Shumaker, L. Solimando, R. D. Goldman (2008). Nuclear lamins: major factors in the structural organization and function of the nucleus and chromatin Genes & Development, 22 (7), 832-853 DOI: 10.1101/gad.1652708
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