Scott S. Reuben hat jahrelang und im großen Stil wissenschaftliche Studien gefälscht und Daten frei erfunden. Teile seiner Arbeit wurden von der Pharmafirma Pfizer finanziell gefördert. Wundersamerweise bestätigen Reubens fabrizierte Ergebnisse die Wirksamkeit zweier Medikamente von Pfizer in der post-operativen Schmerztherapie. Warum wurde der Fälschungsskandal nicht schon längst aufgedeckt?
Vor rund zwei Wochen wurde bekannt, dass der Wissenschaftler Scott S. Reuben vom Baystate Medical Center in Springfield, Massachusetts reihenweise gefälschte Patientenstudien publiziert hat. Mindestens 21 Papers mit ihm als Autor basieren auf gefälschten oder komplett erfundenen Daten, möglicherweise mehr.
Der Skandal geht an der deutschen Presselandschaft allerdings weitgehend unbeachtet vorbei. Das Blog Stationäre Aufnahme und Marc Scheloske vom Blog Echolot haben, zusammen mit Christa Karas von der Wiener Zeitung über den Skandal bisher fast exklusiv berichtet.
Reubens Forschungsgebiet war die post-operative Schmerztherapie. Seine Ergebnisse sind weltweit anerkannt, und auch in Leitlinien zur Schmerztherapie deutscher Krankenhäuser verankert. Reuben vertritt die Ansicht, dass ein Mix verschiedener Schmerzmittelklassen die Heilung nach einer Operation beschleunigt und so für eine kürzere Verweildauer im Krankenhaus sorgt. Weiter habe die sogenannte multimodale Schmerztherapie weniger Nebenwirkungen.
Reubens Forschung wurde über Jahre von der Pharmafirma Pfizer finanziell gefördert. Pikanterweise zeigen die gefälschten Studien einen positiven Effekt der Nutzung zweier von Pfizer vermarktete Medikamente, Celebrex und Lyrica, in der multimodalen Schmerztherapie. Unregelmäßigkeiten bei einer internen Kontrolle an Reubens Arbeitsplatz führten letztendlich dazu, dass Reuben aufflog. Pfizer wusste aber möglicherweise schon vorher Bescheid, angeblich wurden Sprecher der Firma dazu angehalten, jegliche Referenz zu Reuben aus den Firmenpräsentationen zu streichen.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aufgrund gefälschter Daten von Reuben, von Pfizer vermarktete Medikamente weltweit in der post-operativen Schmerztherapie eingesetzt werden, ist es verwunderlich, dass Pfizer selbst mit keinem Wort auf den Skandal reagiert. Zumindest ist auf deren Website keine Pressemitteilung zu finden.
Wie konnte es dazu kommen, das Reuben über fast 15 Jahre Studien fälscht und nicht auffliegt? Warum schwiegen Mitarbeiter, Co-Autoren und direkte Vorgesetzte? Warum hat Pfizer keine Methoden, um solche Fälschungen zu entlarven – bevor Reubens Ergebnisse in Form von Kombinationstherapien weltweit vermarktet werden? Warum konnte der Reviewprozess der veröffentlichten Manuskripte diese nicht als Fälschungen erkennen?
Die Kollegen
Es ist für mich unerklärlich, wie direkte Mitarbeiter von Reuben so lange schweigen können. Es sind ja nicht nur ein paar Zahlen, die Reuben heimlich im stillen Kämmerlein manipuliert hat. Wenn man den Berichten glauben darf, hat er ganze Patientenstudien einfach erfunden und es muss doch direkten Kollegen und Vorgesetzten auffallen, dass die Patienten für die Studien gar nicht existierten. Von den rund 30 Co-Autoren auf den fraglichen Veröffentlichungen müssen doch auch welche für die Erhebung der Daten verantwortlich gewesen sein? Es ist mittlerweile die Regel, dass die individuellen Beiträge der Autoren zu einem Manuskript notiert und als Fußnote mitveröffentlicht werden. Egal ob mit oder ohne diese Informationen, es gilt zunächst zu klären, welcher Autor tatsächlich wofür bei den fraglichen Papers verantwortlich war, um eventuelle Komplizen zu entlarven und um unschuldige Autoren zu rehabilitieren.
Pfizer
Pressemitteilungen zu Folge hatten alle Studien von Reuben der letzten 15 Jahre robuste, positive Ergebnisse. Bei vergleichbaren Studien anderer Arbeitsgruppen ist dies nicht immer der Fall und hätte auffallen müssen. Es gibt Software, die benutzt werden kann, um gefälschte Daten zu identifizieren, unter anderem anhand statistischer Verfahren. Wieso wurden Reubens Studien von Pfizer nicht daraufhin untersucht, bevor weltweit Empfehlungen für Therapien mit den betreffenden Medikamenten gemacht werden? Eine aktive Beteiligung von Pfizer beim Betrug ist reine Spekulation. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Pfizer ein klares Interesse an postiven Studienergebnissen hatte, und Reuben ein Interesse daran, dass seine Forschung weiter von Pfizer gefördert wird. Unabhängig von finanziellen Aspekten macht es deutlich, wie schlecht offensichtlich das Qualitätsmanagement bei einer der weltweit größten Pharmafirmen ist.
Die Reviewer
Bevor ein Manuskript publiziert wird, wird es vom Journal, bei dem das Paper eingereicht wurde, an zwei bis vier Wissenschaftler geschickt, die einen ähnlichen fachlichen Hintergrund haben. Diese haben in der Regel vier bis sechs Wochen Zeit, das Manuskript zu lesen und es auf offensichtliche Mängel im Studienaufbau und auf eine kohärente Argumentation und logische Schlussfolgerungen zu prüfen. Es ist nicht die Aufgabe des Peer-Reviews Experimente zu wiederholen um die Richtigkeit der Originaldaten zu prüfen. Dies ist zeitlich und finanziell auch überhaupt nicht möglich. Weder die Reviewer trifft also eine Schuld, noch ist der Peer-Review-Prozess unnötig. Er ist schlicht ungeeignet, um Fälschungen der Originaldaten zuverlässig zu erkennen.
Wissenschaft basiert auf der ehrlichen Interpretation eigener Daten und auf dem Vertrauen in die Ehrlichkeit anderer Wissenschaftler. Reuben hat das Vertrauen missbraucht, und er ist ein Betrüger. Hat Reuben sich von Pfizer kaufen lassen? Ging es ihm lediglich darum, durch gefälschte positive Studienergebnisse die Anschlussfinanzierung für seine weiteren Projekte von Pfizer zu sichern? Oder hat Reuben gar als Pfizers Strohmann fungiert, um die Nutzung von Celebrex und Lyrica in der post-operativen Schmerztherapie wissenschaftlich zu rechtfertigen?
Eine Firmensprecherin von Pfizer erklärte im Scientific American, bei der Vergabe der Gelder an das Bay State Medical Center sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Über die Höhe der Zahlungen konnte sie jedoch zu diesem Zeitpunkt keine genauen Angaben machen.
Ich kann die Größe des Marktes für multimodale post-operative Schmerztherapien und deren Wichtigkeit für Pfizer nicht abschätzen. Wieviel wäre es Pfizer wohl wert gewesen, die Wirksamkeit von Celebrex und Lyrica für diese Therapien mit maßgeschneiderten wissenschaftlichen Daten zu unterfüttern? Es gibt weit mehr offene Fragen als Antworten. Ich hoffe, die Analyse des Falls klärt diese auf.
Bild von Scott S Reuben via freepublic.com
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