Aktuell sind in Deutschland fast 10 000 Infektionen mit Schweinegrippe dokumentiert. Ein Impfstoff wird inzwischen klinisch getestet. Er sollte rechtzeitig vor der saisonalen Grippewelle zur Verfügung stehen. Es häufen sich kritische Stimmen zum Grippeschnelltest und zu Impfungen gegen Schweinegrippe. Gerechtfertigt sind diese nicht unbedingt.
Rund 10 000 dokumentierte Fälle von Schweinegrippe in Deutschland. Die Zahl der Neuinfektionen steigt stetig, letzte Woche waren es rund 3000 mehr als in der Vorwoche. Im europäischen Vergleich gibt es nur in Großbritannien mehr gemeldete Fälle (siehe Abbildung 1). Die meisten Infizierten sind Heimkehrer aus dem Urlaub, rund 1700 dokumentierte Fälle sind autochton, also auf eine Ansteckung in Deutschland zurück zu führen.
Abbildung 1. Dokumentierte Infektionen mit Schweinegrippe in Europa. Stand 7. August 2009. Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control
Nachweismethoden der Schweinegrippe
Es gibt zwei Methoden um eine Infektion mit dem neuen Influenzavirus A/H1N1 festzustellen: Ein Schnelltest, der aktuell in der Kritik steht ob einer hohen falsch-negativ Rate, und ein PCR-basierter Test, der länger dauert, deutlich verlässlicher ist, und eine genaue Identifizierung des verursachenden Virenstamms erlaubt.
Eine akute Infektion ist nur innerhalb der ersten 48 Stunden mit antiviralen Medikamenten behandelbar.
Es ist nichts Neues, dass der Schnelltest relativ häufig eine Grippeinfektion nicht erkennt, Experten gehen von 30% falsch negativen Diagnosen aus. Trotzdem hat der Test Vorteile gegenüber der molekular-biologischen Methode über PCR: Eine akute Infektion mit Grippeviren ist nur innerhalb der ersten 48 Stunden mit aktuellen antiviralen Medikamenten behandelbar. Der Schnelltest dauert 30 Minuten, bei einem positiven Ergebnis kann also sofort reagiert und passende Medikamente verschrieben werden. Der PCR-basierte Test ist aufwendiger und dauert rund einen Tag. Der Patient weiss dann zwar zuverlässig, ob er infiziert ist, für eine adäquate Therapie ist es, wenn das Ergebnis feststeht, jedoch meist zu spät.
Der Vorschlag von Thomas Schulz, Leiter der Virologie der Medizinischen Hochschule Hanover, in Spiegel-Online auf den Schnelltest gänzlich zu verzichten und nur auf PCR-basierte Verfahren auszuweichen ist also nicht besonders hilfreich, wenn einer akuten Infektion angemessen begegnet werden soll.
Weiter scheint Schulz nicht über die Kassenleistungen bei den Grippetests informiert zu sein. Im Gegensatz zu seiner Aussage in Spiegel Online “Die Krankenkassen zahlen nur den Schnelltest, aber nicht den Gentest auf Schweinegrippe”, war und wird der Schnelltest nicht von den gesetzlichen Kassen übernommen. Der PCR-basierte Test hingegen schon. Wie mir ein befreundeter Leiter eines Diagnostiklabors bestätigte, wird von Kassenseite jedoch überlegt, den zuverlässigen PCR-Test ebenfalls nicht mehr zu erstatten.
Eine falsche Entscheidung, wie mir scheint. Die Schweinegrippe ist ein neue Form der Influenza. Ihre Epidemiologie wurde bisher beispielhaft ausführlich dokumentiert. Das sollte auch weiterhin so bleiben. Wenn die zuverlässigen Tests nicht mehr abgerechnet werden können ist zu erwarten, dass die Dunkelziffer der Schweinegrippefälle rapide ansteigt. Die Folge wäre eine unzureichende Datenlage, auf deren Basis immerhin Empfehlungen über Massenimpfungen getroffen werden und von der die Zahl der bevorrateten antiviralen Medikamente und deren verschreibungspflichtige Ausgabe abhängt.
Schweinegrippe-Impfstoff in klinischen Studien
Währenddessen wird unter Hochdruck an einem Impfstoff gegen die Schweinegrippe gearbeitet. Laut Spiegel Online hat der Bund über Verträge mit zwei Herstellern sichergestellt, dass die gesamte Bevölkerung im Notfall versorgt wird. Laut einem Artikel in der WELT Hamburg sucht das Bernhard-Nocht-Insitutut in Hamburg aktuell nach Probanden für den neuen Impfstoff für klinische Tests. Wer an den Impfstofftests teilnehmen möchte sollte sich laut WELT per E-mail an studien@bni-hamburg.de wenden.
Die Teilnahme an der Studie umfasst fünf vor Ort Termine in Hamburg, bei denen Blut abgenommen wird um die Immunantwort zu beurteilen und fünf Telefoninterviews. Es sei zu erwarten, dass die aktuelle Grippeimpfung genauso gut verträglich ist wie andere Grippeimpfungen der Vorjahre. Wer also jetzt schon immunisiert werden möchte und in Hamburg lebt, kann sich an das BNI wenden.
Die Tatsache, dass inzwischen klinische Tests durchgeführt werden deutet darauf hin, dass recht bald mit einer Zulassung der Impfstoffe zu rechnen ist.
Kritische Stimmen zur Schweinegrippe-Impfung
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des “Arznei-Telegramms” kritisiert die geplante Schweinegrippe-Impfung. “Was wir hier erleben, ist ein Großversuch an der deutschen Bevölkerung“. Tatsache ist: Grippeimpfstoffe werden seit über 60 Jahren eingesetzt mit umfangreicher Dokumentation der (seltenen) Nebenwirkungen. Tatsache ist auch, dass bei früheren Grippepandemien mit vielen Todesfällen adäquate Grippeimpfstoffe nur spät oder gar nicht zur Verfügung standen. Weiter planen die USA 160 Millionen Menschen zu impfen. Es ist also mit Sicherheit kein Großversuch spezifisch für die deutsche Bevölkerung. Zum Sicherheitsprozedere bei der Zulassung des aktuellen Grippeimpfstoffs gibt die WHO detaillierte Informationen.
Grippeimpfstoffe werden seit über 60 Jahren eingesetzt
In Spiegel-Online kommen weitere impfkritische Stimmen zu Wort. Matthias Gruhl, Abteilungsleiter Gesundheit in Bremen meint, ein Massen-impfprogramm sei nicht gerechtfertigt, da alle Anstrengungen auf der Annahme basierten, dass eine zweite, viel schlimmere Welle der Schweinegrippe auf uns zurollen würden. Anzeichen dafür gebe es derzeit aber nicht.
Herr Gruhl sollte sich vor weiteren Vorhersagen über Grippewellen mit der Epidemiologie von Influenza beschäftigen. Selbstverständlich ist zu erwarten, dass eine Grippewelle auf uns zurollt. Wie jedes Jahr wird es auch 2009/2010 von Dezember bis März zu einer deutlichen Erhöhung der Zahl der Infektionen kommen, wie der Praxisindex zu akuten Atemwegserkrankungen in Abbildung 2 zeigt. Zum Glück scheint eine Infektion mit dem Schweinegrippevirus bisher im Allgemeinen zu einem relativ milden Krankheitsverlauf zu führen.
Abbildung 2. Praxisindex akuter Atemwegserkrankungen als Maßstab für die saisonale Häufung der Influenza. Die gestrichelte Linie zeigt die obere Grenze der Hintergrundaktivität im Winterhalbjahr an. Quelle: Robert-Koch-Institut.
Ich habe den Eindruck, wie auch immer die Schweinegrippe epidemologisch verläuft, gewinnen weden vor Allem die Pharmafirmen, die Impfstoffe sowie antivirale Medikamente herstellen. Um die Kosten für die Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen und Medikamenten zu decken sollten die Krankenkassen vielleicht zu erst daran denken Leistungen wie zum Beispiel zur homöopathischen Behandlung zu streichen, bevor die Kosten auf die Versicherten durch steigende Beiträge abgewälzt werden.
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