Ab heute soll man sich mit dem Impfstoff Pandemrix beim Arzt gegen Schweinegrippe immunisieren lassen können. Die öffentliche Diskussion ist durch die Gründe gegen eine Impfung sprechen geprägt. Ich habe die Gründe gesammelt und schätze sie hier ein.
Trotz der Gefahr, meinen Stammlesern langsam aber sicher auf den Geist zu gehen mit den Artikeln zur Schweinegrippe, möchte ich hier zusammenfassen, warum ich denke, dass es sinnvoll ist, sich gegen die Neue Grippe H1N1 impfen zu lassen.
Ab heute wird bei Ärzten in Deutschland der Impfstoff Pandemrix von Glaxo-Smith-Kline angeboten, heißt es. Ich weiß nicht, wie viele Chargen des Impfstoffs tatsächlich schon ausgeliefert sind. Es gibt derzeit eine Impfempfehlung der STIKO für Beschäftigte im Gesundheitsdienst mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material, für Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines chronischen Grundleidens und für Schwangere und Frauen, die frisch ihr Kind bekommen haben.
Ich habe hier im Blog seit dem Auftreten der ersten Fälle von Schweinegrippe Ende April bis heute regelmäßig über den Verlauf der Pandemie berichtet. Eine Zeit lang wirkte es so, als sei ich der einzige im deutschsprachigen Netz, der die Impfung gegen die Grippe unterstützt. Das scheint sich langsam zu ändern, die Berichterstattung scheint allgemein wieder objektiver zu werden.
Die Artikel der letzten Wochen und die zahlreichen Kommentare, die eingegangen sind lassen rückschließen, dass es drei Gründe sind, die gegen die Impfung vorgebracht werden. Alle drei will ich hier kurz skizieren und auf die Argumente eingehen.
1. Der Impfstoff ist nicht ausreichend getestet und die Impfung hat zu hohe Nebenwirkungen
Die Länder haben den Impfstoff Pandemrix von Glaxo-Smith-Kline eingekauft. Pandemrix ist ein Spaltimpfstoff. Er besteht aus gereinigtem Hämagglutinin, ein Hüllenprotein des Virus, das den Kontakt zu Wirtszellen vermittelt, dem Adjuvans “AS03”, letztlich eine Öl-in-Wasser Emulsion, und einem Konservierungsmittel, um die Kontamination mit Bakterien zu verhindern: Thiomersal.
Pandemrix ist erst von der europäischen Arzneimittelagentur zugelassen worden, nachfolgend dann auch speziell für Deutschland. Der Impfstoff ist ein angepasster, zugelassener Pandemieimpfstoff. Das bedeutet: die Zulassung beruht zum großen Teil auf klinischen Studien zu einem Impfstoff, der an Stelle des Hämagglutinins des H1N1 Stamms jenes des Vogelgrippe H5N1 Virus enthielt. Sonst ist der Impfstoff identisch. Die Impfstoffe zur saisonalen Grippe werden seit Jahren genau nach diesem Muster angepasst.
Die Wirksamkeit des H5N1 Impfstoffs wurde an rund 1000 Probanden getestet. In die Zulassung des Schweinegrippeimpfstoffs flossen neben diesen Daten Ergebnisse einer klinischen Studie an 62 gesunden Erwachsenen mit dem angepassten H1N1 Impfstoff. Die Seroprotektions- und Serokonversionsrate lag in beiden Fällen bei weit über 90%.
Die Nebenwirkungen des pandemischen Musterimpfstoffs wurden an 5000 Probanden untersucht. Es wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Impfstoff beobachtet. Gerne noch einmal: Es wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Impfstoff beobachtet.
Über sehr seltene Nebenwirkungen kann die Studie mit 5000 Probanden keine Auskunft geben und es gibt noch keine vergleichbaren grossen klinischen Studien mit dem H1N1-Pandemrix. Das liegt einfach daran, dass der Impfstoff erst seit ein paar Wochen überhaupt existiert. Thiomersal in Impfstoffen stand in der Kritik. Die WHO kommt zu dem Ergebnis, dass von Thiomersal keine Gefahr für Kleinkinder, Heranwachsende oder Erwachsene ausgeht.
Abbildung 1: Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Kindern pro Dosis Pandemrix (H5N1) nach Gabe von zweimal einer halben Dosis im Abstand von drei Wochen (n=400). NA = not applicable. Quelle: RKI
Zwei Kritikpunkte bei der Untersuchung der Nebenwirkungen bleiben dennoch bestehen: Zum einen waren die 5000 Probanden der klinischen Studie mit dem Pandemieimpfstoff älter als 18 Jahre alt. Das machte Sinn, da Grippe normalerweise eher ältere Menschen betrifft. Schweinegrippe betrifft vornehmlich jüngere Menschen, daher gilt die Impfempfehlung auch für junge Menschen mit chronischen Krankheiten. Die Ergebnisse einer klinischen Studie zu den Nebenwirkungen des pandemischen Impfstoffs mit rund 400 Kindern als Probanden sind in Abbildung 1 gezeigt.
Zum anderen wird der Impfstoff auch Schwangeren empfohlen, obwohl klinische Studien des Pandemieimpfstoffs zu Nebenwirkungen speziell für Schwangere fehlen. Die Impfempfehlung der STIKO erklärt dazu, aus ethischen Gründen seien keine Studien zu den Nebenwirkungen durchgeführt und es seien auch keine geplant.
Trotzdem gilt: Die Impfung wirkt und die Risiken, die durch eine Grippeerkrankung entstehen sind höher als die zu erwartenden Nebenwirkungen des Impfstoffs. Die Frage ist, wie werden die Risiken der Neuen Grippe eingeschätzt?
2. Das pandemische Potential und die Risiken der Schweinegrippe werden überschätzt
Saisonale Influenza kostet jedes Jahr zehntausende Menschenleben. Dies und schlimmeres gilt es zu verhindern. Die Schweinegrippe verhält sich in mehreren Parametern anders als die saisonale Grippe. Zum einen stecken sich vermehrt junge Menschen (mit gutem Immunsystem) an. Auch die schweren Verläufen, also bei denen es zu einer Einlieferungen in Krankenhäuser kommt, werden eher bei jungen Menschen beobachtet. Weiter scheint die Schweinegrippe generell ansteckender zu sein als die saisonale Grippe. Zwei Parameter, die aufhorchen lassen.
Abbildung 2: Inzidenz hospitalisierter autochthoner Neue Influenza A (H1N1)-Fälle von pro 100.000 Einwohner in Deutschland nach Altersgruppe und Geschlecht, RKI (Stand: 18.09.2009)
Bisher scheint es, als würden akute Erkrankungen im Durchschnitt milder verlaufen als bei der saisonalen Grippe. Das ist beruhigend. Wie kann man also die Risiken abschätzen: Junge Patienten und schnelle Ausbreitung auf der einen Seite, ein milder Verlauf auf der anderen? Für mich überwiegen die Risiken. Auch wenn die Letalität nicht hoch erscheint, verlieren junge Menschen doch mehr Lebensjahre als alte Menschen, die mittelbar oder unmittelbar an der Grippe sterben. Auch bei allgemein milden Verläufen gibt es doch Risikogruppen mit chronischen Krankheiten, die durch die eine besonders ansteckende Grippe auch besonders gefährdet sind.
Weiter ist keinesfalls sicher, dass die Grippe auch weiterhin mild verläuft. Influenzaviren sind RNA-Viren. Das einsträngige Virengenom mutiert leicht, daher muss der Impfstoff für die saisonale Grippe auch regelmäßig an neue Stämme angepasst werden. Das H1N1 Virus mutiert selbstverständlich auch. Das kann zu einer Abschwächung des Virus führen, es kann aber auch dazu führen, dass die Grippeerkrankungen schwerer verlaufen.
Es ist außerdem bekannt, dass Grippevirenstämme untereinander Erbinformationen austauschen können, wenn sie den gleichen Wirtsorganismus haben. Es wäre also vorstellbar, dass ein rekombinantes Virus aus dem Schweinegrippevirus und dem Virus der saisonalen Grippe entsteht, welches negative Eigenschaften beider Grippevarianten vereint. In China grassieren zur Zeit beide Virentypen. Es ist eine Frage der Zeit und der Zahl der Infizierten, bis ein neues Virus entsteht.
3. Die Pharmaindustrie nutzt die Situation aus und bereichert sich
Wenn ich mich an die ersten Meldungen zur Schweinegrippe Ende April erinnere, fällt mir vor allem ein, dass die sich überschlagenden Meldungen stark von Spekulationen und Vermutungen geprägt war. Unterschiedliche Szenarien wurden skizziert, die von den mehr oder weniger verlässlichen Meldungen zu Infektionszahlen und Todeszahlen erst aus Mexico und den USA, dann auch aus Europa und anderen Teilen der Welt geprägt waren.
Der erste Eindruck war: Die Grippe verbreitet sich schnell, und es sterben viele, vor allem junge Menschen. Wenn ich ein ein Pharmaunternehmen leiten würde, dass Impfstoffe herstellt, hätte ich sicher auch schleunigst angefangen, ein Vakzin zu entwickeln.
Wenn ich Teil der Bundesregierung wäre und von einer weltweiten Grippepandemie höre, muss der erste Gedanke sein: Wie kann ich die Bevölkerung vor einer potentiellen Bedrohung schützen. Impfungen sind nachgewiesenermaßen die kostengünstigste, effektivste und nebenwirkungsärmste Art, eine ansteckende Krankheit zu bekämpfen. Es ist also ein logischer Schluss, eine große Anzahl Impfdosen zu kaufen, um den Schutz der Bevölkerung zu garantieren.
Man stelle sich vor, die Bundesregierung hätte im Mai gemeldet, es werden keine Impfstoffe bestellt, da man die Pharmaindustrie nicht unterstützen wolle und im Zuge der Haushaltskonsolidierung hier Millionen Euro gespart werden können. Undenkbar.
Es ist wohl wahr, dass die Pharmaindustrie eine starke Lobby besitzt, dass auch Mitglieder der STIKO Verbindungen zu Pharmaunternehmen haben und dass die Firmen ein Interesse daran haben, möglichst viel ihres Impfstoffs zu verkaufen. Wir leben in einem marktwirtschaftlichen System. Selbstverständlich wollen die Impfstoffhersteller möglichst viel zu einem möglichst guten Preis verkaufen. Das ist der Anreiz, der hinter der Impfstoffproduktion der Unternehmen steht.
Lobbyarbeit ist wohl eine der Nebenwirkungen des Systems in dem wir leben. Finanzielle Verbindungen der für Impfempfehlungen verantwortlichen Kommisssion (STIKO) zu Impfstoffeherstellern sind hingegen sicher nicht gut zu heißen und untergraben zurecht deren Autorität. Es macht die Empfehlungen der STIKO deshalb trotzdem nicht automatisch falsch, denn sie basieren auf wissenschaftlichen Daten.
Rückblickend fällt auf, dass im Lauf der letzten Monate die Angst vor der Grippepandemie von der Angst um die Nebenwirkungen der Impfung abgelöst wurde. Beides sind schlechte Berater. Eine Impfung schützt zuverlässig vor der Grippe. Dieser Schutz gilt für jeden einzelnen, der sich impfen lässt und er gilt für die Nächsten, die nicht angesteckt werden. Für die Kollegen, die Partner, die Kinder, die Freunde und die Unbekannten, die Türklinken, Haltegriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln, und Treppengeländer gemeinsam mit uns benutzen. Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto eher sind außerdem Menschen geschützt, die sich nicht impfen lassen können und desto eher wird die Pandemie eingedämmt.
Wir haben zum ersten Mal die technischen Möglichkeiten den Verlauf einer Pandemie genau zu dokumentieren und ihr direkt zu begegnen. Nutzen wir die Chancen.
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