Die Diskussionen um das Adjuvans Squalen im pandemischen Influenzaimpfstoff Pandemrix hat die Kommentarspalten in meinem Blog gefüllt. Hier ein Gastbeitrag von Moritz Tobiasch zu den molekularen Grundlagen der Immunantwort, über verschiedene Impfstoff-Arten und der Funktionsweise von Adjuvantien.
Moritz Tobiasch studiert Medizin an der TU München und macht derzeit sein Praktisches Jahr am New York-Presbyterian Hospital. Moritz will danach am Klinikum Rechts der Isar promovieren.
Dies ist der zweite Artikel mit wissenschaftlichen Grundlagen zum Immunsystem. Der erste vom Immunologen Dr. Felix Bohne ging über “Die Waffen des Abwehrsystems: Impfungen, Infektionen und die Immunantwort“.
Grundlagen zu Impfungen
Die Erfindung der Impfung liegt nun schon mindestens 200 Jahre zurück; manche sehen in ihr einen ähnlichen Meilenstein wie die Beherrschung des Feuers, die Erfindung des Rads oder die Digitalisierung. Man kann sich streiten, ob so viel Pathos einer Diskussion gut tut oder nicht. Es ist auf jeden Fall offensichtlich, dass die Impfung dazu geführt hat, dass gefährliche Krankheiten heute ihren Schrecken verloren haben. Manche Menschen – auch einige ansonsten ernst zu nehmenden Ärzte – gehen sogar so weit, die Infektionserkrankungen als unwichtig und “besiegt” abzutun. Das wäre aber grober Unfug: die häufigste Todesursache auf nicht-kardiologischen Intensivstationen ist immer noch die Sepsis, von den weltweiten epidemiologischen Herausforderungen Malaria, Hepatitis, Tuberkulose und HIV/AIDS ganz zu schweigen.
Das Prinzip der Impfung hat sich seit ihrer Erfindung nicht wesentlich verändert, das Verständnis dessen, was nach einer Impfung im Körper eigentlich vor sich geht, jedoch ganz fundamental. Nicht erst seit Beginn der AIDS-Epidemie steht das Immunsystem und seine wirklich ausgesprochen komplexe Regulation im Interesse der Forschung. Ins Schulbuch hat es natürlich nur der kleinste Teil geschafft – nämlich die Bildung hochspezifischer Antikörper durch B-Zellen. Zugegeben, um Impfungen zu verstehen, gehört das zum Grundwissen.
Das Prinzip der Impfung hat sich seit ihrer Erfindung nicht wesentlich verändert, das Verständnis dessen, was nach einer Impfung im Körper eigentlich vor sich geht, jedoch ganz fundamental.
Nun ist aber sogar dieser scheinbar so simple Prozess in Wirklichkeit etwas komplexer, als es das Schulbuch-Modell suggeriert. Es war nämlich lange Zeit nicht so recht klar, wie die eigentlichen Türsteher des menschlichen Körpers (gewebsständige Makrophagen, dendritische Zellen) mit den verschiedenen anderen Spielern im Immunsystem kommunizieren. Tatsache ist, dass B-Zellen nicht zu den zuerst aktivierten Zellen gehören. Antikörper tauchen immer erst einige Tage – manchmal erst Monate – nach den ersten Krankheitssymptomen auf. Besonders lange dauert es übrigens bei der viralen Hepatitis B und C. Viele der unspezifischen Anfangssymptome sind dabei nicht in erster Linie auf die Erreger zurückzuführen, sie sind vielmehr Folge der Aktivierung des Abwehrsystems. Beispiele hierfür sind Fieber und Entzündung. Beides weist auf die Anwesenheit unerwünschter Gäste hin.
Die Verspätung der Antikörperbildung ist übrigens genau der Grund, warum man impft: man möchte dem Erreger nicht gestatten, sich mindestens eine Woche ohne effektive Gegenwehr im menschlichen Körper breit zu machen, sondern einen Schritt voraus sein.
Botenstoffe und Signalkaskaden
Die Krankheitssymptome werden durch Botenstoffe des innaten Immunsystems (manchmal auch unspezifisches oder angeborenes Immunsystem genannt) hervorgerufen. Zu ihnen gehören Interferone (IFN), die Zellen gegen virale Infekte wappnen und dabei aber ordentliches allgemeines Unwohlsein auslösen. TNF-alpha und diverse Interleukine (IL) sind weitere Botenstoffe, die unter anderem auch Fieber auslösen. Je nach Abwehrlage, individueller Veranlagung und Erreger werden andere Botenstoffe ausgeschüttet. Die Balance und Regulation der Botenstoffe ist Gegenstand der Forschung und würde diesen Artikel hier sprengen. Ziel des innaten Immunsystem ist es, die Ausbreitung der Erreger zu stoppen und das adaptive Immunsystem in die Lage zu versetzen, passende Antikörper zu bilden.
Lustigerweise führen eben die Krankheits-Symptome genau zur gewünschten Verhaltensweise: man fühlt sich dreckig, geht ins Bett, verbraucht keine Kalorien für unnützes Herumgehüpfe. So stehen für die Abwehr mehr Ressourcen zur Verfügung – mehr Herzleistung, mehr Kalorien, mehr Lungenvolumen. Drum liegt man dann mit Herzklopfen und tief schnaufend im Bett.
Im Laufe der Jahre wurden bei den Türsteher-Zellen verschiedene Signalkaskaden und Signaltransduktionswege entdeckt, die in erster Linie der schnellen Aktivierung des innaten Immunsystems dienen. Diese Wege werden nach ihren Hauptrezeptorklassen in Toll-like Rezeptoren (TLR), Scavenger-Rezeptoren und C-Typ-Lectin-Rezeptoren an der Zelloberfläche sowie NOD- und RIG-I-ähnliche Rezeptoren im Zellinneren unterteilt. Die Einteilung in intra- und extrazellulär ist nicht ganz klar, weil gerade einige TLR erst in den frühen Endosomen der Fresszellen aktiv werden.
Die Meinung von Herrn Dr. Seefeldt zu Squalen beruht auf der Annahme, B-Zellen könnten direkt und durch einen körpereigenen Stoff aktiviert werden.
Die Rezeptoren aktivieren schließlich den Transkriptionsfaktor NFkappaB (nuclear factor kappa B), der seinerseits die Zellantwort auf Entzündungen reguliert. Zu diesen Zellantworten gehört die Produktion der oben genannten Botenstoffe. Außerdem werden auf den Immunzellen dann bestimmte Oberflächenproteine exprimiert, die als Andockstellen für die B- und T-Zellen dienen. Diese Andockstellen werden mittlerweile manchmal als “immunologische Synapse” bezeichnet und sind eines der spannendsten Forschungsgebiete der modernen Medizin, weil hier pharmakologisch eingegriffen werden kann. Der Name suggeriert zwar eine Nähe zu Nervenzellen, die immunologische Synapse hat aber mit der neurologischen nichts zu tun. Es ist eher eine Art Wortspiel für Immunologie-Geeks.
Aufmerksame Leser werden den Clou bemerkt haben: B-Zellen tun nichts, wenn sie nicht von anderen Zellen aktiviert werden. Die Meinung von Herrn Dr. Seefeldt zu Squalen beruht auf der Annahme, B-Zellen könnten direkt (und noch dazu durch einen körpereigenen Stoff) aktiviert werden. Die dazu vorhandene Literatur ist (bestenfalls) nicht eindeutig, nach gegenwärtigem Verständnis braucht man für eine echte B-Zell-Aktivierung mindestens dendritische Zellen und körperfremde Stoffe. Die physiologischen Aktivatoren von B- und T-Zellen sind Zellen des innaten Immunsystems und reagieren in erster Linie auf Proteine, mikrobiologische Zellwandbestandteile und DNA.
Die Funktion von Adjuvantien
Impft man nun einen Menschen mit attenuierten oder toten Erregern, handelt es sich um ein Gemisch aus diesen Stoffen. Daher sind diese konventionellen Impfstoffe immer ein Gemisch aus Strukturen, gegen die Antigene gebildet werden sollen (also meistens Oberflächenproteinen) und aus physiologischen Aktivatoren des Immunsystems. Dies ermöglicht eine ziemlich effektive Antikörperproduktion.
Seit einiger Zeit gibt es nun dank der Gentechnik eine Alternative zu toten (aber nicht immer besonders durchschlagenden) und attenuierten (und bei Immunsupprimierten gefährlichen) Impfstoffen. “Attenuiert” sind die Erreger meist nur für einen Gesunden, schwer kranke Menschen können auch von attenuierten Erregern krank werden.
Die Proteine, gegen die Antikörper gebildet werden sollen, werden gentechnisch hergestellt und dann aufgereinigt. Leider sind dann in der Impfdosis nur noch die Antigene enthalten, aber keine Aktivatoren des Immunsystems. Deswegen müssen diesen Impfstoffen Adjuvanzien zugegeben werden, die ihrerseits nur dazu dienen, das innate Immunsystem anzuwerfen und damit die B-Zellen zu aktivieren.
Ein Vorteil ist auch, dass man mit den gentechnisch hergestellten Impfstoffen immunsupprimierte Patienten einigermaßen gefahrlos impfen kann.
Natürlich schmerzt der Arm dann, weil diese Adjutanten eine unspezifische lokale Reaktion hervorrufen – nämlich eine Entzündung. Und einige wenige Menschen werden auch etwas heftiger auf die Impfung reagieren. Einige schwer kranke Menschen sind nach einer Impfung gestorben; dass die Toten auf das Adjuvans zurückzuführen sind, halte ich für weit hergeholt: mit attenuierten Viren hätte man sie gar nicht impfen dürfen, und Totimpfstoffe hätten bei einem sowieso brachliegenden Immunsystem keine Wirkung gehabt. Die Menschen waren einfach schwer krank, eine Grippe hätten sie mit hoher Sicherheit auch nicht überlebt. Wenn man da vorher wüsste, wie es ausgeht, wär man nachher nicht der Dumme.
Der wichtigste derzeit verwendete Stoff ist Aluminium, das auf einen intrazellulären Komplex, das Inflammasom, wirkt. Das aktivierte Inflammasom aktiviert seinerseits die Protease Caspase-1, die Pro-Interleukin 1beta (ein Botenstoff, der in erster Line auf andere weiße Blutkörperchen wirkt) zu Interleukin-1beta umwandelt. Andere Adjuvanzien, die derzeit in Erprobung sind, aktivieren den TLR-Signalweg (z.B. Lipopolysaccharide). Ganz ungefährlich ist das nicht: LPS sind Bestandteil der Zellwand gramnegativer Bakterien, die allein durch die TLR-Aktivierung das Immunsystem so aus dem Gleichgewicht bringen können, dass der Körper in einen (septischen) Schock rutscht. Auch hier gilt aber: wenn man die Stoffe vorsichtig einsetzt, passiert ziemlich sicher relativ wenig.
Bei allen anderen Adjuvantien sind weniger kritische Nebenwirkungen zu befürchten. Squalen ist ein körpereigener Stoff, die von Herrn Dr. Seefeldt angeführte Literatur führe ich mir gerade zu Gemüt, ich fürchte aber, dass er Cherry Picking betrieben hat und nur jene Studien aufführt, die seiner Meinung entsprechen.
Alles in allem also halb so wild. Im Grunde genommen ist der verstärkte Impfstoff sogar etwas sauberer als die attenuierten oder toten Erreger: man weiß ja nun wirklich, was drin ist. Ein Vorteil ist auch, dass man mit den gentechnisch hergestellten Impfstoffen immunsupprimierte Patienten einigermaßen gefahrlos impfen kann. Außerdem ist die Herstellung deutlich schneller möglich. Und drittens ist eine Impfung gegen die Geißeln der Menschheit wahrscheinlich ohnehin nur auf diesem Weg möglich: weder HIV noch Malaria werden durch attenuierte Erreger bekämpft werden können.
Eisenbarth, S., Colegio, O., O’Connor, W., Sutterwala, F., & Flavell, R. (2008). Crucial role for the Nalp3 inflammasome in the immunostimulatory properties of aluminium adjuvants Nature, 453 (7198), 1122-1126 DOI: 10.1038/nature06939
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