Die Debatte um die Schweinegrippe-Impfstoffe beschert mir viele neue Leser. Einige haben verständlicherweise Probleme der Diskussion in den Kommentaren komplett zu folgen und sind am Ende nicht schlauer als vorher. Hier ein paar generelle Tips, wie man auch als Laie wissenschaftlichen Diskussionen folgen und die Sachlage beurteilen kann.
Die Schweinegrippe beschäftigt viele. Die Suche nach den Nebenwirkungen der Impfung und nach den Inhaltsstoffen von Pandemrix und Celvapan lotst über Google deutlich mehr Besucher als sonst auf mein Blog. Die meisten lesen still mit, ich bekomme aber, und das freut mich sehr, in den letzten Tagen auch viele Kommentare und persönliche E-Mails von Menschen, die wahrscheinlich zum ersten Mal bei den ScienceBlogs lesen.
In vielen dieser Kommentaren kommt eine Verwirrung und Unsicherheit zum Ausdruck. Was soll man denn Glauben? Wer hat denn nun Recht? Was soll ich denn machen? Was kannst du mir empfehlen? Hier eine willkürliche Auswahl von ein paar Beispielen aus dem ersten Beitrag zum Brief von Dr. Seefeldt.
Ist das hier so eine Art Krieg? Schaut jedenfalls so aus. Was soll nun ein medizinischer Laie – wie ich einer bin – für eine Entscheidung treffen? Diese kann ja nur auf Glauben basieren.
Also, wenn jemand Laie ist, dan bin ich es. Das Für und Wieder in diesen Kommentaren habe ich mit Interesse gelesen, teilweise zwar nicht ganz verstanden
Liebe Leute, wer blickt denn hier noch durch?
Es fällt bei so vielen diferenzierten Expertenmeinungen schwer, eine objektive und sachliche Entscheidung zu fällen.
Sehr geehrte Damen und Heren Wissenschaftler,
vielen Dank für all Ihre Mühe. Dennoch bin ich nach dem Durchlesen des gesamten Blogs nicht einen Millimeter weiter
Inzwischen geht es mir aber so, wie einigen Kommentatoren vor mir auch: Ich bin zunehmend verwirrt.
Weiterhin habe ich die Frage gestellt, wem ich nun eigentlich glauben kann (und da bin ich sicher nicht allein). Außer einer Wiederholung von längst gelesenen Argumenten und zitierten Studien, hab ich nichts Neues gelesen.
Die Frage, die all diesen Kommentaren zu Grunde liegt ist: Wie kann ich selbst, auch als Laie, beurteilen welche Informationen in einer wissenschaftlichen Diskussion eher Sinn machen oder richtiger sind und welche nicht.
Generell gilt: Wissenschaftliches Diskutieren ist ein Austauschen und Bewerten von Argumenten. Es geht nicht um glauben wer eher Recht hat, es geht um vorurteilsfreies prüfen und um logisches Denken. Es ist ein hin und her. Argumente, die erst plausibel erscheinen, werden vollkommen wertlos, sobald sie mit anderen Argumenten widerlegt oder entkräftet sind.
Tips zum Einschätzen wissenschaftlicher Diskussionen
Hier ein paar Tips in loser Reihenfolge für den Umgang mit kontroversen wissenschaftlichen Diskussionen im Internet. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann gerne in den Kommentaren erweitert werden.
1. Je revolutionärer die These, desto unwahrscheinlicher ist sie.
Auch wenn es nur relativ wenige bloggende Wissenschaftler gibt, wir sind Hunderttausende! Wir sind weltweit vernetzt, wir sehen uns auf Tagungen, lesen unsere Publikationen und kooperieren an Projekten. Wenn jemand eine tolle Idee hat, werden dafür Forschungsgelder beantragt und die Ergebnisse werden in Fachmagazinen publiziert. Kein seriöser Wissenschaftler veröffentlicht seine revolutionären Ideen auf dubiosen Webseiten.
2. Je mehr mit wissenschaftlichen Meriten und akademischen Graden um sich geworfen wird, desto unglaubwürdiger sind die Aussagen.
Wenn wissenschaftlich diskutiert wird, dann geht es um Argumente. Wer die besseren hat, muss nicht versuchen mit Titeln zu blenden oder hochdekorierte Wissenschaftler als Kronzeugen ins Feld führen.
3. Unverständliches und mit Fremdwörtern gespicktes ist verdächtig.
Wer etwas zu sagen hat, kann das klar sturkturieren und sich verständlich ausdrücken. Häufig sind verschwurbelte Formulierungen und die exzessive Benutzung von realen oder vermeintlichen Fachbegriffen ein Versuch fehlende logische Stringenz zu überdecken. Manchmal ist es auch einfach Ausdruck des Grades der Wirrheit der Gedanken.
4. Das Design der Website ist ein Maß für Seriosität.
Das gilt mit Ausnahmefällen. Wer seine Theorien in Times New Roman in Formatierung fett oder mit GROSSBUCHSTABEN verbreitet, wer auf ein Webseitendesign der frühen 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgreift, wer ellenlange Texte ohne klare Struktur online stellt, schreibt überproportional häufig ziemlichen Blödsinn.
5. Wer auf Argumente nicht eingeht oder sich ständig wiederholt ist verdächtig.
Wenn jemand in Online-Diskussionen auf Fragen gar nicht antwortet oder immer nur die gleichen Versatzstücke schreibt hat möglicherweise keine passenden Antworten auf die Fragen oder ist nicht daran interessiert oder fähig weiter zu denken. Andersherum gilt: Wer immer die gleichen Fragen stellt und selbst die besten Argumente nicht akzeptiert oder darauf eingeht, ist entweder ignorant oder einfach dumm.
6. Peer-reviewte Literatur ist trumpf.
In wissenschaftlichen Diskussionen wir häufig auf veröffentlichte Forschungsartikel und Studien verwiesen. Manchmal ist es nicht ganz einfach als Laie (zu denen ich auf vielen Gebieten auch gehöre), diese Zitate zu bewerten. Häufig gilt: Aktueller ist besser und häufig zitiert ist besser.
Ein Beispiel: Squalen und das Golfkriegs-Syndrom
Um die Qualität eines verlinkten Papers zu beurteilen, kann man im biomedizinischen Bereich auf die Datenbank von Pubmed zurück greifen. Dort sind fast 20 Millionen wissenschaftliche Veröffentlichungen gespeichert. Zumindest die Zusammenfassung der Ergebnisse ist in den allermeisten Fällen frei zugänglich.
Ein aktuelles Beispiel für die Suche in Pubmed und für die Bewertung der wissenschaflichen Studien: Ich gebe auf der Seite “squalene gulf war” ein, weil ich mich dafür interessiere, ob den tatsächlich das Adjuvans das Golfkriegs-Syndrom auslöst.
Ich bekomme ganze zehn Publikationen als Ergebnis der Suche geliefert. Das ist sehr wenig und deutet darauf hin, dass es sich wissenschaftlich um kein interessantes Thema handelt. Zum Vergleich: Die Suche nach “Influenza mortality” gibt 3800 Treffer.
Aber zurück zu den 10 Publikationen zu Squalen und dem Golfkriegs-Syndrome. Ganz unten und an Stelle 6 sind die beiden Papers von Asa et al. aus den Jahren 2000 und 2002, die Dr. Jürgen Seefeldt in seinem Brandbrief zitiert.
An Stelle drei ist ein Paper, dass sogar im Volltext verfügbar ist Vaccines with the MF59 adjuvant do not stimulate antibody responses against squalene. MF59 ist ein Squalen-basiertes Adjuvans. In der Zusammenfassung der Ergebnisse steht:
In conclusion, antisqualene antibodies are not increased by immunization with vaccines with the MF59 adjuvant. These data extend the safety profile of the MF59 emulsion adjuvant.
Ganz oben in der Liste mit zehn Artikeln ist ein Paper von 2009 in Vaccine: Antibodies to squalene in US Navy Persian Gulf War veterans with chronic multisymptom illness. Durch anklicken des Links erschient der Abstract, also die Zusammenfassung des Papers. Im letzten Satz steht die Bewertung:
We found no association between squalene antibody status and chronic multisymptom illness. The etiology of Gulf War syndrome remains unknown, but should not include squalene antibody status.
Verstehen Sie?
Jürgen Seefeldt anscheinend noch nicht. Wir sind weiter in Kontakt, er hat den Ton etwas verschärft. Gestern unterstellte er mir Feindseligkeit und schrieb per E-Mail dies zurück:
Als Sie Ihre Karriere begannen, war ich schon Oberarzt!
Wie war Punkt zwei oben noch mal?
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