Ein Bakterium mit der Minimalausstattung an Genen, die zum eigenständigen Überleben notwendig sind wird zum Modellorganismus für die Systembiologie. Drei Veröffentlichungen in der neuen Ausgabe von Science beschreiben die molekularen Baupläne von Mycoplasma pneumoniae. Komplexe Regulationsmechnismen verhelfen dem Organismus mit nur rund 700 Genen zu einer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit.
Forschung in der Biologie arbeitet mit Modellorganismen. Seien es Bakterien, Pilze, Pflanzen oder Tiere – für spezifische biologische Fragestellungen gibt es spezifische biologische Systeme, die in Laboren einfach gezüchtet und untersucht werden können. Für die molekularbiologischen Grundlagen gibt es E. coli. Für die Untersuchung des Zellzyklus Hefe. Die Fruchtfliege Drosophila wird unter anderem zur Untersuchung entwicklungsbiologischer Fragestellungen gezüchtet, Labormäuse sind zum Beispiel als Krankheitsmodell geeignet, da sie relativ nahe mit dem Menschen verwand sind. Es gilt immer: So komplex wie nötig und so einfach wie möglich.
Diese Woche wird ein neuer Modellorganismus etabliert. Das Forschungsgebiet heißt Systembiologie, der Organismus ist ein Bakterium: Mycoplasma pneumoniae. In drei Publikationen in der aktuellen Ausgabe von Science* (die jetzt langsam mal online sein könnte) stellen die Forschungsgruppen von Anne-Claude Gavin und Peer Bork am EMBL in Heidelberg und von Luis Serrano am CRG in Barcelona ihre Ergebnisse vor.
Mycoplasma pneumoniae wird der neue Modellorganismus für die Systembiologie
Systembiologie ist eine relativ junge Disziplin in den Biowissenschaften. Die Idee ist, komplexe biologische Systeme in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Im Idealfall also ganze Organismen. Systembiologen arbeiten mit großen, quantitativen Datensätzen und mit experimentellen Ergebnissen genauso wie mit mathematischen Modellen.
Mycoplasma pneumoniae ist ein idealer Modellorganismus für diese Forschungsdisziplin. Es ist eines der kleinsten Lebewesen, die im Labor autark gezüchtet werden können. Das Bakterium hat nicht mehr als 700 Gene, wohl fast die Minimalausstattung, die zum Leben notwendig sind. Zum Vergleich: E. coli hat schon mehr als 4000, Hefe über 6000 und beim Menschen sind wir momentan bei rund 22000 proteinkodierenden DNA-Abschnitten.
Die drei Papers in Science beschäftigen sich auf unterschiedlichen molekularen Ebenen mit Mycoplasma pneumoniae, es geht um die Fragen, wie man einen gesamten Organismus systemisch erfassen und untersuchen kann und was Mycoplasma so besonders macht. Es stellte sich heraus: Trotz der geringen Anzahl an Genen ist die Regulation des Organismus erstaunlich komplex.
Komplexe molekulare Regulationsmechanismen trotz oder gerade wegen einer minimalen Genomgröße
Die komplette DNA des Organismus wurde sequenziert und transkriptionelle Einheiten wurden definiert. Weiter wurde die transkriptionale Regulation von Mycoplasma untersucht. Also: Welche lokalen Eigenschaften der DNA sind dafür verantwortlich, dass ein Gen niedrig oder hoch exprimiert wird.
Das zweite Paper beschäftigt sich mit dem Aufbau von Proteinkomplexen in Mycoplasma. Die Autoren konnten zeigen, dass trotz der geringen Anzahl von Proteinen eine erstaunliche Vielfalt an Proteinkomplexen exisitert. Viele Proteine haben sogenannte „moonlighting functions”. Sie wurden also auch mit Partnern assoziiert gefunden, die mit der primären Funktion des Proteins nicht direkt zu tun haben.
Neben der DNA/RNA Ebene und der Proteinebene wurde der Metabolismus von Mycoplasma pneumoniae untersucht. Zahllose Experimente mit unterschiedlichen Wachstumsmedien wurden ausgewertet um eine sogenannte metabolische Landkarte zu erstellen, Metabolite wurden experimentell bestätigt und wichtige Stoffwechselwege quantitativ untersucht.
Die drei Publikationen zusammen zeichnen ein erstes, wenn auch noch verschwommenes Abbild eines kompletten Organismus mit Zahlen und Daten zur DNA, zur Genexpression, zur Organisation des Proteoms und der metabolischen Regulation. Es ist das Grundgerüst, auf dem weitere Studien aufbauen können, alle mit dem Ziel zu verstehen, wie eigentlich Leben auf molekularer Ebene funktioniert.
*Full disclosure: Ich bin einer der Autoren auf zwei der drei Papers. Bild oben: Takuji Yamada/ EMBL
Guell, M., van Noort, V., Yus, E., Chen, W., Leigh-Bell, J., Michalodimitrakis, K., Yamada, T., Arumugam, M., Doerks, T., Kuhner, S., Rode, M., Suyama, M., Schmidt, S., Gavin, A., Bork, P., & Serrano, L. (2009). Transcriptome Complexity in a Genome-Reduced Bacterium Science, 326 (5957), 1268-1271 DOI: 10.1126/science.1176951
Yus, E., Maier, T., Michalodimitrakis, K., van Noort, V., Yamada, T., Chen, W., Wodke, J., Guell, M., Martinez, S., Bourgeois, R., Kuhner, S., Raineri, E., Letunic, I., Kalinina, O., Rode, M., Herrmann, R., Gutierrez-Gallego, R., Russell, R., Gavin, A., Bork, P., & Serrano, L. (2009). Impact of Genome Reduction on Bacterial Metabolism and Its Regulation Science, 326 (5957), 1263-1268 DOI: 10.1126/science.1177263
Kuhner, S., van Noort, V., Betts, M., Leo-Macias, A., Batisse, C., Rode, M., Yamada, T., Maier, T., Bader, S., Beltran-Alvarez, P., Castano-Diez, D., Chen, W., Devos, D., Guell, M., Norambuena, T., Racke, I., Rybin, V., Schmidt, A., Yus, E., Aebersold, R., Herrmann, R., Bottcher, B., Frangakis, A., Russell, R., Serrano, L., Bork, P., & Gavin, A. (2009). Proteome Organization in a Genome-Reduced Bacterium Science, 326 (5957), 1235-1240 DOI: 10.1126/science.1176343
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