Die erste Grippewelle ist überstanden. Eine Bilanz mit aktuellen Zahlen aus Deutschland, den USA und Schweden. Eine Antwort auf die Frage was gefährlicher ist: Die Impfung oder die Grippe und einigen offenen Fragen zur Neuen Grippe.
Die Zahl der neuen Schweinegrippefälle in Deutschland geht seit drei Wochen zurück (Abbildung unten), die erste Welle ist also überstanden. Zeit um zurück zu blicken, und den bisherigen Verlauf der Grippeerkrankungen und der Impfungen zu untersuchen.
In Deutschland sind über 200 000 Fälle von Schweinegrippe gemeldet worden Diese Zahl ist mit Sicherheit zu tief angesetzt, da in die Statistik nur laborbestätigte Fälle eingehen. 119 Menschen sind laut der Statistik des RKI an der Grippe bislang gestorben.
In den USA ist das ganze eine Dimension größer. Das Center for disease control in den USA meldet neue Zahlen für den Zeitraum von April bis Mitte November, die auf Schätzungen und Hochrechnungen basieren und der systematischen Unterschätzung durch ausschließlicher Berücksichtigung laborbestätigter Fälle Rechnung tragen.
Bis zum 14. November waren demnach in den USA rund 50 Millionen Menschen mit der Neuen Grippe infiziert. Über 200 000 Fälle mussten stationär behandelt werden und es kam zu fast 10 000 Todesfällen. Die angegebenen Zahlen sind Mittelwerte. Genauere Daten und Informationen zur Methodik der Erhebung hier. und genauer hier [.pdf].
Die Daten aus den USA zeigen, was auch in Deutschland beobachtet wird: Vor allem junge Menschen sind von der Grippe betroffen. Obwohl also vermeintlich weniger Menschen an der Neuen Grippe sterben als an der saisonalen, muss bedacht werden – so hart das klingt – dass ein toter Jugendlicher im Vergleich mehr potentiell verbleibende Lebensjahre verliert als ein toter Rentner. Es reicht also nicht einfach aus, absolute Todeszahlen zu vergleichen um eine Aussage über die Gefährlichkeit der Neuen Grippe zu machen.
Ist die Impfempfehlung gerechtfertigt?
In einem der letzten Einträge habe ich berichtet, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) die Impfempfehlung für Deutschland trotz rückläufiger Grippefälle ausgeweitet hat. Ist diese Maßnahme gerechtfertigt?
Es liegen aktuelle Zahlen aus Schweden zur Impfung vor. Dort wurden rund 2 Millionen Dosen Pandemrix verimpft, also der Impfstoff, der auch in Deutschland verwendet wird. Darunter auch rund 30 000 Schwangere. Einige der eingereichten Berichte über Nebenwirkungen beschreiben, dass im Vergleich zur Impfung gegen die saisonale Grippe bei Pandemrix vermehrt Schmerzen an der Einstichstelle und grippeähnliche Symptome auftreten. Das ist selbstverständlich subjektiv, sollte aber trotzdem von GSK untersucht werden. Es geht schließlich darum, möglichst nebenwirkungsfreie Impfstoffe anzubieten.
Abbildung: Zahlen der neugemeldeten Schweinegrippeinfektionen pro Woche in Deutschland.
Laut Europäischer Arzneimittelagentur entsprechen in Schweden jedoch die Anzahl, die Art und die Schwere der Nebenwirkungen der Impfung den Angaben in der Packungsbeilage, also den Ergebnissen klinischer Studien. Detaillierter wird in dem oben verlinkten Dokument berichtet, dass es bislang zu insgesamt 31 schweren allergischen Reaktionen kam, darunter waren zwei Patienten, die einen anaphylaktischen Schock erlitten, beide haben überlebt.
Insgesamt sind in Schweden acht Todesfälle im Zusammenhang mit der Impfung dokumentiert. Die Zahl erscheint hoch, muss jedoch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass in Schweden, wie auch hierzulande, zuerst Risikopatienten geimpft wurden. Alle acht Schweden, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gestorben sind hatten chronische Vorerkrankungen:
These patients had previously known chronic diseases such as cardiovascular disease, diabetes, renal failure, dystrophic muscle disease and senile dementia. All patients were on chronic medical treatment. At least three of the patients were aged older than 74 years.
Laut der vier vorliegenden Obduktionsberichten, wird bei keinem der Toten von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Tod ausgegangen.
Auf der einen Seite also zwei Millionen geimpfte Schweden, 31 schwerere allergische Reaktionen und acht Tote, von denen bislang einzig die zeitliche Nähe des Todeszeitpunktes auf einen Zusammenhang mit Impfung hindeutet. Auf der anderen Seite 200 000 bestätigte Infizierte in Deutschland mit 119 Todesfällen. 18 davon ohne Vorerkrankungen.
Die Zahlen sollen eins deutlich machen: Es gibt keine Debatte darüber, ob die Grippe oder die Impfung dagegen gefährlicher ist.
Interessant werden diese Rechnungen, wenn man auf die gesamte Bevölkerung hochrechnet. Also: Wie vielen Menschen würde durch eine hohe Durchimpfungsrate das Leben gerettet? Und wie viele Menschen würden bei 50 Millionen verimpften Dosen im Zusammenhang mit der Impfung sterben?
Über die Antworten auf diese Fragen kann man hervorragend streiten und kommt vorerst zu keiner Lösung, da es einfach noch zu viele Unbekannte in der Gleichung gibt.
Sind die Zahlen zu den Grippetodesfällen systematisch zu hoch, wie das Arzneitelegramm und Stationäre Aufnahme schreiben, oder zu niedrig, wie das CDC oben vorrechnet? Sind Personen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung sterben tatsächlich Impfopfer, wie die Impfgegner und -kritiker schreien, oder fehlt bislang einfach jeder Nachweis für einen ursächlichen Zusammenhang und wie muss das “Grundrauschen” berücksichtigt werden?
Sind Aufwand und Kosten der Impfkampagne ökonomisch gerechtfertigt? Oder kann man gerettete Leben nicht mit den Kosten für die Krankenkassen aufrechnen? Wie kann bei diesen Rechnungen der Schutz Dritter durch die eigene Impfung berücksichtigt werden?
Und vielleicht noch wichtiger: Wie geht die Grippesaison weiter? Treten Mutationen auf, die den Erreger gefährlicher werden lassen? Kommt eine zweite Welle der Schweinegrippe? Wie stark und wann kommt die saisonale Grippewelle? Keiner weiß es.
Abbildungen von der Arbeitsgemeinschaft Influenza des RKI.
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