Der Mensch ist durch technischen Fortschritt zur erfolgreichsten Säugetierart geworden. Bringt diese Entwicklung nicht auch evolutive Nachteile mit sich? Sind die Kosten unserer technischen Überlegenheit eine schleichende Abnahme der Fitness? Und helfen Eingriffe auf genetischer Ebene? Eine Provokation.
Evolution ist etwas, das sich in sehr langen Zeiträumen abspielt. Mutationen in der DNA treten mehr oder weniger zufällig auf, das führt manchmal zu Veränderungen der Aminosäuresequenz von Proteinen oder zur Veränderung der Regulation der Expression derselben. Manchmal werden so Gene auch verkürzt oder die Sequenz ändert sich drastisch durch das Einfügen oder das Löschen einzelner Basen in die DNA Sequenz. Wenn diese genetischen Veränderungen einen Selektionsvorteil in einer Population darstellen, kann sich das entsprechende Allel über Generationen in einer Population manifestieren. Wenn die Veränderungen einen Nachteil für das Individuum ergeben wird es normalerweise, ebenfalls durch Selektion, nicht weiter vererbt. Manchmal hat eine Mutation – wenn kein Selektionsdruck besteht – auch keinerlei direkte Auswirkungen auf die Fitness. Solche Veränderungen können sich durch genetischen Drift ebenfalls in einer Population manifestieren.
Es ist klar, dass alle Lebewesen, eingeschlossen der Mensch, weiterhin evolvieren (das hat Nils vom evolvimus-Blog heute schon dargelegt). In wie weit kann der Mensch den Gang seiner Evolution aber beeinflussen? Und machen wir das durch technische Entwicklung und dadurch veränderte Selektionsdrücke nicht schon längst?
Gute Augen halfen unseren Vorfahren Gefahren schon von weitem zu erkennen und die gifitgen von den essbaren Beeren zu unterscheiden. Wer nicht gut sah hatte einen Selektionsnachteil. Heute gibt es Brillen, Kontaktlinsen und Augenlaseroperationen. Ein stabiles und regelmässiges Gebiss hilft bei der Nahrungsaufnahme ungemein, wer nicht richtig kauen konnte und durch besonderen Zahnstand möglicherweise Nachteile bei der Partnerwahl hatte, wurde – statistisch gesehen – wohl relativ schnell aus dem gemeinsamen Genpool ausgeschlossen. Heute wird mit Zahnspangen und Kieferchirurgie meist noch vor erreichen des reproduktionsfähigen Alters korrigiert. Noch direkter ist der beispielsweise die Beckenbreite von Frauen an die Vererbung gekoppelt: Wer zu schmal zum Gebären gebaut war, hat die Geburt des Nachwuchses, ebenso wie dieser selbst, wohl nicht immer überlebt. Heute wird problemlos per Kaiserschnitt geboren und ein schmales Becken ist das Schönheitsideal in unserer Gesellschaft.
Entwickeln wir uns also zu einer Art, die ohne technische Hilfsmittel relativ schnell vom Aussterben bedroht wäre? Die Frage soll nicht falsch verstanden werden. Erst durch die Erfindung technischer Hilfsmittel sind wir zu der aktuell wohl erfolgreichsten Säugetierart geworden. Das Wissen um den Umgang mit Feuer und die Erfindung von Kleidung hat völlig neue Lebensräume, also Nischen erst eröffnet. Die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht ist die Grundlage der Ernährung von uns allen, und der medizinische Fortschritt sichert uns ein langes Überleben und reduziert die Säuglingssterblichkeit drastisch.
Trotzdem ist die Frage sicher diskussionswürdig: Sind die Kosten unserer technischen Überlegenheit eine schleichende Abnahme der Fitness? Letztendlich doktern wir durch Brillen und Zahnspangen an den Symptomen herum, nicht jedoch an den genetischen Ursachen. Ist der Königsweg daher nicht – sofern verstanden – mittelfristig Eingriffe auf genetischer Ebene zu erlauben und so die tatsächliche Fitness zu erhöhen?
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