i-2fa91b1de592a450e7bf206bf502d068-elseries-thumb-496x149.jpg

Wenn sich neue Proteine falsch falten, kann das im schlimmsten Fall zu Krankheiten führen. Molekulare Chaperone helfen in der Zelle problematischen Proteinen dabei, die richtige Struktur einzunehmen. Das Chaperon GroEL ist eine beeindruckende molekulare Maschine in der Zelle mit der Aufgabe unfertige Substratproteine einzukapseln und gefaltet wieder auszuspucken.


Im letzten Artikel habe ich erklärt, was Proteine sind – nichts als Aminosäureketten – und wie diese Ketten sich in die korrekte drei-dimensionale Struktur falten müssen, um zu funktionalen Proteinen zu werden. Wenn sich Proteine falsch falten bedeutet das für die Zelle im einfachsten Fall nur ein Haufen rausgeschmissene Energie bei der Synthese und dem dann notwendigen Abbaus des defekten Proteins. Im schlimmsten Fall können solche falsch gefalteten Protein ganze Zellen lahmlegen und für Krankheiten mitverantwortlich sein. Alzheimer, Huntington und Prionenerkrankungen wie BSE oder Scrapie sind die prominentesten Beispiele.

Zellen haben also ein großes Interesse daran, dass der Prozess der Proteinfaltung problemlos abläuft, und viele unterschiedliche Proteine schaffen es auch, sich spontan richtig zu falten. Manche Proteine sind bei der Faltung aber notorisch problematisch, sie schaffen es nicht alleine die richtige Struktur anzunehmen. Für diese gibt es Helferproteine in der Zelle, sogenannte molekulare Chaperone. Anstandsdamen für junge Proteine.

Chaperone interagieren mit unvollständig oder falsch gefalteten Proteinen und schützen diese entweder davor mit anderen Proteinen zu interagieren und zu aggregieren, oder helfen aktiv und passiv beim Faltungsprozess mit. Es gibt verschiedene Klassen molekularer Chaperone, die sich in dem zu Grunde liegenden Funktionsmechanismus grundsätzlich unterscheiden. Hier soll es um eine bestimmtes, mechanistisch recht außergewöhnliches Chaperon gehen; es heißt GroEL.

Dieses Chaperon ist sehr weit verbreitet, es kommt in fast allen bislang sequenzierten Bakterien und Archäen vor, eukaryontische Zellen haben nah verwandte Chaperone sowohl in den Mitochondrien als auch im Zytoplasma. GroEL besteht aus 14 identischen Untereinheiten, zwei siebener-Ringe lagern sich Rücken an Rücken zusammen. Jeder Ring aus sieben Unterheinheiten bildet einen Hohlraum, in dem die Substratproteine, also die Proteine mit Faltungsproblemen, hineinpassen. Die GroEL-Ringe interagieren mit GroES, einem anderen Proteinkomplex, auch aus sieben gleichen Untereinheiten. GroES ist eine Art Deckel für den GroEL Hohlraum. Die Substratproteine können so also regelrecht eingekapselt und von allen anderen störenden Einflüssen in der Zelle isoliert werden (Abbildung 1).

i-19291d56b9b631a5eb4d3b0e8ec42a4b-GroELEScomplex.jpg

Abbildung 1: GroEL/GroES Chaperonin Komplex. Rot und grün sind jeweils ein Ring aus sieben GroEL Untereinheiten. Der GroES-Deckel ist orange

Der Faltungsprozess mit GroEL funktioniert folgendermaßen: GroEL bindet ein Substratprotein, dieses gelangt in den Hohlraum eines der siebener-Ringe, dann bindet das Co-Chaperone GroES, GroEL verändert seine Struktur und ermöglicht so die Faltung des jetzt eingekapselten Substratproteins. Sobald auf der Gegenseite, an den anderen siebener-Ring, ein neues Substrat und ein weiteres GroES binden, dissoziiert das erste GroES, der Deckel geht also auf, und das fertig gefaltete Sustratprotein wird ins Zytoplasma entlassen und GroEL ist bereit für einen neuen Faltungszyklus. Bei den für diesen Prozess notwendigen Änderungen der GroEL Struktur wird Energie in Form von ATP verbraucht.

i-73ec5a11f6300dccb4bbd663acdde651-tip.gif

Abbildung 2: GroEL verändert abhängig von ATP seine Struktur. Im Inneren des Chaperons wechseln exponierte hydrophobe Aminosäuren (bei der Bindung der Substratprotein) mit hydrophilen Aminosäuren (bei der Faltung) ab.

Dieser Prozess entspringt nicht der Phantasie von ein paar Wissenschaftlern, sondern ist das Ergebnis jahrelanger Forschung mit GroEL Mutanten, die jeweils in einem der oben beschriebenen Zwischenschritte defekt sind und die elektronenmikroskopisch Untersucht wurden. Das Ergebnis sind dann zum Beispiel solche Videos vom GroEL-GroES Rekationszyklus, wie das hier eingebundene in Abbildung 2.

Das Wissen über den Mechanismus von GroEL hat auch bei der Identifizierung der Substrate geholfen. Man weiß, dass GroEL mit GroES und eingekapseltem Protein stabile Komplexe bildet, solange keine neue Energie in Form von ATP zur Verfügung steht. Diese stabilen GroEL-GroES-Substratkomplexe wurden aus E. coli Zellen isoliert und die eingekapselten Proteine wurden identifiziert. Es sind 250 verschiedene Proteine (von insgesamt rund 4000 in E. coli), die unterschiedlich stark auf dieses molekulare Chaperon für die korrekte Faltung angewiesen sind.

Was das besondere an diesen Substraten ist? Dazu mehr im nächsten Artikel.


Abbildungen von GroEL/GroES von der Website von Helen Saibil am Birbeck College in London

Teil 1: Das Problem der Proteinfaltung

Kommentare (17)

  1. #1 Chris
    27. Juli 2010

    Und ich dachte bei der Überschrift im RSS erst, Du kommentierst Eva Hermann und die Loveparade…

  2. #2 Tobias
    27. Juli 2010

    Chris, hier sind doch die ScienceBlogs, oder?

  3. #3 Ender
    27. Juli 2010

    Interessantes Thema, ich bin gespannt auf weitere Artikel.

    Haben Chaperones wiederum Chaperones, die ihnen bei der Faltung zu Siebenringen helfen?

  4. #4 Tobias
    27. Juli 2010

    Ender,

    Ich weiss es nicht. Bei dem verlinkten Paper mit den 250 GroEL Substraten war es technisch nicht möglich, das festzustellen. Man sollte jedoch davon ausgehen können, dass sich die Chaperone selbst relativ stabil falten, da sie ja gerade bei Stresssituationen wie Hitzeschock gebraucht werden. Die Siebener-Ringe formen sich übrigens spontan.

  5. #5 Ender
    27. Juli 2010

    Die Siebener-Ringe formen sich übrigens spontan.

    Das finde ich besonders interessant, also dass es Siebenringe werden. Zuerste war mir unklar, wie aus langen Ketten Ringe werden sollen, aber das ist sicher als grobe Beschreibung der äußeren Form zu sehen, so wie auf den Bildern gezeigt. Es sind, wenn ich den Artikel richtig verstehe, zwei Doppel-Siebenringe, die aus 14 gleichen Teilen bestehen. Man könnte also jede der “Säulen” eines Doppelrings herausnehmen, weil sie nicht über eine Peptidbindung verbunden sind (wenngleich über schwächere Bindungen).
    Eine wirklich faszinierende Maschinerie!

  6. #6 Tobias
    27. Juli 2010

    GroEL (in Bakterien) besteht tatsächlich aus 14 gleichen Untereinheiten, einem rund 60 kDa schweren Protein. Weder die Untereinheiten der Siebenerringe sind durch Peptidbindungen verknüpft, noch die beiden Siebenerringe miteinander, beides sind schwächere Bindungen, wenngleich es einfacher ist, GroEL in zwei Siebenerringe zu zerlegen als in die einzelnen 14 Untereinheiten.

    Im Cytoplasma höherer Eukaryonten (also auch in menschlichen Zellen) heisst das Ortholog zu GroEL CCT oder TriC. Dieses besteht aus acht unterschiedlichen Untereinheiten, und der GroES “Deckel” ist schon mit eingebaut.

  7. #7 Dennis G.
    28. Juli 2010

    Ich meine in einer Vorlesung gehört zu haben, dass die Chaperone die eingekapselten, ungefalteten Proteine von der Außenwelt abschotten und die Faltung erleichtern sollen (im Chaperone herrscht ein anderes Milieu). Sie sind also nicht aktiv tätig, wie ein Enzym-Substrat Komplex.
    Das würde doch bedeuten, dass die Proteinfaltung auch ohne Chaperone ablaufen könnte, sofern sich das Milieu ändert. Dazu müsste das Protein natürlich seinen Aufenthaltsort wechseln, weil eine Zelle sicher nicht ihren pH ändert, nur um einer Art von Protein die Faltung zu erleichtern. Das hätte ja zur Folge, dass andere Proteine wiederum denaturieren o.ä.

  8. #8 Tobias
    28. Juli 2010

    Dennis,

    es gibt zwei Hypothesen: “Folding in infinite dilution” (was du beschreibst) und forced unfolding, bei der GroEL ATP-induziert aktiv das falsch gefaltete Protein wieder lokal entfaltet. Wahrscheinlich trifft beides zu, je nach Substratprotein.

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18192377
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18394994

  9. #9 kat
    28. Juli 2010

    sehr interessant.. doch darf ich als laie auch ne frage stellen? das GroEL ( aus Bakterien) kann man wahrscheinlich nicht beeinflussen ob das im Körper ist oder nicht. Ich meine wenn das verantwortlich ist als ” Anstandsdame” zum richtigen falten , so wären doch einige Krankheiten dadurch behandelbar? vielleicht bin ich jetzt einfach auch nur total daneben. aber wie gesagt kein Fachmann.. 😉

  10. #10 Tobias
    28. Juli 2010

    kat,

    das GroEL von Bakterien ist erst mal nur in Bakterien. Menschliche Zellen haben Orthologe von GroEL. Eines dem bakteriellen sehr ähnliches in Mitochondrien und ein etwas weiter entferntes aber trotzdem funktionell ähnliches im Cytoplasma.

    Es gibt tatsächlich Krankheiten, die mit falsch gefalteten Proteinen zu tun haben, und Chaperone werden als “Modulatoren” dieser Krankheiten angesehen. Hier ein Artikel dazu: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19393652

    GroEL als Therapeutikum zu spritzen oder in Pillenform zu sich zu nehmen wird eher nichts bringen: Im ersten Fall wird das Immunsystem dazu angeregt Antikörper gegen das körperfremde Protein zu bilden, im zweiten Fall sorgen Verdauungsenzyme und das saure Millieu im Magen dafür, dass spätestens dort nicht mehr viel von dem Protein übrig ist.

  11. #11 Stefan
    28. Juli 2010

    Woher wissen die Chaperone, wo die zu faltenden Proteine rumschwirren?
    Da die Proteine nach der Entstehung einfach so im Cytoplasma umherwabern, wie finden die Chaperone dann die passenden Proteine?

    Das verstehe ich nämlich bei der Molekularbiologie überhaupt nicht: Woher wissen die Proteine und Enzyme, wo sie hinsollen? Und wie bewegen sie sich so zielgerichtet?
    Bei den Beschreibungen hört sich immer alles so zielgerichtet an, z.B.
    “die RNA-Polymerase findet den Promotor der DNA, dockt sich dort an, und startet die Transkription.” Die Polymerase wird doch auch in der Gegend herumschweben, und vielleicht mal zufällig an die richtige Stelle der DNA kommen (die DNA kann ja ziemlich lang sein).

    Oder wie finden die in der Gegend herumlungernden tRNA Moleküle ihre Aminosäuren und stehen dann auch noch zum richtigen Zeitpunkt dem Ribosom zur Verfügung? Das Ribosom muss ja die RNA lesen, und sich dann eine passende tRNA aussuchen. Wie kommt es dass da immer lauter passende tRNAs in der Gegend herumschwirren, die sich immer wieder an das Ribosom annährend müssen, um evtl. ausgewählt zu werden?

    Wie bewegen sich also Enzyme und Proteine durch die Zelle? Gibt es da generell einen Wasserkreislauf, der alles durchpumpt?

    Fragen über Fragen…
    Das wäre doch mal ein Beitrag wert.

  12. #12 Ender
    28. Juli 2010

    @Stefan: Ich vermute, das hat mehr mit selektivem Zufall zu tun. Der zufällige Teil ist die Molekularbewegung der Proteine. Sie schwirren ziellose(!) umher und prallen ständig gegeneinander. Wenn sich zwei Moleküle treffen, die miteinander wechselwirken können (mehr als schlichtes voneinander abprallen, meine ich), dann tun sie das und danach sind sie wieder frei voneinander. In diesem Fall wäre das Molekül gefaltet und die Chaperone stünde wie zuvor bereit.
    Warum das dennoch wirksam ist, liegt an der unvorstellbaren Zahl an Molekülen in der Zelle und der Geschwindigkeit, mit der sie sich durch selbe bewegen. Wenn ich mich recht entsinne, sind Stickstoffmoleküle (Hauptbestandteil der Luft) bei Raumtemperatur mit etwa 500 m/s unterwegs. Bei den großen und damit schweren Proteinen ist das entsprechend weit weniger, aber wenn man das mit den wenigen Mikrometern vergleicht, die so eine Zelle groß sind, dürfte da wohl noch genug los sein, dass so ein scheinbares Chaos das Überleben eines Organismus sichert.

    Möchte jemand etwas ergänzen oder berichtigen?

  13. #13 Ulf Kaschl
    29. Juli 2010

    @ stefan,

    wenn ich richtig informiert bin, unterstützt das Cytoskellet die Findung entsprechender Partner ganz ungemein. Man muss sich die Zelle nicht als wahlloses Durcheinander wild umherfliegender Moleküle vorstellen, sondern als hoch organisierte Maschinerie, in der viel davon abhängt, dass über Hilfsstrukturen die Reaktionspartner zueinander finden.

    Tobias, stimmt das?

  14. #14 Tobias
    29. Juli 2010

    Stefan

    das Problem wie Proteine sich finden hat mich auch schon beschäftigt. Hier ist ein Blogpost dazu, der einige der angesprochenen Aspekte aufgreift:

    https://www.scienceblogs.de/weitergen/2010/02/proteinkomplexe-in-eukaryonten-und-prokaryonten-ein-experiment.php

    Die Bewegung der Teilchen in der Zelle sind von unterschiedlichen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel Grösse und Viskosität. Ender hat recht, generell reicht sie aber wohl aus, um zu garantieren, dass sich falsch gefaltete Proteine und Chaperone finden. GroEL ist auserdem ein sehr abundantes Protein in der Zelle.

    Häufig interagieren Proteine auch erst mit anderen Chaperonene, (trigger factor und Hsp70 beispielsweise) und werden von diesen stabilisiert, bis sie an GroEL übergeben werden.

    Ein weiterer Mechanismus um zu garantieren, dass sich bestimmte Moleküle in der Zelle finden ist die Kompartmentalisierung in Beispielsweise Zellkern und Zytoplasma im Zusammenhang mit Signalen, die eine Sortierung der Moleküle erlauben und, wie Ulf schreibt, zelluläre Substrukturen und gerichteter Transport.

  15. #15 Stefan
    29. Juli 2010

    @Ender, Ulf: danke für eure Infos!
    @Tobias: Klar, die Kompartimente können die Moleküle gut sortieren und steuern.

    Im Wiki hab ich noch eine interessante Grafik gefunden, wo sich den die Anstandsdamen so rumtreiben in der Zelle (Eukaryoten): Im endoplasmatischen Retikulum. Dadurch treffen die Proteine natürlich häufiger auf die Chaperone.
    https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:ProteinTranscription%2BSynthesis.svg&filetimestamp=20071125015857

    Hier noch ein tolles Video, wie die tRNAs und das Ribosom zusammenwirken. Hier sieht es aus, als ob die tRNAs darauf warten, verwendet zu werden:

    Hier wird gezeigt, wie aus der DNA eine RNA gemacht wird, in Echtzeit:

    Auch hier schweben die Nukleinsäuren einfach so rum.

    Toll, wer sich solche Maschinen ausgedacht hat.

  16. #16 Joe Dramiga
    5. August 2010

    Wer von euch hat schon Foldit gespielt? Da darf man selber “Anstandsdame” spielen und Proteine virtuell falten.

    Foldit: Biology for gamers – by Nature Video

    Guessing how a protein will fold up based on its DNA sequence is often too difficult for even the most advanced computer programs. Now scientists have created Foldit, an online game that lets human players do the work.

    https://www.youtube.com/NatureVideoChannel?gl=GB&hl=en-GB

  17. #17 Tobias
    5. August 2010

    Danke, Joe.

    diese Woche kam auch ein Paper in Nature raus mit Daten aus FoldIt:

    Das Programm wurde auch schon im ersten Teil vorgestellt.