Die schlechte Nachricht zuerst: Einige Fruchtfliegen sind wahrscheinlich schon zu Zombies mutiert. Die gute Nachricht: Sie werden es nie merken. Schuld ist das Chaperon Hsp90, das unter normalen Bedingungen dafür sorgt, dass sich Fliegen – trotz Mutationen – normal entwickeln können. Unter Stress sieht das ganz anders aus.
In der aktuellen Ausgabe von Nature ist ein Paper über Foldit erschienen. Foldit ist ein Online-Computerspiel zur Vorhersage der Struktur von fertig gefalteten Proteinen. Wer mein Blog regelmäßig liest, hat von dem Spiel hier schon vor drei Wochen erfahren (bei Lars schon vor zwei Jahren) – in einem Artikel in dem das Problem der Proteinfaltung vorgestellt wurde.
Im Folgepost ging es um molekulare Chaperone, also Proteine, die anderen Proteinen beim Falten helfen. Chaperone sind notwendig, da der Prozess der Proteinfaltung nicht immer spontan abläuft. Außer dem dort schon vorgestellten GroEL-Chaperon gibt es in Zellen noch mehrere andere Chaperonklassen mit sehr unterschiedlichen Funktionsmechanismen aber mit ganz ähnlichen Aufgaben: Beim Falten und bei der Instandhaltung von Proteinen in der Zelle zu helfen.
Eines davon heisst Hsp90 und anhand dieses Chaperons wurde vor gut 10 Jahren überraschend eine weitere, sekundäre Funktion der Chaperone postuliert: Sie sollen bei der Evolution ihrer interagierenden Substratproteine eine fördernde Rolle spielen, in dem sie als eine Art Puffer gegen negative Effekte von Mutationen fungieren.
Zur Verdeutlichung was damit gemeint ist, hier eingebunden eine Abbildung aus dem Paper in Nature in dem 1998 diese Pufferhypothese postuliert wurde. Die Abbildung gleicht einem Horrorkabinett. Man sieht die Fruchtfliege Drosophila ganz oder in Teilen, und auf jeden Bild ist etwas nicht wie es sein soll. Mal sind die Augen anders gefärbt, mal ganz abhanden. Mal sind die Flügel verkrüppelt, mal die Beine. Fotografiert sind hier Fliegen, die unterschiedliche Mutationen in dem Gen tragen, das für das Chaperon Hsp90 kodiert.
Die Pufferhypothese sieht also vereinfacht so aus: Chaperonsubstrate (in diesem Fall die von Hsp90) können im Lauf der Zeit Mutationen anhäufen. Das ist kein direkter Nachteil für die Substratproteine, da die Chaperone trotzdem noch beim Falten helfen, die Mutationen sozusagen abpuffern. Wenn das Chaperon Hsp90 selbst aber nicht mehr richtig funktioniert oder nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden ist, wie im Fall der Fliegen im Bild weiter oben, fällt dieser Schutz weg und die Phänotypen der angehäuften Mutationen kommen allesamt zum Vorschein.
Diese Entdeckung hat Implikationen für die Evolution der Fliegen. Wenn sie während der Entwicklung vom Ei zur Fliege unter Stress geraten, also zum Beispiel ungewöhnlich hohen Temperaturen ausgesetzt sind, wird das in den Zellen vorhandene Hsp90 ausgeschöpft um Proteine instand zu halten. Dadurch kommt es zu einer Verknappung des Chaperons und die bereits vorhandenen aber bislang kryptischen Mutationen zeigen sich phänotypisch, also im Aussehen der Fliegen. Das ist in den allermeisten Fällen nicht unbedingt positiv, wie man in der Abbildung oben bewundern kann, manchmal jedoch entsteht dadurch ein Vorteil, der sich recht schnell evolutiv manifestiert.
Die Fliegen sind also praktisch schon vorab an sich ändernde Umweltbedingungen angepasst, sie wissen es nur nicht. Erst tatsächlich auftretender Stress führt dazu, dass die angesammelten Mutationen plötzlich einen Effekt haben und die Fliegen sich schnell Veränderungen anpassen können. Ein plausibler, übergeordneter evolutiver Mechanismus, der übrigens von der gleichen Gruppe auch in Arabidopsis gezeigt wurde.
Tatsächlich waren die Papers bahnbrechend und ich bin nicht der einzige der denkt, dass Susan Lindquist, die Hauptautorin dieser Publikationen, eine wahrscheinliche Kandidatin für einen Nobelpreis wäre, sofern er mal für Chaperone vergeben wird.
Rutherford, S., & Lindquist, S. (1998). Hsp90 as a capacitor for morphological evolution. Nature, 396 (6709), 336-342 DOI: 10.1038/24550
Teil1: Das Problem der Proteinfaltung
Teil2: Sittenlose Luder werden von Anstandsdamen richtig erzogen
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