Was für ein PR-Stunt! Ich erzähle erst drei Blogposts lang was über Proteinfaltung und Chaperone, um dann dem geneigten Leser hier mein jüngstes Paper unterzujubeln. Evolution, kontroverse Forschungsergebnisse, bunte Abbildungen, Publikationsdrama, ein Vorhersagealgorithmus und ein Zitat aus einem Bibelforum. Alles in einem Blogpost.
In zweieinhalb Jahren bei ScienceBlogs habe ich erst ein Mal über meine eigene Forschung im Labor geschrieben. Daher der Disclaimer gleich vorneweg: Ich bin verantwortlicher Autor der Veröffentlichung über die ich hier blogge. Es geht um Chaperone und Evolution.
Um zu verstehen was wir im Juli in Bioinformatics publiziert haben macht es Sinn meine drei Vorbereitungsposts gelesen zu haben: Der erste über Proteinfaltung im Allgemeinen, der zweite über das Chaperon GroEL und der dritte über die Funktion des Chaperons Hsp90 als evolutionärer Puffer.
Womit wir auch direkt beim Thema der Publikation wären. Der Grundgedanke war: Wenn Chaperone eine evolutionäre Pufferfunktion haben, die sich auf Ebene des Phänotyps zeigt (siehe Fliegenmutanten im letzten Post), dann müsste dieser Puffereffekt doch ebenfalls auf genetischer Ebene festzustellen sein. Denn dort spielt sich ja die Evolution ab – in Form von Mutation und Selektion.
Zur Erinnerung: Die Pufferfunktion der Faltungshelfer besagt, dass Proteinen, die mit den Chaperonen interagieren eine gewisse Toleranz gegenüber ungünstigen Mutationen verliehen wird, da sie sich trotzdem noch richtig falten können. Wir haben diese Hypothese nun nicht – wie im letzen Artikel – mit dem Chaperon Hsp90 in Taufliegen untersucht, sondern mit dem Chaperon GroEL in E. coli, und zwar aus dem einfachen Grund: Die Proteine, die mit GroEL in E. coli interagieren sind schon identifiziert, es sind rund 250.
Unser Ansatz ist in Abbildung 1 hier links grafisch dargestellt. Wir haben die DNA-Sequenzen der E. coli Proteine mit den DNA Sequenzen der Proteine von anderen, eng verwandten Bakterien verglichen und gemessen, wie häufig durch Mutationen tatsächlich ein Aminosäureaustausch stattgefunden hat. Die Pufferhypothese würde nahelegen, dass Chaperonsubstrate im Vergleich zu anderen Proteinen der Zelle im Lauf der Zeit mehr Mutationen angehäuft haben.
Wir haben genau das Gegenteil gefunden.
Im Detail sah die Analyse so aus: Zuerst haben wir für jedes E. coli Protein das jeweils ähnlichste Protein in den verwandten Bakterien bestimmt. Für jedes dieser Paare haben wir eine Evolutionsrate berechnet. Der Mittelwert dieser Evolutionsraten für die 250 GroEL Substrate (rote Linie im Bild unten) liegt – statistisch signifikant – weit links außerhalb der Verteilung der Mittelwerte von 5000 Datensätzen mit jeweils 250 zufällig ausgewählten Proteinen (blaue Balken im Bild unten). Und links heißt hier: geringere Evolutionsrate, also weniger Aminosäureaustausche im Verhältnis zu anderen, stillen Mutationen. Unerwartet und reproduzierbar für mehrere Organismenpaare.
Hier die Erklärung des ganzen, falls Leser Asgard diesen Artikel – so wie mein letzten – in evolutionskritischen Bibelforen zitieren möchte. Die Reaktionen (neun Beiträge unter dem Link) sind überzeugend:
Asgard, ich ermahne dich im Herrn, die Geister zu prüfen, so wie es deine Aufgabe als Christ ist! Prüfe die Geister der Evolutions- und Urknalltheorie und tu das bitte im Gebet zu Gott. Er ist der einzige, der dir die Augen öffnen kann! Leider hat dir der Teufel die Augen mit Dreck vollgeschmiert, sodass du die Wahrheit nicht fassen kannst.
Chaperonsubstrate haben von vorne herein Probleme mit der Faltung (sonst müssten sie nicht mit Chaperonen interagieren). Sie verkraften trotz Chaperonbenutzung gerade keine zusätzlichen Mutationen, da ihre Faltungswege energetisch schon sehr ungünstig sind. Zur Veranschaulichung ist das grafisch in der dritten Abbildung unten dargestellt.
Chaperonunabhängige Proteine falten sich schnell und problemlos (blaue Kurve). Proteine die auf Chaperone angewiesen sind brauchen zum produktiven falten entweder recht lange (rote Kurve) oder laufen Gefahr falsch gefaltete Intermediate zu bilden (gestrichelte Kurve). Dadurch ist Zeit für die Interaktion mit dem Chaperon – weitere Mutationen würden aber eher diesen problematischen Proteinen schaden als jenen, die sich bislang problemlos und ohne Chaperone in ihre richtige Struktur falten. Die Pufferfunktion ist vorhanden, nur bei GroEL-Substraten in E. coli wird sie schon voll ausgenutzt.
Nebenbei haben wir noch andere Parameter gefunden, die GroEL-Substrate von anderen zellulären Proteinen in E. coli unterscheiden. Wir haben diese zu einem (nicht besonders guten) Vorhersagealgorithmus für die GroEL-Nutzung zusammengefasst. Wer mehr wissen will, sei an Bioninformatics verwiesen. Dort ist das Paper publiziert und leider nur kostenpflichtig erhältlich.
Es war ein Drama in mehreren Akten (sprich: Journals), das sich insgesamt über 15 Monate zog, um diese Daten zu publizieren, da sie ja auf den ersten Blick der recht etablierten Hypothese zur evolutionären Pufferfunktion zu widersprechen scheinen. Nächstes Mal gehts direkt zu PLoS One.
Raineri E, Ribeca P, Serrano L, & Maier T (2010). A more precise characterization of chaperonin substrates. Bioinformatics (Oxford, England), 26 (14), 1685-9 PMID: 20519287
Teil1: Das Problem der Proteinfaltung
Teil2: Sittenlose Luder werden von Anstandsdamen richtig erzogen
Teil3: Chaperone und Evolution – Stress bei Fruchtfliegen
Für mich wird es hier auf den ScienceBlogs in nächster Zeit wohl eine Blogpause geben (wenn ich nicht doch über die Antibiotikaresistenzen schreibe). Das hat zum einen berufliche Gründe – ich muss mehr Papers schreiben.
Zum anderen möchte ich wieder zu dem Zustand des Tolerierens durch ignorieren zurück, mit dem ich bislang den Artikeln meiner Mitblogger begegnet bin, wenn ich mit deren Inhalt nicht einverstanden war. Und das erfordert Abstand.
Kommentare (16)